Der deutliche Sieg von Donald Trump löst bei den Demokraten eine Sinnkrise aus. Gleichzeitig organisieren sie hinter den Kulissen den Widerstand gegen Trump.
Die Stille ist fast gespenstisch, die seit der Wahlniederlage seitens der Demokraten herrscht. Keine Protestzüge wie 2016, als Donald Trump zum ersten Mal zum Präsidenten gewählt wurde. Keine Prominenten, die wie damals ihrer Empörung an Megafonen Luft machen, umringt von Hunderttausenden Gleichgesinnten. Die Pussyhats, das damalige Emblem für den feministischen Protest gegen Trump, sind aus der Mode geraten. Diesmal herrscht sprachloses Entsetzen. Die Einschaltquoten bei den Fernsehsendern MSNBC und CNN brachen nach den Wahlen in sich zusammen, ein guter Gradmesser für die Depression beim liberalen Publikum.
Eine gequälte, sichtbar gezeichnete Kamala Harris trat zuletzt am 6. November auf. Vor schluchzenden Anhängerinnen und konsternierten Fans gestand sie auf dem Campus der Howard University ihre Niederlage gegen Trump ein. Harris schwor, dass der Kampf nicht vergeblich gewesen sei und nahtlos weitergehe. Es sind die obligaten Sprüche nach einem verlorenen Wahlkampf, für den sich Hunderttausende Freiwillige ins Zeug gelegt und Zeit und Geld investierten haben. Seither ist Harris allerdings verstummt.
Bankrott einer Wahlkampagne
Ihre Kampagne ist bankrott, und das nicht nur im übertragenen Sinn. Die Demokratin verpulverte rund 1,5 Milliarden Dollar Spenden in ihrem 15-wöchigen Wahlkampf und hinterlässt ein Defizit von 20 Millionen Dollar. Ihre opulenten Wahlkampfveranstaltungen mit eingekauften Stars wie Beyoncé und Willie Nelson wirken nachträglich verschwenderisch – und bizarr weit entfernt von den Bedürfnissen der inflationsgeplagten Wählerinnen und Wähler. Diese wählten dann Trump ein zweites Mal, trotz den Risiken, die er für die Demokratie darstellt.
Auch wenn Harris’ Niederlage angesichts des statistischen Patts im Vorfeld der Wahlen durchaus erwartbar war, der Schock der Demokraten ist dennoch real. Was sie erschüttert, ist die breite Dominanz von Trump. Dieser konnte selbst bei der Stammwählerschaft der Demokraten punkten – in liberalen Hochburgen wie New York und San Francisco ebenso wie bei den Latinos in Arizona oder den Afroamerikanern in Georgia. In seiner Siegesrede in der Wahlnacht erklärte Trump die Republikanische Partei zur Heimat für die multiethnische amerikanische Arbeiterschaft.
Selbst viele Wähler unter 30 Jahren, auf deren Stimmen die Demokraten bisher fast blind zählen konnten, liefen ihnen davon. Trump legte bei der jüngsten Wählergruppe um rund 10 Prozentpunkte zu, ein regelrechter Erdrutsch.
Post-mortem-Analyse der Demokraten
Obwohl der Wahlsieg von Donald Trump mit rund 50 Prozent der Wählerstimmen nicht so überragend ist, wie er behauptet, müssen sich die Demokraten doch fragen, was sie falsch gemacht haben und wie sie in Zukunft Wahlen gewinnen können. Post-mortem-Analyse nennt sich der Prozess etwas makaber unter demokratischen Strategen. Dabei fehlt es nicht an gegenseitigen Beschuldigungen und prominenten Zeigefinger-Duellen.
Bernie Sanders, der linke Senator aus Vermont, postete am 6. November: «Es sollte uns nicht erstaunen, dass eine Demokratische Partei, welche die Arbeiterklasse im Stich gelassen hat, nun von derselben verlassen wird.» Die Demokraten hätten als Partei versagt, es brauche eine tiefgehende Diskussion über die Ausrichtung. Nancy Pelosi, die frühere Speakerin der Demokraten, hielt in einem Podcast der «New York Times» dagegen und erklärte, Sanders gewinne nicht ihren Respekt für diese Aussagen. Präsident Joe Biden habe in den letzten vier Jahren sehr viel für die Arbeiterinnen und Arbeiter gemacht.
It should come as no great surprise that a Democratic Party which has abandoned working class people would find that the working class has abandoned them.
While the Democratic leadership defends the status quo, the American people are angry and want change.
