Die deutsche Fussballnationalmannschaft erlebt im Nations-League-Spiel gegen den Erzrivalen nach schlechtem Start einen turbulenten Abend.
(dpa) Julian Nagelsmann lief verärgert auf den Rasen der Johan-Cruyff-Arena. Der Schlusspfiff des italienischen Schiedsrichters während eines vielversprechenden deutschen Angriffs gefiel dem Bundestrainer überhaupt nicht, mit dem Remis im prestigeträchtigen Kräftemessen gegen Oranje war er aber sehr wohl zufrieden.
Denn nach dem schnellsten Gegentor seit 50 Jahren hat sich die Nationalmannschaft trotz grosser Defensivprobleme mit einem Punkt in den Niederlanden belohnt. Mit viel Abwehr-Risiko und grosser Leidenschaft kamen die diesmal auch als Fussball-Arbeiter geforderten Spasskicker um Florian Wirtz und Jamal Musiala zu einem 2:2 in Amsterdam.
«Es war sehr unterhaltsam. Beide Teams waren defensiv ein bisschen zu anfällig, dafür war es ein spannendes und offenes Spiel. Wir sind verdientermassen zurückgekommen. Zwei Tore musst du auch erstmal nachlegen. Zum Ende hin waren wir dem Tor näher», sagte Nagelsmann beim TV-Sender RTL und ärgerte sich ein wenig über den Schiedsrichter: «Er hat auf beiden Seiten nicht gut gepfiffen.»
Deniz Undav (38. Minute) und Joshua Kimmich (45.+3) drehten nach dem Blitztor von Tijjani Reijnders (2.) bis zur Halbzeit das Resultat, Denzel Dumfries (50.) glich mit einem weiteren schnellen Oranje-Treffer nach der Pause vor 50 109 Zuschauern aus.
Drei Tage nach der 5:0-Gala gegen Ungarn erwiesen sich die Niederländer im Spitzenspiel als der deutlich anspruchsvollere Gegner. Nach dem Remis geht die DFB-Elf aber als Tabellenführer in die Oktober-Spiele, wenn es nach der Partie in Bosnien-Herzegowina (11. 10.) zu einem schnellen Wiedersehen in München mit Oranje (14. 10.) kommt. Dann kann sogar schon der Weg Richtung Viertelfinal geebnet werden.
Nagelsmann kann bei vier Zählern mit dem Neustart nach der Heim-EM zufrieden sein. Gegen das Team von Bondscoach Ronald Koeman konnte wenig gezaubert werden, aber die Widerstandskraft stimmte.
Im Mittelfeld hatten Robert Andrich und Pascal Gross grosse Probleme, für Ordnung zu sorgen
«Wir wollen versuchen, einen Moment zu zaubern, der in Erinnerung bleibt», hatte Nagelsmann angekündigt. Doch zunächst gab es nach der Gala gegen Ungarn ein böses Erwachen unter dem wegen des stürmischen Wetters geschlossenen Dachs der Arena. Schon nach 99 Sekunden hatte Oranje die deutsche Elf überrumpelt. Nach einem langen Ball von Torhüter Bart Verbruggen legte Brian Brobbey den Ball per Brust auf Ex-Bayern-Profi Ryan Gravenberch, dessen Steilpass auf Reijnders die deutsche Hintermannschaft komplett entblösste.
So kassierte die deutsche Mannschaft das schnellste Gegentor seit dem WM-Final 1974 (ebenfalls gegen die Niederlande). Damals hatte Johan Neeskens noch früher getroffen, nach nur 86 Sekunden.
Dabei hatte Nagelsmann noch vor dem niederländischen Umschaltspiel gewarnt – offenbar vergeblich. Denn es kam zu weiteren höchst gefährlichen Kontern der Niederländer, die riesige Lücken im deutschen Defensivverbund offenbarten. Bezeichnenderweise hatten sich die beiden Innenverteidiger Nico Schlotterbeck und Jonathan Tah nach nicht einmal 25 Minuten eine Gelbe Karte abgeholt. Und im Mittelfeld hatten Robert Andrich und Pascal Gross grosse Probleme, für Ordnung zu sorgen.
Angesichts des riskanten Spiels der deutschen Mannschaft hätte es noch schlimmer kommen können. Denzel Dumfries per Kopf (15.) und der Leipziger Xavi Simons frei vor Goalie Marc-André ter Stegen (21.) hätten die Führung noch ausbauen können. Nagelsmann und Co-Trainer Sandro Wagner grübelten auf der Bank nach Lösungen.
Noch vor einem Jahr – der damalige Bundestrainer Hansi Flick wurde nach dem schlimmen 1:4 gegen Japan freigestellt – wäre das DFB-Team wohl auseinandergefallen. Doch das Gebilde ist unter Nagelsmann nach der guten Heim-EM längst gewachsen – auch dank der beiden Zauberer Musiala und Wirtz, die beim grossen Kräftemessen erneut die tragenden Säulen waren.
Erstes Tor für Undav, erstes Tor für Kimmich als Captain
Ein bisschen halfen die Niederländer aber auch mit. Musiala fing einen schwachen Pass seines früheren Bayern-Kollegen Matthijs de Ligt ab. Über Kai Havertz und Deniz Undav gelangte der Ball zu Wirtz. Dessen Schuss konnte Verbruggen noch parieren, den Nachschuss von Undav aber nicht mehr.
Für den Stuttgarter, der den verletzten Niclas Füllkrug vertreten hatte, war es das erste Tor im vierten Länderspiel. Doch damit nicht genug. Nach einer Ballverlagerung von Andrich auf die linke Seite verteidigten die Gastgeber wieder nicht konsequent genug. David Raum grätschte den Ball in die Mitte zu Undav, der den freien Kimmich bediente. Es war für den Münchner das siebte Tor im 93. Länderspiel, aber das erste in seiner neuen Rolle als Captain.