Die territoriale Integrität der Ukraine sei entscheidend, betont Brüssel. Donald Trump zeigt weiterhin wenig Interesse an einem Treffen mit Ursula von der Leyen – obwohl es eine gute Gelegenheit gäbe.
Der Druck auf die Ukraine steigt von Tag zu Tag – an der Kriegsfront, aber auch auf dem diplomatischen Parkett. Der amerikanische Präsident Donald Trump hat am Mittwoch seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodimir Selenski unverhohlen die Schuld für die stockenden Friedensverhandlungen in die Schuhe geschoben. Mit der möglichen Anerkennung der seit 2014 besetzten Krim als russisches Hoheitsgebiet sowie weiteren Punkten scheint Trump gleichzeitig zu weitreichenden Konzessionen gegenüber Russland bereit zu sein.
Die EU ist dazu verdammt, die Vorgänge von der Seitenlinie aus zu beobachten. Eine echte Rolle hat sie bei den Gesprächen noch nie gespielt – obwohl sie bei jeder Gelegenheit betont, dass eine Friedenslösung «ohne die Ukraine und ohne Europa» nicht möglich sei. Washington und Moskau haben dafür bislang kein Gehör.
So fällt die Reaktion der EU auf die neusten Entwicklungen denn auch in altbekannten Mustern auf: Unabhängigkeit, territoriale Unversehrtheit und Souveränität der Ukraine seien von «entscheidender Bedeutung», sagte ein Sprecher der Kommission am Donnerstag. Aus manchen EU-Mitgliedstaaten kommen ähnliche Wortmeldungen. So liess die französische Regierung verlauten, die Integrität und die europäische Berufung der Ukraine seien «wichtige Erfordernisse».
Kallas spricht Klartext – mehr als die anderen
Hinter vorgehaltener Hand ist unter EU-Diplomaten Empörung und Frustration darüber zu spüren, dass die amerikanische Regierung den russischen Forderungen derart weit entgegenkommt. Vor offenen Mikrofonen gibt man sich zurückhaltender. Angesichts der zahlreichen Differenzen mit Washington, dem lediglich aufgeschobenen Handelskrieg und der sicherheitspolitischen Abhängigkeit will Brüssel nicht unnötig Öl ins Feuer giessen – und Trump damit möglicherweise einen Steilpass für weitere Animositäten liefern.
Am klarsten äussert sich – getreu ihrem Naturell – noch die EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas. «Das wahre Hindernis ist nicht die Ukraine, sondern Russland, dessen Kriegsziele sich nicht geändert haben», schrieb sie auf X und nimmt die neuerlichen, tödlichen Luftangriffe auf Kiew als Beleg. «Das ist kein Streben nach Frieden, es ist eine Verhöhnung des Friedens.»
An die Adresse der USA sagte Kallas gegenüber AFP: «Sie haben Werkzeuge in der Hand, mit denen sie Russland unter Druck setzen können. Sie haben diese nicht benutzt.» Dass die USA in Erwägung ziehen würden, die Krim als russisches Territorium anzuerkennen, sei ein Fehler. «Dann bekommt Russland eindeutig, was es will», so die Chefdiplomatin. Die EU ihrerseits werde die Halbinsel niemals dem Aggressor-Staat zugestehen.
Nächstes Sanktionspaket auf dem Weg
Doch was sind die Phrasen angesichts der amerikanischen Realpolitik wert? Immerhin hat Europa den Trumpf der Sanktionen in der Hinterhand. Bereits 16 Sanktionspakete hat die EU seit Beginn der flächendeckenden Invasion vor drei Jahren gegenüber Russland beschlossen, Partnerländer – wie die Schweiz – haben diese grösstenteils übernommen. Das 17. Paket, das auf den russischen Ölhandel fokussiert, wird derzeit zwischen den Mitgliedstaaten ausgehandelt. Auch die USA haben Sanktionen verhängt.
Die wirtschaftlichen Vergeltungen, die Reisebeschränkungen für über 2000 russische Staatsbürger und die eingefrorenen Zentralbankgelder schmerzen Putins Regime – entsprechend versucht es, bei den laufenden Gesprächen auf eine Aufhebung der Sanktionen hinzuwirken. Die USA scheinen im Rahmen eines Abkommens zu Konzessionen bereit.
Aus Brüssel tönt es, zumindest für den Moment, noch dezidiert anders. Die wichtigste Vorbedingung für eine Lockerung oder gar Einstellung der Sanktionen sei «das Ende der russischen Aggression gegenüber der Ukraine und der bedingungslose Rückzug aller russischen Truppen», sagte ein Kommissionssprecher. Bis anhin erkenne man vonseiten Russlands jedoch «keinerlei Zeichen des guten Willens».
Rubio sagt kurzfristig ab
Sollte es dereinst zu einem Abkommen kommen, das die Kampfhandlungen beendet, wird die Ukraine robuste Sicherheitsgarantien benötigen, damit Russland seinen Feldzug bei nächstbester Gelegenheit nicht einfach fortführen kann. Die USA haben mehrfach deklariert, keine Soldaten zu entsenden. Im Rahmen der «Koalition der Willigen» führen Frankreich und Grossbritannien entsprechende Gespräche an.
Die Details stehen noch nicht fest – zu viel hängt von den Parametern eines Abkommens ab. Bei einem Treffen in London am Mittwoch sind keine namhaften Fortschritte erzielt worden. Nachdem der amerikanische Aussenminister Marco Rubio seine Teilnahme kurzfristig abgesagt hatte, reisten auch aus Frankreich und Deutschland keine Minister an.
Am Donnerstagabend trafen sich auch noch der britische Premierminister Keir Starmer und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in London. Im Zentrum standen Gespräche zur Energiesicherheit, aber es ist davon auszugehen, dass sie sich auch über die Zukunft der Ukraine unterhalten haben.
Trump lässt von der Leyen zappeln
Eine der grossen Fragen ist, wie Europa seine Anliegen am besten bei der amerikanischen Regierung deponieren kann. Bis anhin ignoriert Trump die EU-Institutionen weitgehend und bevorzugt, wenn überhaupt, bilaterale Treffen mit europäischen Staats- und Regierungschefs.
Am Samstag gäbe es anlässlich des Begräbnisses des Papstes im Vatikan nun eigentlich eine «einfache» Gelegenheit für ein Vieraugengespräch zwischen den Spitzen der EU und der USA. Doch Trump scheint von der Leyen weiterhin zappeln lassen zu wollen: Es sei kein Treffen bestätigt, heisst es vonseiten der Kommission. Aber wenn sich eine Möglichkeit bieten sollte, werde man diese «sicherlich ergreifen».