Im April wurde tagelang darüber verhandelt, wie die Branche ihre Emissionsziele erreichen könne. Am Ende gab es einen Deal. Das sei ein Schritt nach vorne, sagen Beteiligte. Aber die geplanten Auflagen greifen dennoch zu kurz.
Jahrelang haben pazifische Inselstaaten für eine CO2-Abgabe in der Schifffahrt gekämpft, trotz Widerstand der grossen Schwellenländer und aufstrebenden Wirtschaftsmächte.
Mitte April kam der Durchbruch: Regierungsvertreter aus China, Brasilien, der EU und vielen anderen Staaten stimmten zum ersten Mal für eine Emissionsabgabe und damit einhergehende Normen für Brennstoffe.
Die Idee dahinter sei einfach, auch wenn die beschlossene Regelung sehr kompliziert sei, sagen Beteiligte und Verhandler. Die Auflage hat das Ziel, finanzielle Anreize für den Einsatz grüner Kraftstoffe zu schaffen. Sie soll Unternehmen dafür belohnen, wenn sie auf nachhaltige Alternativen umsteigen, oder sie für ihre Emissionen strafen. Es wird gemäss den Regeln nun auch möglich sein, mit Zertifikaten zu handeln. Die Einnahmen durch künftige Strafzahlungen sollen der Energiewende in der internationalen Schifffahrt zugutekommen, auch Entwicklungsländern. Die Verwendung müsse noch im Detail geklärt werden, sagen Experten.
Die Branche, die das infrastrukturelle Rückgrat des globalen Handels darstellt, ist ein zentrales Puzzlestück, um weltweit steigende Emissionen in den Griff zu bekommen. Heute macht die Schifffahrt rund 3 Prozent der CO2-Emissionen weltweit aus; in der EU etwa hält die Schifffahrt einen Anteil von rund 4 Prozent der CO2-Emissionen.
Der weltweite Anteil kann laut Hochrechnungen der IMO bis 2050 stark steigen. Das erklärt auch, warum Regierungsvertreter seit Jahren darüber verhandeln, wie die Industrie künftig ihren CO2-Fussabdruck reduzieren kann.
Die Vereinbarung von Mitte April ist also ein Erfolg für die kleinen Inselstaaten, könnte man meinen. Aber nach Jahren der Verhandlungen enthielten sie sich der Stimme bei der Abstimmung. Die Entscheidung gehe ihnen nicht weit genug, so die Begründung.
«Wir können kein Ergebnis unterstützen, das der vereinbarten Strategie nicht gerecht wird», sagte Manasseh Maelanga, Minister für Infrastrukturentwicklung der Salomonen, am Tag der Abstimmung Mitte April. Man könne nicht akzeptieren, dass die Schifffahrt weiterhin die Weltmeere und die Atmosphäre verschmutze, und so die globalen Emissionen weiter nach oben treiben.
Im Oktober soll die Vereinbarung endgültig angenommen werden. Experten und Beteiligte sagen, der Schritt sei eine Formalität, die IMO habe die dafür benötigte Mehrheit der Stimmen.
Kritik am CO2-Abkommen
Die Kritik der Inselstaaten ist dabei nicht nur auf das Anliegen zurückzuführen, rhetorischen und moralischen Druck auf die Verschmutzer auszuüben.
Die Inselstaaten im Pazifik stehen seit Jahren sinnbildlich für die Schäden des Klimawandels – ein Bild, das sie selber immer wieder stark medial in den Vordergrund rücken. Sie nutzen ihre Rolle als die unmittelbaren Opfer steigender Temperaturen so als Druckmittel, um sich in internationalen Foren zumindest Gehör für ihre klimapolitischen Forderungen zu verschaffen. Auch Umwelt-NGO kritisierten die Ergebnisse scharf.
Diesmal bezieht sich die Kritik aber vielmehr auf die eigenen Klimaziele der Meeresorganisation. Regierungen hatten sich 2023 nach wochenlangen Verhandlungen darauf geeinigt, netto null Emissionen um die Jahrhundertmitte zu erreichen. Dabei wurden auch Emissionsziele für die kommenden Jahrzehnte, unter anderem für 2030, formuliert.
Laut Berechnungen der UCL Shipping and Oceans Research Group werden die nun beschlossenen Auflagen die Treibhausgasemissionen um nur etwa 10 Prozent im Vergleich zum Niveau von 2008 reduzieren. Und das ist weit weniger als die «mindestens 20 Prozent» und «angestrebten 30 Prozent», zu denen sich die IMO in der überarbeiteten Klimastrategie im Jahr 2023 verpflichtet hatte.
«Grundsätzlich finde ich es beeindruckend, dass die IMO jetzt über Vorschriften verfügt, die ihre Dekarbonisierung vorantreiben», sagt Tristan Smith vom UCL Energy Institut. Er verfolgte die Verhandlungen vor Ort in London. Aber, sagt Smith, «aus wissenschaftlicher Sicht ist es sehr weit entfernt von dem, was notwendig ist».
Die internationale politische Lage erschwert Verhandlungen
Die Verhandlungen Mitte April fanden derweil vor einem geopolitischen Hintergrund statt, der schwieriger wohl kaum hätte sein können.
