Die verfeindeten Staaten hatten jüngst gegenseitig Militärflughäfen, Munitionsdepots und Flugabwehrsysteme ins Visier genommen. Ein grosser Krieg schien nicht mehr ausgeschlossen. Nun muss sich zeigen, ob die Feuerpause tatsächlich hält.
Dreimal haben Indien und Pakistan schon gegeneinander Krieg geführt – 1947, 1965 und 1971. In letzter Zeit schien es nicht mehr ausgeschlossen, dass 2025 das nächste Datum in der Reihe sein würde. Nachdem sich die Nachbarn drei Tage lang vorwiegend mit Artillerie und Drohnen beschossen hatten, setzten sie in der Nacht auf Samstag erstmals auch Raketen gegen die gegnerischen Militärflughäfen, Munitionsdepots und Flugabwehrsysteme ein. Damit näherte sich die Konfrontation der beiden Atommächte rasch der Schwelle des Krieges.
Quasi in letzter Minute haben die verfeindeten Bruderstaaten nun aber doch noch die Reissleine gezogen. Der pakistanische Aussenminister Ishaq Dar und Indiens Chefdiplomat Subrahmanyam Jaishankar teilten am Samstagnachmittag mit, Indien und Pakistan hätten mit sofortiger Wirkung eine Waffenruhe vereinbart. Der amerikanische Präsident Donald Trump hatte kurz zuvor bereits verkündet, dass nach Vermittlung der USA eine Feuerpause erreicht worden sei.
Der amerikanische Aussenminister Marco Rubio teilte mit, Vizepräsident J. D. Vance und er hätten in den vergangenen 48 Stunden Gespräche mit Indiens Premierminister Narendra Modi, Pakistans Regierungschef Shehbaz Sharif und weiteren Vertretern beider Seiten geführt. Indien betonte allerdings, die Einigung sei in direkten Gesprächen zwischen den beiden Staaten erreicht worden. Delhi wies auch eine Ankündigung von Rubio zurück, dass weitergehende Gespräche geplant seien.
Der Konflikt schaukelte sich über Tage immer mehr hoch
Die Waffenruhe dürfte bei den Indern und Pakistanern im Grenzgebiet für Erleichterung sorgen. In den Dörfern und Städten entlang der Grenze waren die Einwohner die dritte Nacht in Folge mit der Angst vor Luftangriffen und Raketeneinschlägen ins Bett gegangen. Begonnen hatte die Konfrontation in der Nacht zu Mittwoch, als die indische Luftwaffe neun Einrichtungen von Terrorgruppen in Pakistan ins Visier nahm. Indien übte damit Vergeltung für einen blutigen Anschlag auf Touristen in Kaschmir am 22. April.
Die Kampfjets trafen zwar ihre Ziele, doch gelang es Pakistans Luftwaffe offenbar, mehrere indische Flugzeuge abzuschiessen. Noch am Mittwoch weitete sich der Konflikt zusätzlich aus, als beide Seiten Drohnen über die Grenze schickten, um die feindlichen Flugabwehrsysteme zu treffen. Entlang der sogenannten Line of Control, die den indischen und den pakistanischen Teil Kaschmirs trennt, wurden zudem zahlreiche Zivilisten durch Artilleriebeschuss getötet.
Zwar versicherten beide Seiten, sie reagierten nur auf die Angriffe des Gegners und hätten kein Interesse an einer Eskalation. Doch der Konflikt schaukelte sich immer weiter hoch. Schon am Donnerstag mahnten Militärexperten, dass mit den Angriffen auf Radaranlagen und Flugabwehrsysteme eine gefährliche Schwelle erreicht sei. In der Nacht auf Samstag feuerten dann Indien wie Pakistan Raketen auf Luftwaffenstützpunkte des Gegners ab.
Frühere Kämpfe waren räumlich deutlich begrenzter
Welche Schäden die Angriffe verursachten, ist bis jetzt unklar. Beide Seiten behaupten, sie hätten die Angriffe im Wesentlichen abgewehrt. Sie bestreiten, dass sie grössere Schäden erlitten hätten, während sie gleichzeitig verkünden, den Feind hart getroffen zu haben. Was davon zutrifft, wird sich wohl erst in einigen Tagen oder Wochen zeigen. Auch dann wird sich vermutlich nur schwer klären lassen, wer welchen Beitrag zu der Eskalation geleistet hat.
Klar ist bereits jetzt, dass es sich um den grössten Konflikt seit dem Krieg 1971 handelt. Frühere Krisen wie in Kargil 1999, Uri 2016 und Balakot 2019 waren räumlich deutlich begrenzter. Während sich die Kämpfe damals weitgehend auf die umstrittene Region Kaschmir beschränkten, griff Indien dieses Mal auch Ziele im pakistanischen Kernland weit jenseits der Grenze an. Selbst die Hafenstadt Karachi im Süden soll von indischen Drohnen attackiert worden sein.
Auch waren Indiens Angriffe weitaus umfassender als früher. So waren auch die Hauptquartiere der Terrorgruppen Lashkar-e Toiba in der Stadt Muridke und Jaish-e Mohammed in Bahawalpur unter den Zielen. Beide Anlagen hatte Indien seit langem auf dem Radar. Doch selbst nach dem verheerenden Terrorangriff in Mumbai 2008, für den Indien Lashkar-e Toiba verantwortlich machte, war Delhi nicht so weit gegangen, den Komplex in Muridke zu bombardieren.
Beide Seiten setzten in grossem Masse Drohnen ein
Pakistan beschränkte sich in seiner Reaktion ebenfalls nicht auf Kaschmir, sondern beschoss auch Militäranlagen in den weiter südlich gelegenen indischen Teilstaaten Punjab, Rajasthan und Gujarat. In mehr als fünfzehn indischen Städten gab es Luftalarm. Bei den Angriffen setzten beide Seiten neben Kampfjets und Artillerie erstmals auch in grosser Zahl Drohnen ein. Während Indien israelische Kamikazedrohnen vom Typ Harop einsetzte, griff Pakistan zu kleinen Songar-Quadcoptern des türkischen Herstellers Asisguard.
Ausserdem kam bei den Luftgefechten eine neue Generation von Kampfjets zum Einsatz. So setzte Indien die Rafales ein, die es seit 2020 von Frankreich gekauft hat. Pakistan schickte seinerseits die neuen J-10-Jets aus chinesischer Produktion ins Gefecht. Diesen gelang es offenbar bei dem Angriff in der Nacht auf Mittwoch aufgrund der grossen Reichweite ihrer Luft-Luft-Raketen, mehrere indische Maschinen abzuschiessen, darunter wohl auch mindestens eine Rafale.
Ob die Waffenruhe hält, wird sich in den nächsten Stunden und Tagen zeigen. Nach Einbruch der Dunkelheit wurden am Samstag an der Line of Control Schusswechsel gemeldet. Auch waren in Kaschmir erneut Explosionen zu hören. Indien hat zudem gedroht, dass es jeden weiteren Terroranschlag als «Akt des Krieges» betrachten werde. Sollten die Terroristen wieder zuschlagen, droht damit eine erneute Eskalation. Die Gefahr ist real: Denn die Täter des Anschlags auf die Touristen in Kaschmir hat Indien noch immer nicht gefasst.