Der Forscher soll Beruf und Privatleben zu wenig auseinandergehalten haben. Die Vorwürfe der Kronzeugen der Tamedia-Zeitungen bezeichnet die Hochschule als widersprüchlich.
Die ETH Zürich hat am Freitag ihren mit Spannung erwarteten Schlussbericht zum Fall des Professors Tom Crowther publiziert. Der britische Forscher war im vergangenen Sommer in die Schlagzeilen geraten, als die Tamedia-Zeitungen über gegen ihn erhobene Vorwürfe wegen sexueller Belästigungen berichten wollten. Mehrere Personen hatten sich bei der Hochschule über den Wissenschafter beschwert.
Crowther erwirkte eine superprovisorische Verfügung. Tamedia veröffentlichte den Artikel trotzdem. Ohne den Namen des Beschuldigten zu nennen, schrieben die beiden Journalisten von «Annäherungen, die für einen Vorgesetzten nicht adäquat seien». Die ETH ihrerseits liess den Fall abklären. Die Hochschule versprach ihrem Angestellten ein faires Verfahren. Es ging um viel: Crowther hatte einen befristeten Vertrag und stand kurz davor, dauerhaft angestellt zu werden.
Doch es kam anders. Im Dezember 2024 wurde er freigestellt. Der ETH-Präsident Joël Mesot hatte entschieden: Crowther muss die ETH verlassen. Die Forschungsgruppe des Umweltwissenschafters wird aufgelöst. Die mit den Abklärungen betraute Anwaltskanzlei hatte Mesot und der ETH-Personalchefin Julia Dannath einen Zwischenbericht vorgelegt, für den die Juristen zuvor alle Angestellten der Forschungsgruppe des Professors befragt hatten.
Crowther selbst durfte dazu lediglich in schriftlicher Form Stellung nehmen. Offiziell befragt für den Dezember-Report wurde er nicht, obwohl ihm der ETH-Präsident das zu Beginn der Abklärungen versichert hatte. Das zeigen Recherchen, die die NZZ vor drei Wochen publiziert hat.
Vieles bleibt im Ungefähren
Die Abklärungen der ETH indes gingen weiter. Neben Vorwürfen wegen persönlichen Fehlverhaltens standen auch Anschuldigungen wegen Verstössen gegen Compliance-Regeln im Raum. Dazu wurde der britische Forscher im Januar doch noch befragt. Im Februar durfte Crowther auf seine Initiative hin auch zu den Belästigungsvorwürfen persönlich Stellung nehmen und Dokumente vorlegen.
Am Freitag nun hat die Hochschule ihren Abschlussbericht veröffentlicht. Das anonymisierte Dokument erinnert auf weiten Strecken an den Zwischenbericht, den die ETH-Spitze im Dezember von der Anwaltskanzlei erhalten hatte. Das gilt vor allem für den ersten Teil, in dem die Vorwürfe wegen persönlichen Fehlverhaltens beschrieben werden. Erneut wird Crowther zunächst als ein Mann beschrieben, der seine Mitarbeitenden gleich behandle wie seine Freunde. Die meisten Befragten schätzen diesen Führungsstil. Sie halten den Umgang des Professors für korrekt und beispielhaft. So steht es sowohl im Zwischenbericht der Kanzlei als auch im Abschlussbericht der ETH.
Entlastende Punkte allerdings haben in dem finalen Report einen schweren Stand. Belastende Passagen erhalten viel mehr Raum: Der Professor habe versucht, eine Doktorandin zum Abendessen einzuladen, um das Thema ihrer Dissertation zu besprechen. Andere Angestellte seien von Crowther spätabends per Whatsapp gefragt worden, ob sie zu einer Party dazustossen wollten. Weitere Angestellte berichteten von Streichen des Professors nach Feierabend, die sie für unangebracht hielten.
Vieles in dem ETH-Bericht bleibt im Ungefähren, viele Anschuldigungen gegen Crowther sind vage formuliert. So soll der Professor während der Arbeit immer wieder sexistische und diskriminierende Bemerkungen gemacht haben, was zu einer toxischen Managementkultur geführt haben soll. Auf Retraiten soll er betrunken gewesen sein.
Es ist unklar, von wem diese Eindrücke stammen. Sie widersprechen den Statements von «zahlreichen Angestellten», die Crowthers Forschungsgruppe im ETH-Bericht als den «besten Arbeitsort ihrer Karriere» bezeichnen.
«Strong language»?