Die Trump-Regierung schickte keine Delegation nach London. In Washington ging derweil die Arbeit daran weiter, internationale und lokale Klimavorschriften auszuhebeln. Gleichzeitig belastet die amerikanische Zollpolitik Handelsbeziehungen weltweit.
Beteiligte sagen, dass das Ergebnis auch wichtig gewesen sei, um zu signalisieren, dass die internationale Zusammenarbeit in Klimafragen weitergehe. «Zu sehen und zu hören, wie etwa China und Brasilien ‹Ja› sagen, auch Indien, und die EU-27 und andere Länder – das war wirklich ein grosser Moment», erzählt Guy Platten, der Generalsekretär der Internationalen Schifffahrtskammer (ICS), vom Verhandlungsende. Es sei die erste weltweite CO2-Bepreisung überhaupt. Saudiarabien, aber auch die Vereinigten Arabischen Emirate und Russland haben derweil laut Beobachtern gegen die Auflagen gestimmt.
Aber auch er ist von den nun beschlossenen Emissionsvorgaben nicht vollkommen überzeugt. Denn die ICS hatte zusammen mit einer Allianz von Ländern, darunter Inselstaaten, afrikanische Länder, die EU und andere grosse Industriestaaten, im Vorfeld der Verhandlungen einen gemeinsamen Vorschlag für eine Treibhausgas-Abgabe vorgelegt. Obwohl die Allianz eigentlich eine Mehrheit zusammengebracht hat, kam ihr Vorschlag an den Petro-Staaten und grossen Schwellenländern nicht vorbei.
Das Ziel des gemeinsamen Vorstosses? «Das Kostengefälle zwischen Treibstoffen mit null oder nahezu null Treibhausgasemissionen, allen voran grünes Methanol, Ammoniak und Wasserstoff, und herkömmlichen Treibstoffen in der Schifffahrt zu verringern.» Gleichzeitig sollten die Einnahmen dazu verwendet werden, die Herstellung und den Einsatz von grünen Treibstoffen zu belohnen. Auch würde die Branche so jährlich mehrere Milliarden Dollar zur Unterstützung vom Klimawandel betroffener Entwicklungsländer bereitstellen – ein hart umkämpftes Anliegen für viele Regierungen.
Der nun angenommene Kompromiss ist schwächer, die geplante Abgabe sehr viel geringer, die erwarteten Einnahmen sind kleiner. Das sagen nicht nur die bitter enttäuschten Inselstaaten, sie können die Umstellung auf grüne Technologien finanziell allein nicht stemmen. Auch Forscher wie Smith und Platten von der Handelskammer sagen das in Gesprächen.
Laut den Experten der UCL werden die geplanten Regelungen in den kommenden Jahren nicht genügend Anreize für die benötigten Investitionen in die branchenweite Energiewende schaffen. Die Sorge teilt auch Platten.
Für den ICS, der die Schifffahrtsunternehmer vertritt, geht es nun vor allem um eine Sache: darum, sicherzustellen, dass das endgültige Bepreisungssystem Lieferanten von Kraftstoffen dazu bringen wird, die grünen Alternativen in grossem Umfang herzustellen. «Es geht nicht nur um ein paar hunderttausend Tonnen grüner Kraftstoffe», sagt Platten. «Sondern um Millionen und Hunderte von Millionen Tonnen neuer Brennstoffe, die benötigt werden, um die 300 Millionen Tonnen fossiler Brennstoffe zu ersetzen, die derzeit verwendet werden.»
Sonst, sagt er, «handelt es sich nur um eine Steuer für die Wirtschaft». Das klimapolitische Ziel sei damit sicher nicht erreicht, am Ende geben Unternehmen Strafzahlungen einfach an die Kunden weiter und preisen sie als zusätzliche Kosten in ihr Geschäft ein.
Der dänische Konzern Maersk – das zweitgrösste Schifffahrtsunternehmen der Welt – hatte sich beispielsweise für eine Abgabe von 600 Dollar pro Tonne CO2 ausgesprochen. Das Unternehmen investiert schon heute in die teuren grünen Alternativen, für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit sind ambitionierte und verpflichtende Emissionsregeln zentral.
Für Morten Bo Christiansen, der für Maersk das Thema Energiewende betreut, ist das Ergebnis dennoch ein erster guter Kompromiss. Er schreibt auf Linkedin, dass die Kombination aus Belohnung und Zertifikatehandel Treibstoffe mit stark reduzierten Emissionen belohnen würde. Die Preisschere zu fossilen Kraftstoffen werde aber «wohl nicht vollständig geschlossen werden».
Es steht also noch viel Arbeit an. Auch Morten Bo Christiansen weist warnend darauf hin, dass zukünftige Strafzahlungen «zu einer finanziell attraktiven Option» werden könnten. Die Branche werde sich in den kommenden Wochen im Rahmen der ICS zusammensetzen, um herauszuarbeiten, was genau auf die Unternehmen nun zukomme, sagt Platten und fügt hinzu: «Der Teufel steckt im Detail.»