Die Fahrlässigkeit bei der Planung des amerikanischen Luftangriffs auf Jemen ist erstaunlich – und der Commander-in-Chief glänzte mit Abwesenheit. Das ist hochnotpeinlich und letztlich belanglos.
Das Spitzenpersonal der Trump-Regierung erlaubt sich eine unerhörte Peinlichkeit: Es bespricht einen Luftangriff auf Huthi-Ziele auf dem ungesicherten Chat-Kanal Signal, der Verteidigungsminister postet auch gleich die operativen Pläne dazu – und man lässt einen regierungskritischen Journalisten mitlesen.
Um zu verstehen, wie unprofessionell das Verhalten der Kabinettsmitglieder J. D. Vance, Pete Hegseth, Michael Waltz et al. war, hilft ein Blick auf das intensive Training aller hochrangigen Beamten, die Zugang zur höchsten Geheimhaltungsstufe erhalten.
Es wird ihnen eingepaukt, dass sie möglicherweise im Gefängnis landen, falls sie geheime Informationen auf ungesicherten Kanälen weiterreichen oder die Geheimhaltungsstufen verwechseln. Schon ein Top-Secret-Dokument als SBU (sensitive but unclassified) abzulegen, ist heikel. Geheime militärische Informationen via private Nachrichtenkanäle zu verbreiten, ist noch viel gravierender. Solche Geheiminformationen werden ausschliesslich über sichere Telefonleitungen oder über sogenannte SCIF (sensitive compartmented information) kommuniziert.
Der Journalist liest versehentlich mit
Doch die Mitglieder der Trump-Regierung scherten sich nicht um das Sicherheitsprotokoll, das sie bestens kennen. Sie chatteten munter auf dem Nachrichtenkanal Signal und vertrauten offenbar der Verschlüsselungstechnik der App.
Von dieser Nachlässigkeit hätte die Welt nie erfahren, wäre nicht der Chefredaktor des Magazins «Atlantic», Jeffrey Goldberg, versehentlich in den Chat «Houthi PC small group» eingeladen worden – vom User Michael Waltz, dem Sicherheitsberater von Trump. Ohne zu wissen, ob die Anfrage echt war, nahm Goldberg die Einladung an.
Darauf erhielt der Trump-kritische Journalist Einsicht nicht nur in den Entscheidungsprozess, sondern auch in die konkreten militärischen Pläne für den Angriff auf Huthi-Ziele am 15. März. Diese stellte der Verteidigungsminister Hegseth in den Chat. Spätestens an diesem Punkt hört der Spass auf, denn gerieten diese Pläne in die falschen Hände, wäre das Leben amerikanischer Soldaten gefährdet.
Interessante Gruppendynamik: alle gegen Vance
Es ist schleierhaft, wer den «Atlantic»-Chefredaktor Goldberg eingeladen hat, wahrscheinlich war es nicht Waltz selber, sondern ein Assistent. Gab es gar ein Motiv? – Man kann nur rätseln. Zudem hat Goldberg die pikanten Zitate aus dem Chat selektiert und vielleicht auch Stellen ausgelassen. Die Pläne zum Luftangriff veröffentlichte er nicht, was für sein Verantwortungsgefühl spricht. Zum Beweis publizierte er Screenshots des Chats. Die Trump-Regierung hat bestätigt, dass Goldberg versehentlich am Chat teilnahm.
Auch wenn vieles nicht bekannt ist, die Konversation der Kabinettsmitglieder lässt hinter die Fassade der Trump-Regierung blicken. Die Rolle von Vizepräsident J. D. Vance ist besonders bemerkenswert – und wie sehr er von antieuropäischen Impulsen getrieben ist.
Er ist der Einzige, der sich gegen den Angriff ausspricht: «Ich hasse es einfach, den Europäern erneut aus der Patsche zu helfen», sagt er und nennt die Tatsache, dass die Blockade der Handelsschiffe im Roten Meer vor allem Europa betreffe. Vance wagt es sogar, die Kompetenz von Trump anzuzweifeln: «Ich bin mir nicht sicher, ob dem Präsidenten bewusst ist, wie widersprüchlich das zu seiner aktuellen Botschaft über Europa ist.»
Alle anderen Chat-Teilnehmer vertreten die Ansicht, dass nur die USA die Macht hätten, die Schifffahrtswege militärisch zu sichern, und dass der Zeitpunkt dazu günstig sei.
Wo war eigentlich Präsident Trump?
Der Commander-in-Chief glänzte derweil mit Abwesenheit. Oft finden Planungssitzungen für militärische Angriffe im Situation-Room im Weissen Haus statt und in Anwesenheit des Präsidenten. Trump liess sich im Signal-Chat jedoch durch seine Stabschefin Susie Wiles und seinen Vize-Stabschef Stephen Miller vertreten.
Die Vermutung bestätigt sich, dass Miller eine zentrale Rolle im Weissen Haus einnimmt – er soufflierte die Stimme seines Herrn und verkündete, Trump habe «grünes Licht» für den Angriff auf die Huthi gegeben. Von der Chat-Panne mit Goldberg wurde Trump allerdings nicht in Kenntnis gesetzt: Er schien nichts davon zu wissen, als ihn Journalisten im Weissen Haus danach fragten.
Für die Demokraten ist die Chat-Blamage natürlich ein gefundenes Fressen. Aber nicht nur sie fragen sich: Wie seriös ist diese Regierung? In der Kritik stehen insbesondere der Sicherheitsberater Michael Waltz und der Verteidigungsminister Pete Hegseth. Möglicherweise haben sie mit dem fahrlässigen Verhalten mit Geheiminformationen das Spionage-Gesetz gebrochen. Im mindesten haben sie sich lächerlich gemacht – und auch den amerikanischen Präsidenten.
Dieser reagierte gelassen auf den peinlichen Dilettantismus seines Teams. Stattdessen attackierte Trump den «Atlantic» mit dem gewohnten Medien-Bashing. Einzelne führende Republikaner äussern sich zwar besorgt über das offenkundige Sicherheitsrisiko, sprechen aber von einem «einmaligen Patzer». Bleibt zu hoffen, dass die Regierung aus dem Fehler lernen kann – dass die Chat-Affäre sie langfristig schädigt, ist wenig wahrscheinlich. Sie passt zum Image einer Regierung, die sich um Regeln und Rücksicht foutiert.