Aus reinem Hochmut habe sich Joe Biden zu einer weiteren Kandidatur bewegen lassen, schreiben Jake Tapper und Alex Thompson in ihrem Buch «Hybris». Als Richter sind die beiden Autoren eine Fehlbesetzung.
Wenn Autoren ein Enthüllungsbuch mit biblischen Überschriften versehen, sagt das meist mehr über ihre eigenen Motive als über den Gegenstand. So auch im Falle des vieldiskutierten Werks des CNN-Moderators Jake Tapper und des «Axios»-Journalisten Alex Thompson: «Hybris», die Todsünde des Hochmuts, prangt auf der Titelseite der deutschen Ausgabe; «Original Sin», nicht weniger als die «Erbsünde», verspricht das englischsprachige Original zu enthüllen. Als Richter sind die beiden Autoren allerdings eine Fehlbesetzung – ihr eigenes Glashaus ist längst eingestürzt.
Hybris sei es gewesen, was Joe Biden zu einer erneuten Kandidatur bewogen habe, werfen die beiden dem ehemaligen Präsidenten vor. Der Entscheid an sich sei die Erbsünde, der Sündenfall, der seine Fortsetzung in der Vertuschung von Bidens mentalem und physischem Zerfall gefunden habe – das öffentliche Radio der USA fügt dem noch immer ein «angeblich» an.
Auf über dreihundert Seiten, gespeist aus zweihundert Interviews mit mehrheitlich anonymen «Insidern», ermitteln die Autoren, wie die Kräfte des Präsidenten und damit seine Belastbarkeit abnahmen, wie immer mehr Parteikollegen, Regierungsmitglieder und Geldgeber sich um ihn und die Wahlaussichten der Demokraten sorgten. Und wie Präsident Biden gleichzeitig immer mehr abgeschirmt wurde.
Sein Stabschef und weitere Berater, die selbst der politisch interessierten Öffentlichkeit kaum bekannt waren, hätten – ganz im Sinne ihres Spitznamens «Politbüro» – den Informationsfluss zum Präsidenten kontrolliert und gemeinsam mit Vertrauten der First Lady dafür gesorgt, die PR-Schäden seiner teilweise bedenklichen Auftritte gering zu halten. Vor allem die Gerichtsverfahren gegen Hunter Biden müssen, glaubt man den Autoren, dem Präsidenten ähnlich zugesetzt haben wie einst der Tod seines ältesten Sohns Beau, in dem er seinen Nachfolger wähnte.
Schuld an der Niederlage
So schwarz-weiss wie das Titelbild des Buches ist das Verdikt Tappers und Thompsons: Schuld an der Wahlniederlage der Demokraten haben Biden und sein innerster Zirkel. Selbst nach dem desaströsen Fernsehduell gegen Donald J. Trump versuchten sie noch, seine Aussetzer auf eine Erkrankung zu schieben und an seiner Kandidatur festzuhalten. Es bedurfte einer persönlichen Unterredung mit dem damaligen Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, der dem Präsidenten eröffnete, wie es um seine Aussichten stand: Nur fünf von fünfzig demokratischen Senatoren unterstützten ihn noch vorbehaltlos; die Umfragedaten prophezeiten eine krachende Niederlage.
Biden, ein Mann des Senats, respektierte das Verdikt seiner Weggefährten: Eine Woche nach dem Gespräch zog er seine Kandidatur zurück und machte den Weg frei für Kamala Harris. Zu spät, urteilen Tapper und Thompson zu Recht – doch sie meinen damit zu Unrecht, ein demokratischer Wahlsieg wäre unter anderen Umständen unabwendbar gewesen: Selbst wenn ein anderer Kandidat, eine andere Kandidatin früher hätte ins Rennen steigen können – das Erbe der «Biden economy» und der Verlust der demokratischen Wählerkoalition wären eine schwere Bürde gewesen.
Ohnehin schaffen es die beiden Autoren nicht, die eigentlich wichtigen Fragen auch nur zu stellen, geschweige denn zu beantworten. Nach der verhängnisvollen Debatte und dem missglückten Wiedergutmachungsversuch mit einem TV-Interview wusste die Weltöffentlichkeit, dass der kognitive Verfall des Präsidenten keine üble (republikanische) Nachrede, sondern Tatsache war.
«Hybris» spult nun Begegnung um Begegnung, Auftritt um Auftritt ab, um den Kreis der Mitwisser und den Verfallsprozess nachzuzeichnen. Wir erfahren, dass der Präsident schon um 16 Uhr 30 sein Abendessen einnahm, dass er alle wichtigen Angelegenheiten zwischen 10 und 16 Uhr erledigen musste und er 2024 kaum noch mit seinem Kabinett zusammenkam. Nur eines bleibt offen: inwiefern Präsident Joe Biden seine Regierungsaufgaben überhaupt noch selbst wahrgenommen hat.