Crowther selbst kommt in dem Schlussbericht ebenfalls zu Wort. Seine Aussagen in dem Text sind den ausführlichen schriftlichen Antworten entnommen, die er im Dezember dem ETH-Präsidenten und der Vizepräsidentin hatte zukommen lassen. Kuratiert wurden diese Passagen von der ETH. Der Professor hat den Bericht am Freitag erst gesehen, als er bereits publiziert war. Die Medienstelle der ETH schreibt dazu auf Anfrage: «Die Einordnung sowohl der Vorwürfe wie auch der Position des Professors liegt in der Verantwortung der ETH Zürich. Diese Einordnung bedarf keiner weiteren Sichtung durch den betroffenen Assistenzprofessor.»
Dieses Regime führt dazu, dass einige Punkte in dem Abschlussbericht unbestritten bleiben, obwohl sich Crowther im Dezember dagegen gewehrt hatte. Zum Beispiel gegen den Vorwurf der Trunkenheit. Dafür gebe es keine Belege, die Anschuldigung sei falsch und diffamierend, hatte Crowther damals geschrieben. Im Schlussbericht der ETH bleibt das unerwähnt.
Zum Vorwurf sexistisch-diskriminierender Bemerkungen heisst es: Professor Crowther habe bestätigt, dass er eine Mitarbeiterin einmal als «(. . .)» bezeichnet habe. Die ausgelassene Stelle ist geschwärzt. Wahrscheinlich wurde das Wort «Lab Mum» zensiert. Ein ehemaliger Mitarbeiter von Crowther hatte sich vor Jahren darüber beschwert, da er den Begriff für sexistisch hielt – im Gegensatz zur Mitarbeiterin selbst. Seither habe er die Bezeichnung nicht mehr verwendet, sagte der Professor vor ein paar Wochen zur NZZ.
Kronzeugen der Tamedia-Recherche kommen schlecht weg
Für die ETH Zürich indes ist klar: Das geht nicht. Beruf und Privatleben seien klar zu trennen. Crowthers Verhalten sei von mehreren Mitarbeitenden als problematisch empfunden worden. Das sei ihm entgangen. «Strong language» gezieme sich nicht für einen ETH-Professor. Das Verhalten des 38-Jährigen stehe für ein schlechtes Beispiel eines Vorgesetzten. Er werde seiner Vorbildfunktion nicht gerecht, schreibt die Hochschule in ihrem Bericht.
Die Vorwürfe der Kronzeugen der Tamedia-Recherche werden ebenfalls wiedergegeben: ein Belästigungsversuch, für den es keine Zeugen gibt. Ein Kuss-Versuch, für den es Zeugen gibt, die Crowther entlasten und die Version der ihn beschuldigenden Frau in Zweifel ziehen. Ein skurriles Video, das vor Jahren an einem Abend unter WG-Kollegen aufgenommen wurde. Diese drei Personen haben die ETH schon lange verlassen. Die Hochschule konzediert, dass alle drei vor Jahren befreundet gewesen seien mit dem Professor. Ausserdem verfüge man über Informationen, die den Anschuldigungen dieser Personen zum Teil widersprechen würden.
Dennoch: Für die ETH passen diese Vorfälle zum generellen Eindruck, dass sich Crowther «zumindest manchmal» unangebracht verhalten habe. Alles in allem vertrage sich das nicht mit den Führungsprinzipien der ETH Zürich.
Im Graubereich
Bleiben die Compliance-Fragen. Crowthers Forschungsgruppe wurde gründlich durchleuchtet – zumindest 2025, als der Professor persönlich befragt wurde und auch Dokumente zu seiner Verteidigung vorlegen konnte. Fazit aus Sicht der ETH: Crowther habe sich mehrfach nicht an Reglemente gehalten. Und er sei sich dessen nicht bewusst gewesen.
Aber auch hier ist die Lage weniger klar, als die finalen Zeilen in dem Report vermuten liessen. Mehrere Anschuldigungen gegen den Professor haben sich laut dem Bericht als falsch erwiesen. So etwa der Vorwurf, dass eine ETH-Angestellte auf ETH-Kosten für eine ausländische Firma gearbeitet habe. Andere Anschuldigungen liessen sich nicht erhärten. Bei wieder anderen scheint sich das Team des Professors in einem Graubereich bewegt zu haben. Zu weiteren Compliance-Vorwürfen konnte Crowther keine Stellung nehmen, da er sich nach eigenen Angaben erstmals am Freitag damit konfrontiert sah, als der ETH-Bericht bereits publiziert war.