Ob Italien oder Griechenland – Glasfaserkabel und Bojen sollen helfen, die Gefahr der Wellen durch Seebeben frühzeitig zu erkennen und zu warnen. Dafür wäre die Zusammenarbeit mit Unternehmen nützlich. Doch die haben Vorbehalte.
Seit Wochen erschüttern zahlreiche Erdstösse die griechische Ferieninsel Santorin. Sie verunsichern Bewohner und Touristen gleichermassen: Kommt da noch etwas Grosses? Ein heftiges Beben, ein Vulkanausbruch, ein Tsunami – nichts ist derzeit ausgeschlossen.
Die Insel steht beispielhaft für die geologischen Gefahren, die im gesamten Mittelmeerraum bestehen. Rasch kann sich auch andernorts eine bedrohliche Lage einstellen, etwa durch den Vulkan Ätna auf Sizilien oder die Nordgrenze der Afrikanischen Platte, die in Italien und Griechenland wiederholt starke Beben hervorbrachte.
Wo immer geologisch etwas in Bewegung ist, muss man oft die Gefahr eines Tsunamis mitdenken. Die gefürchteten Flutwellen können nicht nur durch Erdbeben entstehen, sondern auch durch Vulkaneruptionen oder Hangrutschungen über und unter der Wasseroberfläche. Das macht die Frühwarnung kompliziert. Obendrein ist das Mittelmeer klein, besiedelte und verwundbare Küsten damit sehr nahe, die Flutwellen umso schneller da.
In der Ägäis steigt vermutlich Magma auf
So verhält es sich auch bei Santorin. Die Erdbebenherde – der Ursprung der einzelnen Beben – befinden sich rund 25 Kilometer nordöstlich der Insel tief im Meeresgrund. «Die Signale deuten darauf hin, dass Magma aus der Tiefe in die obere Erdkruste aufsteigt», sagt Morelia Urlaub vom Forschungszentrum Geomar in Kiel, die seit Jahren in der Region arbeitet. Zwar habe die seismische Aktivität in letzter Zeit abgenommen, doch was die Zukunft bringe, sei ungewiss.
«Das Magma könnte weiter emporsteigen und am Meeresgrund austreten», sagt Urlaub. Ob es dort gemächlich ausquillt oder explosionsartig zutage tritt, können die Forscher noch nicht einschätzen. Das hängt von der chemischen Zusammensetzung des Magmas ab, und die kennt bis jetzt keiner. Der Blick in die Geschichte zeigt, dass in der Gegend durchaus explosive Ausbrüche auftreten. Die sogenannte Minoische Eruption zum Beispiel, ungefähr 1600 Jahre vor Christus, löste Flutwellen im östlichen Mittelmeer aus.
«Selbst wenn das Magma nicht austritt und in der Tiefe bleibt, sind Tsunamis weiterhin möglich», sagt Urlaub. Nämlich wenn die damit verbundenen Erdstösse stark genug sind, um Hangrutschungen auszulösen. Mit welchen Wellenhöhen zu rechnen sei, lasse sich schwer abschätzen, erläutert die Wissenschafterin. «Da spielen viele Parameter hinein, wie die Menge des abgerutschten Materials, seine Geschwindigkeit, die Gestalt der Flanke und des Meeresbodens.» Verglichen mit Tsunamis, die von Erdbeben ausgelöst werden, gibt es bei den Forschungen zu Hangrutschungen und deren Folgen noch einen Rückstand.
Nach dem Tsunami von 2004 wurde investiert
Bei Flutwellen, die durch Erdbeben ausgelöst werden, gibt es hingegen einen Forschungsvorsprung. Das liegt auch daran, dass der Tsunami Ende 2004 in Südostasien rund eine Viertelmillion Menschenleben forderte. In der Folge wurde weltweit der Ausbau von Frühwarnsystemen forciert. Im Mittelmeer funktionieren sie stark vereinfacht so: Seismometer eines Netzwerks registrieren ein Erdbeben. Anhand von dessen Lage und Magnitude lässt sich grob schätzen, an welchen Küsten Gefahr droht. Dort wird gewarnt. Dafür sind nationale «Tsunami Service Providers» zuständig, die die Daten auswerten und für den Zivilschutz aufbereiten. Der handelt vor Ort, zum Beispiel veranlasst er Evakuierungen.
Regelmässig trainieren Behörden und Fachleute in ausgewählten Szenarien Notfallprozeduren, um zu prüfen, wie gut die Informations- und Entscheidungswege funktionieren. Zusätzlich haben sie Warnsysteme etabliert, die etwa übers Mobiltelefon die Bevölkerung auf die Gefahr aufmerksam machen.
