Die EU will den Ländern mit einem Finanzierungspaket von 800 Milliarden Euro zu Hilfe kommen. Viele Punkte des Programms sind umstritten.
Der amerikanische Präsident Donald Trump hat die europäischen Regierungen jüngst gleich zweimal schockiert. Vergangene Woche stritt er sich mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski über einen Rohstoffvertrag zugunsten der Amerikaner, und nun will er die Waffenlieferungen an die Ukraine zumindest vorübergehend einstellen.
Seit längerem schon überbieten sich europäische Regierungschefs und die EU-Kommission mit Vorschlägen, wie der Kontinent mehr Geld für die Ukraine und für die eigene Verteidigung bereitstellen könnte. Das ist ein schwieriges Unterfangen, denn viele Mitgliedsländer sollten eigentlich sparen, um ein Defizitverfahren der EU abzuwenden. Diese verfügt zudem über kein Verteidigungsbudget.
Die Lücke will die EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen mit verschiedenen Massnahmen teilweise füllen. Am Dienstag hat sie den EU-Regierungschefs einen Brief geschrieben und darin ein Finanzierungspaket von 800 Milliarden Euro vorgeschlagen. Am Donnerstag werden die Staatschefs an einem Gipfel in Brüssel darüber und über weitere Finanzierungsideen diskutieren.
Finanzierungsquellen für die Rüstung
- Aufhebung der Verschuldungsgrenze: Von der Leyens gewichtigster Vorschlag sieht vor, dass die Mitgliedsländer für Rüstungsausgaben die sogenannte Ausweichklausel aktivieren dürfen. Die Kosten für die Verteidigung fielen dann nicht unter die Defizitregeln der EU, wonach das Budgetdefizit höchstens 3 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen darf. Laut einer Berechnung von der Leyens kämen innerhalb von vier Jahren 650 Milliarden Euro zusammen, wenn die Mitgliedsländer die Verteidigungsausgaben um 1,5 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung (BIP) erhöhten. Falls die EU zu diesem Mittel greift, wird es schwierige Abgrenzungsfragen geben. Was fällt unter Militärausgaben? Nur der Kauf von Panzern oder auch die Sanierung von altersschwachen Brücken, damit schweres Militärgerät darüberfahren kann? Jedenfalls sind zur Ausweichklausel bereits Diskussionen unter den Mitgliedsländern im Gang. Deutschland und die Niederlande schlagen vor, dass nur jene Länder sie aktivieren dürfen, die bereits 2 Prozent des BIP für die Verteidigung ausgeben, also das Nato-Ziel erreichen. Andere Staaten möchten, dass diese Möglichkeit allen offensteht. Unter ihnen befinden sich Länder, welche die Schwelle von 2 Prozent noch lange nicht erreichen werden, etwa Italien und Spanien.
- Gemeinsame Schulden: Das ist ein verführerischer Gedanke, vor allem für stark verschuldete EU-Länder wie Italien und Frankreich. Für den Corona-Aufbaufonds nimmt die EU bereits Geld am Kapitalmarkt auf und leitet es teilweise als nicht rückzahlbare Beihilfen an die Mitgliedsländer weiter. Die EU droht dadurch aber in eine Schuldenfalle zu geraten. Sie muss nämlich die Zinsen und Rückzahlungen finanzieren, hat aber dafür von den Mitgliedsländern keine neuen Einnahmequellen bekommen, obwohl sie das versprochen hatten. Wenn die EU nun Geld am Kapitalmarkt für die Verteidigung aufnimmt, verschärft sich dieses Problem. Das ist auch der Kommission bewusst. Trotzdem möchte von der Leyen den Mitgliedsländern Darlehen für die Rüstung in Höhe von 150 Milliarden Euro gewähren. Das Geld soll vor allem für gemeinsame Einkäufe genutzt werden. Von der Leyen spricht explizit von einem Kredit, die Länder müssten das Geld also der EU zurückbezahlen. Am Kapitalmarkt kann sich die EU aufgrund ihres Ratings günstiger finanzieren als 20 der 27 Mitgliedsstaaten.
- Bestehende Fonds nutzen: Die EU verfügt über ein riesiges Budget für die regionale Entwicklung. Für die Jahre 2021 bis 2027 sind dafür 392 Milliarden Euro vorgesehen. Einen Teil davon bildet der Kohäsionsfonds. Ärmere Mitgliedsländer erhalten daraus Geld für Investitionen. Von der Leyen schlägt vor, dass Mitgliedsstaaten Fondsmittel für die Verteidigung statt für die regionale Entwicklung nutzen könnten. Ideen, den Kohäsionsfonds für andere Zwecke zu verwenden, hat es in der EU wiederholt gegeben. Vor allem die osteuropäischen Länder haben sich aber stets dagegen ausgesprochen.
- Jedes Land für sich: Einige Länder haben jüngst angekündigt, ihre Verteidigungsausgaben stark zu erhöhen. Frankreichs Finanzminister Eric Lombard etwa bekannte sich am Dienstag erneut dazu. Auch Belgien, das bisher säumig war, will einen Effort leisten. Die Ausgaben für die Verteidigung sollen in diesem Jahr auf 2 Prozent des BIP gestemmt werden. Fraglich ist, ob solche Mehrausgaben ohne Einschnitte bei anderen Staatsausgaben möglich sind. Lombard will die Sozialversicherungen allerdings nicht antasten, wie er am Dienstag sagte. Bei den Militärausgaben herrscht in Europa ein Ost-West-Gefälle. Polen gab 2024 über 4 Prozent des BIP für die Rüstung aus, Spanien lag bei bloss 1,3 Prozent. Es gibt also ein Trittbrettfahrerproblem: Länder nahe der russischen Grenze investieren viel, ferner gelegene Staaten wenig – wohl auch darauf vertrauend, dass die hochgerüsteten Polen auf Russland abschreckend wirken.
- Eingefrorene russische Gelder: In der EU sind rund 220 Milliarden Euro Vermögen der russischen Zentralbank eingefroren. Im Staatenbund flammt immer wieder die Diskussion auf, ob man dieses Geld an die Ukraine für Waffenkäufe weiterleiten könnte. Finnland, Polen und Estland haben diesen Vorschlag erneut gemacht. Völkerrechtler warnen derweil vor den Folgen eines solchen Schrittes. Er könnte dazu führen, dass staatliche Vermögen ihren völkerrechtlichen Immunitätsschutz verlieren: Länder in einem Konfliktfall also gleichsam ungeniert auf ausländische Guthaben zugreifen.
Die EU-Staatschefs werden am Donnerstag hart um eine gemeinsame Position ringen. Die Meinungsverschiedenheiten unter den Ländern, aber auch zwischen ihnen und der Kommission sind allerdings gross. Der polnische Verteidigungsminister etwa sagte am Dienstag, die EU solle den Mitgliedsländern Beihilfen und nicht Kredite gewähren.
Viktor Orban und Robert Fico, die Ministerpräsidenten Ungarns und der Slowakei, stellen sich ohnehin quer. Fico hält den Ansatz der EU, Russland durch militärischen Druck zum Frieden zu zwingen, für unrealistisch. Allerdings kann die Ausweichklausel aktiviert werden, wenn die zustimmenden Länder 65 Prozent der EU-Bevölkerung und 15 von 27 Regierungen repräsentieren. Eine Koalition der Willigen ist also möglich.