And they’re right. pic.twitter.com/lM2gSJmQFL
— Bernie Sanders (@BernieSanders) November 6, 2024
Die Wahlniederlage lässt den alten Streit zwischen dem linken Flügel und dem Parteiestablishment aufflammen. Zentristische Demokraten prangern die Linke als zu klassenkämpferisch an, zu grün, zu woke. Die Linke wiederum hält gemässigte Demokraten für zu kapitalistisch und – nicht erst seit dem Gaza-Krieg – für zu israelfreundlich. Hinzu kommt eine Kakofonie von Experten, die sich in den amerikanischen Medien darüber auslassen, wer Schuld trägt und was die Demokraten tun sollten. Präsident Joe Biden muss einstecken, dass er trotz Altersschwäche kandidierte, Kamala Harris, weil sie Euphorie vorspiegelte und den falschen Vize wählte.
Aber es gibt auch konstruktivere Stimmen von Demokraten, die in konservativen Bezirken siegen konnten. Ihre Erfolgsgeschichten werden gerne gehört. So erhält zum Beispiel die 36-jährige Marie Gluesenkamp Perez aus Washington State derzeit viel Aufmerksamkeit in den linksliberalen Medien. Die Abgeordnete, die gegen einen republikanischen Herausforderer siegte und mit ihrem Mann eine Autogarage führt, sagt: «Wir brauchen Kandidaten, die Lastwagen fahren und Windeln wechseln und Schraubenschlüssel drehen.» Man könne die Politik nicht flicken, indem man noch politischer werde.
Nap time. pic.twitter.com/BoEzYZ7rfB
— Rep. Marie Gluesenkamp Perez (@RepMGP) January 13, 2023
Der Widerstand baut sich auf – hinter den Kulissen
Derweil bereitet sich das demokratische Establishment in Washington auf den Regierungswechsel vor – und auf ein vierjähriges Regime von Donald Trump im Weissen Haus. Tausende von Regierungsmitarbeitern sind auf Jobsuche, wie immer wenn ein Machtwechsel ansteht. Falls Trump seine Drohung wahr macht und Berufsbeamte ins Visier nimmt, könnte es zu Massenentlassungen kommen.
Innerhalb der Departemente werden deshalb Massnahmen vorbereitet, um die allfälligen Kündigungen mindestens zu verzögern. Die Biden-Regierung hat bereits im April eine Regel verabschiedet, die eine neue Kategorisierung von Beamten («Schedule F») mit dem Zweck ihrer Kündbarkeit erschweren wird. Der nachfolgenden Regierung Steine in den Weg zu legen mit Last-Minute-Regulierungen, hat in Washington Tradition. Auch die Trump-Regierung verabschiedete Dutzende sogenannter Midnight-Regulierungen, etwa um die Einführung neuer Umweltstandards abzubremsen.
«Resistance» ist derzeit ein oft gehörtes Wort unter den Demokraten. Man darf davon ausgehen, dass in der zweiten Amtszeit von Donald Trump der Widerstand statt auf der Strasse in den Gerichtssälen ausgetragen werden wird. Die juristische Kampfgruppe Democracy Forward hat seit zwei Jahren ein Netzwerk von 800 Anwälten und 280 Organisationen aufgebaut für den Fall eines erneuten Wahlsiegs von Trump. Im Vorstand sitzen der ehemalige Stabschef von Joe Biden, Ron Klain, und der bekannte demokratische Anwalt Marc Elias.
Die Demokraten haben aus der Oppositionsrolle während der ersten Amtszeit von Trump gelernt und sind bereit, Initiativen seiner neuen Regierung mit einer Barrage von Klagen einzudecken.
Demokratische Gouverneure gegen Trump
Ein wichtiges Bollwerk für die Demokraten stellt der gute alte Föderalismus dar. Die demokratischen Teilstaaten proben bereits den Aufstand gegen das Trumpsche Programm. In Kalifornien hat Gouverneur Gavin Newsom am Tag nach Trumps Sieg eine Sondersession einberufen, um «kalifornische Werte wie reproduktive Rechte, Klimaschutzmassnahmen und Migrantenfamilien zu beschützen».
Ähnliches unternahmen andere demokratische Gouverneure wie J. B. Pritzker in Illinois oder Tim Walz in Minnesota. Dieser versprach, Menschen zu beschützen, die in die Schusslinie von Donald Trump geraten, seien es Migranten oder LGBTQ. Die Gouverneurin von New York, Katie Hochul, will im Eiltempo das Road-Pricing in New York City einführen, zu Trumps grossem Ärger. Gleichzeitig signalisieren sie und andere Gouverneure, mit der Trump-Regierung kooperieren zu wollen.
Die Demokraten haben vier Jahre Opposition vor sich – das sind lange Jahre in der «Wildnis», wie man in Washington die Zeit nennt, wenn die gegnerische Partei regiert. Ob sie sich vor allem darauf konzentrieren werden, Trump mit allen ihnen zur Verfügung stehenden rechtlichen und politischen Mitteln zu bekämpfen, oder ob sie tatsächlich ernsthaft die fundamentalen Fragen zur Ausrichtung der Partei diskutieren werden – das könnte darüber entscheiden, ob den Demokraten 2026 und 2028 ein Comeback gelingt. Andernfalls würden sie sich selbst dauerhaft in die «wilderness» verbannen.