Staatsstreich von innen
Noch vor einem Jahr hätte einen diese Frage in die Nähe von Verschwörungstheoretikern gerückt. Doch das Bild eines Präsidenten, der Meetings kaum gewachsen schien und selbst über seine Umfragewerte in Unkenntnis belassen wurde, muss Zweifel nähren, ob er das Amt jenseits der Rolle als Kommunikator wahrnehmen konnte. Die amerikanische Öffentlichkeit wurde schon in der Vergangenheit immer wieder über den Gesundheitszustand ihrer Präsidenten getäuscht, doch nie seit den vertuschten Folgen von Woodrow Wilsons Schlaganfall bot sich in der Rückschau ein so verheerendes Bild.
Angesichts von Präsident Trumps Angriff auf den Verwaltungsstaat schrieben zu Beginn seiner Amtszeit viele – quasi als Echo auf den Historiker Timothy Snyder – von einem «coup from within», von einem Staatsstreich von innen. Wer «Hybris» liest, fragt sich indessen, ob der Begriff womöglich besser auf die Vorgängerregierung passt: «Wenn man für jemanden stimmt, stimmt man auch für die Leute um ihn herum», so rechtfertigt eine anonyme Auskunftsperson gegenüber den Autoren ihr Wegsehen. Während Bidens Leistungsfähigkeit abnahm, wuchs angeblich die Macht des «Politbüros», der Stabschef wurde intern gar «Premierminister» genannt. Und die Kabinettsmitglieder, die Vizepräsidentin? Nutzten sie gar die Schwäche des Präsidenten?
Diese Fragen würden wohl das einfache Schwarz-Weiss der Autoren stören, das insbesondere Jake Tapper gegenüber der Trump-Administration weiter pflegt. Es ist einigermassen zynisch, dass ausgerechnet das CNN-Aushängeschild Bidens Hochmut enthüllen will, ohne auch nur die eigene Hybris und die der eigenen Zunft zu hinterfragen.
Tapper hatte wiederholt jene harsch verurteilt, die an Bidens psychischer und physischer Gesundheit zweifelten. Von seinen Kritikern wird gerne die Auseinandersetzung mit Lara Trump wiederholt, die Tapper 2020 als Wahlkampfmanagerin ihres Schwiegervaters interviewte. Als Trump auf Bidens kognitiven Verfall zu sprechen kam, unterbrach Tapper sie rüde und bezichtigte sie der Verschwörungstheorien. Wann immer sich CNN-Kommentatoren gezwungen sahen, die Gesundheit des Präsidenten oder die republikanische Kritik an seiner geistigen Verfassung zu thematisieren, folgten sie den Argumentationslinien, von denen uns Tapper und Thompson nun sagen, sie seien vom Weissen Haus unterstützt worden.
Schamlose Selbstvermarktung
Nun scheinen Tapper und Thompson Abbitte leisten zu wollen, um das zurückzuerlangen, was sie mit der Präsidentschaft Bidens verloren haben: ihre Diskurshoheit und ihre moralische Überlegenheit. Denn wer kann anderen noch Fake News vorwerfen, wenn er sich selbst zu deren Instrument gemacht, nicht nachgehakt und nicht recherchiert hat? Wer darf den amtierenden Präsidenten der Lüge bezichtigen, wenn er selbst ein Lügengebäude gestützt hat?
Doch wer zwischen den Buchdeckeln von «Hybris» nach Selbstkritik sucht, wird enttäuscht. Stattdessen lässt sich Tapper von seinem eigenen Sender für die Enthüllungen feiern und nutzt seine Plattform zur schamlosen Selbstvermarktung. Ungewollt wird sein Buch damit auch zum Lehrstück über die Erbsünde der Personalisierung des Journalismus – der Journalist macht sich selbst zur Story und wartet mit der Verbreitung seiner Erkenntnisse so lange, bis er das finanziell einträglichste Format findet.
Ausgerechnet in den stets belächelten alternativen Medien wird Tapper zu etwas Selbstreflexion gezwungen. Megyn Kelly, einst Moderatorin bei Fox News und mittlerweile erfolgreiche Podcasterin, konfrontierte ihn mit seinen alten Aussagen zu Bidens Gesundheit. Er müsse tatsächlich insofern Bescheidenheit üben, als konservative Medien aufmerksamer gewesen seien als er selbst, antwortete er darauf – er habe aber nie gelogen, sei nur belogen worden. Weiter reicht seine Einsicht nicht. Da bleibt nur die Hoffnung auf einen baldigen Biss in den Apfel vom Baum der Erkenntnis.
Jake Tapper und Alex Thompson: Hybris. Verfall, Vertuschung und Joe Bidens verhängnisvolle Entscheidung. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 2025. 400 S., Fr. 39.90.