In einem Unesco-Programm können sich Kommunen als «Tsunami Ready» zertifizieren lassen. Hierfür müssen sie unter anderem die Gefahrenzonen an der Küste ermitteln und beschildern, Fluchtwege und Schutzzonen ausweisen und mindestens alle zwei Jahre öffentliche Übungen abhalten. Jüngst kam die italienische Stadt Minturno nahe Neapel als «Tsunami Ready» hinzu. Ende 2026 sollen es 25 Kommunen im Mittelmeergebiet sein.
Trotz diesen Fortschritten gibt es Schwachstellen im System, wie Stefano Lorito vom italienischen Istituto Nazionale di Geofisica e Vulcanologia (INGV) erklärt. So werden Erdbeben anhand einer sogenannten Entscheidungsmatrix begutachtet, die nur den Ort und die Magnitude berücksichtigt. «Massgeblich ist aber auch, ob bei dem Erdstoss zwei tektonische Platten vertikal gegeneinander versetzt werden – was grösseres Tsunamipotenzial hat – oder horizontal, was meist weniger Folgen hat.»
INGV-Forscher haben ein Modell entwickelt, das auf Wahrscheinlichkeiten basiert. Es bezieht alle verfügbaren Mess- und Simulationsdaten ein, auch die Unsicherheiten – die immer kleiner werden, je mehr Daten eintreffen. Auf diese Weise lassen sich Fehlalarme verringern wie im Februar 2023 beim Beben in der Osttürkei und in Syrien mit einer Magnitude von 7,8. Aufgrund der Stärke hatte Italien eine Tsunamiwarnung ausgegeben und den Zugverkehr im Süden gestoppt. Die Platten hätten sich weitgehend horizontal bewegt, sagt der Forscher. «Die seismologischen Daten haben das bald gezeigt, die Entscheidungsmatrix konnte das aber nicht berücksichtigen.»
Hilfreich seien ausserdem mehr Sensoren, um früh einen guten Überblick zu erhalten, so Lorito weiter. Das betrifft Seismometer, aber auch GPS-Stationen, die Verformungen der Erdoberfläche anzeigen. Ausserdem sind Pegelstationen und Bojen nützlich, um eine Tsunamiwarnung zu bestätigen oder aufzuheben.
Glasfaserkabel und Drucksensoren können helfen
Ein dichtes Netz an Sensoren im Meer kann zudem dazu beitragen, Hangrutschungen und dadurch ausgelöste Tsunamis besser zu verstehen. Als vielversprechend gelten spezielle Glasfaserkabel, die mit Sensoren für Temperatur und Druck versehen sind. Auf dem Meeresboden liegend, können sie dank optischen Verfahren in der Glasfaser gefährliche Bodenverformungen erfassen.
Die Drucksensoren wiederum registrieren Flutwellen, die darüber hinweglaufen. «Vor der japanischen Küste sind solche Kabel verlegt», sagt Andrey Babeyko, der am GFZ-Helmholtz-Zentrum für Geoforschung in Potsdam zu Tsunami-Frühwarnung forscht. «Sie liefern eine Fülle präziser Daten aus kaum zugänglichen Meeresgebieten, die die Modellierung erheblich verbessern.» Die Kosten dafür gehen jedoch schnell in die Millionen.
Ein Ausweg könnte darin bestehen, mit Telekommunikationsunternehmen zu kooperieren. Diese verlegen ohnehin viele Glasfaserkabel an Land und in den Meeren. Aber die Unternehmen zögern, mit den Forschern zusammenzuarbeiten: Manche fürchten Spionage, andere Beschädigungen ihrer Infrastruktur durch die Messgeräte.
Forscher von GFZ und Geomar wollen zeigen, dass die Bedenken unbegründet sind. Im Projekt Safator (Smart Cables and Fiber-optic Sensing Amphibious Demonstrator), das am 5. März offiziell startet, soll ein neues Telekommunikationskabel mit Dutzenden Sensoren ausgestattet werden, um zu demonstrieren, dass diese die Telekommunikation nicht beeinträchtigen. Ein möglicher Einsatzort ist das Mittelmeer. Das Beispielkabel soll dann als Modell für zukünftige Vorhaben dienen.
Zusätzlich ist laut GFZ ein permanentes Monitoring an drei Observatorien geplant: an der nordchilenischen Subduktionszone, wo regelmässig starke Erdbeben auftreten, in der Nähe der seismisch aktiven nordanatolischen Verwerfungszone, die die Stadt Istanbul bedroht, sowie am Ätna. Der sizilianische Vulkan ist einer der aktivsten Europas und hat eine instabile Flanke, die langsam in Richtung Meer rutscht. Eine gefährliche Kombination, die Einwohner und Touristen nicht unterschätzen sollten.