Die Israeli treten am Donnerstagabend in Paris gegen Frankreich an – ein Match mit Brisanz nach den Angriffen auf jüdische Fans. Israels Fussball ist seit dreissig Jahren in Europa verankert. Man spekulierte, dass dadurch weniger Risiken bestehen, als wenn es zu Direktduellen mit anderen Staaten aus dem Nahen Osten kommt.
Am Donnerstagabend ist die israelische Fussballnationalmannschaft in Paris zu Gast. Ihr Spiel in der Nations League gegen Frankreich soll von rund 4000 Polizisten gesichert werden. Unter ihnen soll sich eine Eliteeinheit befinden, die nah an der israelischen Mannschaft bleibt. Zudem rief Israels Rat für nationale Sicherheit Bürger seines Landes dazu auf, dem Stade de France fernzubleiben und öffentliche Sportveranstaltungen zu meiden. Am Dienstag waren von den 80 000 Tickets erst rund 20 000 verkauft.
Diese Massnahmen sind eine Reaktion auf das Spiel von Maccabi Tel Aviv in der vergangenen Woche bei Ajax Amsterdam. Maccabi-Fans wurden bedroht, schikaniert und verprügelt. Einige Opfer beschrieben die Attacken, die offenbar in sozialen Netzwerken geplant worden waren, als «Pogrom». Doch auch Maccabi-Ultras wurden gewalttätig.
Die Gewalt verdeutlicht, dass sich antisemitische und antiisraelische Einstellungen zunehmend im emotionalen und vermeintlich anonymen Umfeld des Fussballs entladen. Und das auf unterschiedliche Art: Israelische Nationalspieler wie Shon Weissman oder Liel Abada berichten von Morddrohungen gegen sie. Im Amateurfussball wurden Attacken auf die jüdischen Vereine von Makkabi dokumentiert, zuletzt am vergangenen Donnerstag in Berlin. Die Polizei will dort nun bei allen Makkabi-Spielen präsent sein.
Über diese brutalen Ausprägungen hinaus werden jüdische und israelische Fussballer in Mithaftung für die israelische Politik genommen. Seit dem 7. Oktober 2023, dem Tag des Angriffs der Hamas auf Israel und dem Beginn der folgenden Militäroffensive in Gaza, wurden zahlreiche Spiele von Demonstrationen begleitet. Fans von Celtic Glasgow oder Athletic Bilbao schwenken palästinensische Flaggen. Bei einem Länderspiel der israelischen Fussballerinnen in Schottland kettete sich ein Fan an den Torpfosten. Auf seinem T-Shirt war eine Botschaft platziert: «Rote Karte für Israel».
Seit Monaten fordern 300 palästinensische Sportorganisationen den Ausschluss Israels aus den Wettbewerben. Sie verweisen darauf, dass sich unter den mehr als 43 000 Toten in Gaza mindestens 400 Sportler, Trainer und Funktionäre befinden sollen. Und erhalten vielfältige Unterstützung, zum Beispiel von Abgeordneten aus Frankreich, Irland und Südafrika. Aber auch von der BDS-Bewegung, die Israel wirtschaftlich isolieren will und vom Bundestag als antisemitisch eingestuft wird. Im Internet wirbt BDS auch für Proteste, Sitzstreiks und «friedliche Störungen» bei Sportwettbewerben.
Der israelische Fussball ist seit rund dreissig Jahren in Europa verankert, obwohl das Land geografisch zu Asien gehört. Die Hoffnung bei der Massnahme war, dass die Sicherheit in Europa höher ist als bei Spielen im Nahen Osten. Geht diese Hoffnung nun endgültig verloren? Israels Fussballer fühlen sich abermals an den Rand gedrängt. Das ist allerdings keine neue Entwicklung, sondern auch die Folge einer jahrzehntelangen Geschichte mit vielen Versäumnissen.
Erst nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde Israel als vollwertiges Mitglied der Uefa akzeptiert
Bereits in den 1950er Jahren hatte etwa Libanon seinen Staatsbürgern den sportlichen Wettkampf gegen Israeli untersagt. Immer wieder boykottierten arabische Staaten Spiele gegen Israel oder forderten die Verlegung dieser in neutrale Länder. Immer wieder wurden israelische Delegationen von Sportereignissen ausgeschlossen, so etwa von den Asienspielen 1962 in Jakarta.
