Die Verantwortungslosigkeit in Bezug auf den Selbstbedienungsladen AHV hat nun auch die Regierung erreicht.
Wer die Schuldenbremse des Bundes befürwortet, weiss warum: Sie ist ein wirksames Mittel gegen die Tendenz von Politik und Bürgern, Extravaganzen zulasten der kommenden Generationen zu beschliessen. Man kann nach Frankreich und in viele andere Länder schauen, um die Folgen des finanzpolitischen Schlendrians ohne Schuldenbremse zu sehen.
Zu sehen ist das auch in der Schweiz – am besten bei der AHV. Das Sozialwerk ist mangels Schuldenbremse ein Selbstbedienungsladen. Es beruht im Kern auf dem Motto «Konsumiere heute, und lasse andere später dafür bezahlen». Die Geschichte der AHV ist eine Geschichte des ständigen Leistungsausbaus. Im AHV-Gründungsjahr 1948 konnten 65-Jährige im Mittel damit rechnen, noch etwa 14 Jahre zu leben. Heuer sind es etwa 24 Jahre. Das ordentliche Rentenalter liegt wie 1948 bei 65 Jahren – nach vorübergehendem Ab und Auf bei den Frauen. Allein die Steigerung der Lebenserwartung entspricht schon einem Leistungsausbau um etwa 70 Prozent. Hinzu kommen zusätzliche Ausbauschritte.
Drohende Finanzlöcher wurden grösstenteils oder ausschliesslich durch höhere Lohnabzüge oder höhere Subventionen gestopft. Bremsung des Ausgabenwachstums? – Meist Fehlanzeige. So ist es auch für die Finanzierung der ab 2026 geltenden 13. Monatsrente vorgesehen. Und nach derzeitigem Stand auch bei der Finanzierung des diskutierten (weiteren) Ausbaus der Ehepaarrenten. Die sachlich naheliegende Anpassung des Rentenalters an die gestiegene Lebenserwartung war bisher dagegen tabu.
Politisch ist die Kombination des Ausbaus von Leistungen, Lohnabzügen und Steuerfinanzierung der bequemste Weg im Selbstbedienungsladen: Vom Leistungsausbau profitieren die Älteren am schnellsten, und die Kosten tragen mehrheitlich die Jüngeren. So muss zum Beispiel ein 25-Jähriger eine Erhöhung der Lohnabzüge etwa 40 Jahre lang tragen, ein 60-Jähriger nur 5 Jahre lang, und Rentner werden ganz verschont. Auch eine Erhöhung des Rentenalters würde die Rentner verschonen, aber wenigstens die starken Belastungsungleichgewichte innerhalb der erwerbstätigen Bevölkerung etwas korrigieren.
Beim nächsten Sanierungsschritt für die AHV, der Finanzlöcher von 2030 bis 2040 vermeiden soll, könne man vielleicht auch über das Rentenalter reden, hiess es lange. Doch nun hat der Bundesrat Klartext gesprochen: Eine Erhöhung des ordentlichen Rentenalters soll es bis 2040 nicht geben. Einer der dafür gelieferten Hauptgründe ist skurril: Man könne das Rentenalter nur mit Übergangsfristen und Kompensationsmassnahmen erhöhen, deshalb käme die Erhöhung zu spät, um die AHV-Finanzierung während der kritischen Phase sicherzustellen. Dass der Bundesrat selber nicht früher eine Rentenaltererhöhung vorschlagen wollte, blieb natürlich ungesagt. Und mit der genannten Begründung könnte man eine Rentenaltererhöhung zu allen Zeiten ablehnen. Das ist wohl auch die Absicht.
Auch die zweite Kernbegründung ist unredlich: Eine Erhöhung des Rentenalters sei nicht mehrheitsfähig, wie das klare Volks-Nein von 2024 zur Rentenalter-Initiative der Jungfreisinnigen zeige. Der Bundesrat hatte die Initiative laut seinen damaligen Bekundungen wegen der «starren» Anbindung des Rentenalters an die Lebenserwartung abgelehnt. Zwischen einer solchen Initiative und zum Beispiel einer einmaligen Erhöhung des Normrentenalters von 65 auf 66 oder 67 im Rahmen eines Gesamtpakets, das auch AHV-Mehreinnahmen enthält, besteht ein grosser Unterschied.
Der Entscheid des Bundesrats ist eine politische Bankrotterklärung. Dem Vernehmen nach ist die linke Sozialministerin Elisabeth Baume-Schneider im Bundesrat mit ihrem Kurs nicht auf starken Widerstand bei den Bürgerlichen gestossen. Die grassierende Verantwortungslosigkeit in Sachen AHV ist definitiv auch in der Regierung angekommen.
Natürlich wäre eine Rentenaltererhöhung auch im Rahmen eines Gesamtpakets politisch schwierig, aber es wäre nicht unmöglich. Es würde vor allem Aufklärung brauchen. Immer wieder. Den Älteren wäre zu sagen, dass beliebte Argumente gegen ein höheres Rentenalter wie etwa die Existenz älterer Arbeitsloser nur billige Ausreden sind – und stattdessen im Kern die Frage zu beantworten ist, wie viele Lasten man den Jüngeren anhängen will. Und den Jüngeren wäre zu sagen, dass ein höheres Rentenalter nicht Gratisarbeit bedeutet, sondern die Jüngeren besser stellt als eine Erhöhung von Steuern und Lohnabzügen.
Volksentscheide hängen stark von den Haltungen des politischen Führungspersonals ab – der Bundesräte, Parteien, Verbände, Gewerkschaften. Doch die Mehrheit dieses Führungspersonals will keine Rentenaltererhöhung und schafft damit erst die Voraussetzung für ihre Behauptung, dass ein solcher Schritt nicht mehrheitsfähig sei. Bei AHV-Reformen geht es im Kern meist um die gleiche Frage: Wie viel versteckte Umverteilung von Jung zu Alt und von oben nach unten will man? Jeder AHV-Ausbau in Kombination mit höheren Lohnabzügen und Steuern verstärkt diese Umverteilung in beiden Kanälen, während eine Erhöhung des Rentenalters bremsend wirkt.
Gegen zwei Drittel der Urnengänger sind älter als 50-jährig. Zudem interessieren sich die Jüngeren noch wenig für die Altersvorsorge und lassen sich deshalb relativ leicht übers Ohr hauen. Deshalb haben die traditionellen Parteien von links bis rechts ein starkes Interesse, möglichst hohe Lasten auf die Jüngeren zu verschieben. Die Linke hat zudem das Interesse, die versteckte Umverteilung von oben nach unten via AHV zu maximieren, weil der transparentere Weg via Steuerprogression politisch schwieriger ist. Der Rest sind Nebelpetarden.