Der Expertenrat für Klimafragen mahnt, die Bundesregierung solle sich nicht auf kurzfristigen Erfolgen ausruhen. Langfristig droht Deutschland seine Ziele bei der Reduktion von Treibhausgasemissionen zu verfehlen.
Im Bundestagswahlkampf und in der jüngsten Regierungserklärung von Bundeskanzler Merz spielte der Klimaschutz kaum eine Rolle. In der politischen Praxis der nächsten Monate könnte sich das jedoch ändern. Denn der Expertenrat für Klimafragen, eine Fachkommission mit dem Auftrag zur Prüfung und Bewertung der Klimapolitik, warnt in seinem am Donnerstag vorgelegten Prüfbericht davor, dass Deutschland langfristig seine im Klimaschutzgesetz vorgegebenen Ziele zur Verringerung der Treibhausgasemissionen zu verfehlen drohe.
Zwar werden die gesamten Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2021 bis 2030 die nach dem Klimaschutzgesetz zulässige Menge unter Berücksichtigung eines Puffers von 81 Megatonnen Kohlenstoffdioxid-Äquivalenten einhalten. Daher sei die Bundesregierung nicht gezwungen, ein Massnahmenprogramm vorzulegen, um die Emissionsziele noch zu erreichen. Dazu wäre sie laut Klimaschutzgesetz verpflichtet, hätte der Expertenrat in seinem gegenwärtigen Gutachten wie in seinem Gutachten aus dem Vorjahr erneut eine drohende Zielverfehlung identifiziert.
Allerdings sei die prognostizierte Einhaltung der Emissionsreduktionsziele im gesamten Zeitraum von 2021 bis 2030 allein der Tatsache zu verdanken, dass die Emissionen in der Zeit von 2021 bis 2024 durch die Corona-Pandemie und die schwache Wirtschaftsentwicklung gedrückt worden seien. Dadurch sei ein Puffer für die verbleibenden Jahre bis 2030 entstanden. Ohne diesen Puffer «wäre bis Ende 2030 mit hoher Wahrscheinlichkeit eine deutliche Budgetüberschreitung zu erwarten gewesen», sagte der Vorsitzende des Expertenrats Hans-Martin Henning.
Schlechter Zustand des Waldes
Deutschland drohe seine nationalen Verpflichtungen auch unter der europäischen Lastenteilung ab dem Jahr 2024 zu verfehlen. Den in Europa vereinbarten Vorgaben gemäss muss Deutschland seine Emissionen bis 2030 gegenüber dem Jahr 2005 um die Hälfte senken. Die Projektionsdaten zeigten hier ab dem Jahr 2024 «eine im Vergleich zum vorigen Jahr gewachsene Ziellücke bis 2030», so Henning.
Für die Jahre nach 2030 deuten die Projektionsdaten ebenfalls auf eine «deutliche und im Zeitverlauf zunehmende Zielverfehlung hin», heisst es in dem Prüfbericht. Das liege nicht nur an den unzureichenden Emissionsreduktionen in den Bereichen Verkehr und Gebäude, sondern auch daran, dass der Sektor Landnutzung in den Hochrechnungen nicht mehr als natürliche Senke, sondern als Quelle von Emissionen ausgewiesen werde. Den Grund dafür sehen die Experten im schlechten Zustand des Waldes. Sie warnen: Das übergreifende Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2045 würde damit sehr deutlich verfehlt.
Die Klimaexperten empfehlen der Bundesregierung, zügig eine Langfriststrategie zu entwickeln. Ohnehin verpflichtet das Klimaschutzgesetz die Bundesregierung, in den ersten zwölf Monaten der Legislaturperiode ein Klimaschutzprogramm vorzulegen, in dem sie die festgestellten Zielverfehlungen bis zum Jahr 2040 adressiert. Die Klimaexperten empfehlen ihr, darin auch die drohenden Zielverfehlungen bei der Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 in den Blick zu nehmen.
Koalitionsvertrag enttäuscht
Dabei weisen sie auf die Pfadabhängigkeiten hin, die sich ergeben, wenn jetzt noch fossile Heizungen in Gebäude eingebaut oder Autos mit Verbrennermotoren gekauft werden. Ein grosses Problem sei, dass die Landnutzung künftig keine Senke für Kohlendioxidemissionen mehr sei. Dies bedeute, dass die anderen Sektoren im Gegenzug ihre Emissionen noch stärker reduzieren müssten oder Moore verstärkt vernässt werden müssten beziehungsweise der Waldumbau anders gestaltet werden müsse.
Von den Klimaschutzanstrengungen im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD zeigten sich die Experten enttäuscht. «Vom Koalitionsvertrag geht kein nennenswerter Impuls für die Zielerreichung im Jahr 2030 aus», sagte die stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats Brigitte Knopf. Der Koalitionsvertrag gehe auf die massgeblichen Problemfelder nicht explizit ein, bleibe zu vage und in Teilen widersprüchlich.
So sei nicht klar, ob die Mittel aus dem kreditfinanzierten Infrastrukturfonds vorwiegend in den Ausbau des Schienennetzes oder der Strassen flössen. Letztgenanntes hätte mehr Verkehr und mehr Emissionen zur Folge. Auch sende der Vertrag mit der geplanten Verlängerung des Deutschlandtickets auf der einen Seite und der Anhebung der Pendlerpauschale auf der anderen Seite widersprüchliche Signale für den Klimaschutz aus.
Die Mahnungen der Klimaexperten, die für ihre Arbeit auf die vom Umweltbundesamt erstellten Emissionsdaten zurückgreifen, dürften Wasser auf die Mühlen der Opposition sein. Die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Katharina Dröge, warf Bundeskanzler Merz in der Bundestagsdebatte am Mittwoch vor, «keine einzige vernünftige Antwort» auf Klimafragen zu liefern. Und der Parteichef der Grünen, Felix Banaszak sagte, Merz habe in seiner Regierungserklärung zu wenig über den Klimaschutz gesprochen.