Der Sechstagekrieg 1967 und der Jom-Kippur-Krieg 1973 verschärften die Isolation Israels im Nahen Osten. An den Asienspielen 1974 in Teheran organisierten Vertreter aus Kuwait und dem Irak Proteste gegen Israel – die Volksrepublik China, Pakistan und Nordkorea schlossen sich an.
Ebenfalls 1974, zwei Jahre nach dem Attentat an den Olympischen Spielen in München auf die israelische Delegation mit elf Toten, schloss der Asiatische Fussballverband den jüdischen Staat aus. Vor den Asienspielen 1978 boten arabische Investoren dem Gastgeber Bangkok finanzielle Unterstützung an. Ihre Bedingung: der Ausschluss israelischer Sportler. Auch die Japaner unterstützten damals diesen Kurs, zu stark war ihre Abhängigkeit von arabischen Ölexporten.
Die Fifa drohte dem Asiatischen Fussballverband mit Suspendierung, doch der gerade gewählte Präsident des Weltverbands, João Havelange, wollte keinen Konflikt mit arabischen Ländern riskieren. Israel bemühte sich zum wiederholten Mal um einen Beitritt in den europäischen Spielbetrieb, aber die Uefa lehnte das auf Druck der Ostblockstaaten ab. So mussten die israelischen Fussballer mehrfach die Strukturen wechseln, sie spielten zeitweise sogar in Ozeanien.
Erst 1994, nach dem Zerfall der Sowjetunion, wurde Israel als vollwertiges Mitglied der Uefa akzeptiert. Und siehe da: Zunehmend wechselten israelische Spieler in europäische Ligen. 2013 war Israel Gastgeber der U-21-Europameisterschaft. Es wurden israelische Fanklubs des FC Liverpool, des FC Bayern oder von Real Madrid gegründet.
Doch auch in Europa wurden israelische Spieler an ihre Herkunft erinnert. Vor allem wenn die Lage im Nahen Osten eskalierte. Zum Beispiel 2014: Zwanzig zumeist türkischstämmige Jugendliche stürmten in der Nähe von Salzburg ein Testspiel von Maccabi Haifa. Oder 2015: Hooligans von ZSKA Sofia bewarfen Spieler des israelischen Vereins MS Aschdod mit Flaschen. Der islamistisch und der rechtsextrem motivierte Antisemitismus gingen Hand in Hand.
Bald darauf sah es so aus, als könnte sich die Lage entspannen. Israel nahm 2020 diplomatische Beziehungen zu den Vereinigten Arabischen Emiraten auf und pflegte pragmatische Beziehungen zu Katar und Saudiarabien. Diese drei Länder gehören zu den neuen Machtzentren des Fussballs. Und so gingen Sponsoren aus Israel und Abu Dhabi bald Partnerschaften ein. 2020 wechselte Dia Saba als erster israelischer Nationalspieler in einen arabischen Golfstaat, nach Dubai.
Israelische «Heimspiele» in Ungarn und Serbien
Seit dem 7. Oktober 2023 ist von diesem Aufbruch aber nichts mehr zu spüren. In Kriegszeiten bestreitet die israelische Fussballnationalmannschaft ihre «Heimspiele» in Ungarn. In der Europa League weicht Maccabi Tel Aviv nach Belgrad aus. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban und Serbiens Präsident Aleksandar Vucic stehen der zum Teil rechtsextremen Regierung Israels politisch nahe. Ungarn und Serbien sind auch die Länder, in denen weissrussische Teams seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine ihre internationalen Heimspiele bestreiten, eine Auflage der Uefa.
Die Fifa, die selten in der Öffentlichkeit eine klare Positionierung zu Israel formuliert hat, hält sich auch dieses Mal zurück. Sie will offenbar mit den israelkritischen Verbänden im Nahen Osten genauso im Gespräch bleiben wie mit den USA, dem wichtigsten Partner Israels und einem der nächsten WM-Gastgeber.
Und so scheinen sich Politik und Fussball in Israel wieder darin bestätigt zu fühlen, einsam einen Kampf zu führen. Israelische Fangruppen haben ihren Frust darüber in Stadien zum Ausdruck gebracht. Auch in Paris, vor dem Länderspiel gegen Frankreich, mobilisieren Gruppen aus Israel für Kundgebungen. Unter ihnen sind rechtsextreme, aber auch moderate Kräfte. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will am Donnerstagabend ebenfalls das Stadion besuchen, das vermutlich nur halb voll sein wird. Macron sieht seine Anwesenheit als «Botschaft der Brüderlichkeit und Solidarität».