Der Doppelschlag gegen Hamas und Hizbullah ist aus israelischer Sicht ein Coup. Doch der «Ring des Feuers», den Iran um den jüdischen Staat gelegt hat, wird noch gefährlicher. Jetzt sind Israels Verbündete gefordert.
Im vergangenen November, vor einer gefühlten Ewigkeit, sagte Ministerpräsident Benjamin Netanyahu einen vielbeachteten Satz: Er habe den Auslandgeheimdienst Mossad angewiesen, die Anführer der Hamas ins Visier zu nehmen, «wo auch immer sie sind». Was damals viele als leere Drohung abtaten, erscheint heute in einem anderen Licht: Ismail Haniya, der oberste politische Führer der Islamisten aus Gaza, ist in der Nacht auf Mittwoch getötet worden – und das ausgerechnet in Teheran, unter den Augen der Führungsmacht der antiisraelischen «Achse des Widerstands».
Zwar hat sich Israel nicht zu dem Angriff bekannt, doch sowohl Iran wie auch die Hamas beschuldigten umgehend den jüdischen Staat, einen Luftangriff auf Haniya ausgeübt zu haben. Nur Stunden zuvor hatte die israelische Armee in Beirut Fuad Shukr, den wichtigsten Militärstrategen der libanesischen Schiitenmiliz Hizbullah, angegriffen und nach eigenen Angaben getötet. Damit reagierte Israel auf einen mutmasslichen Hizbullah-Angriff auf die Drusen-Stadt Majdal Shams in den besetzten Golanhöhen, bei dem zwölf Kinder und Jugendliche getötet worden waren.
Der Doppelschlag gegen Hamas und Hizbullah ist eine Machtdemonstration Israels und seiner berüchtigten Geheimdienste. «Wir können euch überall erreichen», ist die Nachricht, die an Israels Feinde gesendet wird. Insbesondere die Tötung von Ismail Haniya mitten in Teheran wirkt wie ein ausgestreckter Mittelfinger gegen das iranische Regime. Gleichzeitig ist die bereits zum Bersten gespannte Situation im Nahen Osten noch sehr viel gefährlicher geworden – ein regionaler Flächenbrand scheint so wahrscheinlich wie nie zuvor.
Israel und der Hizbullah stolpern in Richtung Krieg
Auch wenn die Angriffe sowohl für die Hamas als auch für den Hizbullah einen schweren Schlag darstellen, haben die Versuche der Abschreckung gegenüber der von Iran gesteuerten «Achse des Widerstands» ihr Ziel wohl nicht erreicht. Es ist davon auszugehen, dass Iran diesen Angriff auf sein Staatsgebiet nicht ohne Reaktion hinnehmen wird. Die iranische Raketensalve im April, in deren Rahmen Teheran über 300 Flugkörper in Richtung Israel losschickte, war nur eine Kostprobe der militärischen Fähigkeiten des Regimes.
Ebenso wird der Hizbullah die Tötung seines Strategiechefs nicht unbeantwortet lassen. Und auch die Huthi in Jemen dürften sich nun ermutigt fühlen, umso mehr Drohnenangriffe gegen Israel zu starten. Von der im Gazastreifen schwer angeschlagenen Hamas hat Israel am wenigsten zu befürchten. Allerdings dürften die Verhandlungen rund um einen Waffenstillstand und die Freilassung von Geiseln bis auf weiteres eingefroren werden. Die von manchen gehegte Hoffnung, dass sich die Lage im Nahen Osten bald beruhigt, scheint vorerst begraben.
Der grösste Gefahrenherd liegt an der israelisch-libanesischen Grenze. Zwar haben weder Israel noch der Hizbullah zum jetzigen Zeitpunkt ein Interesse an einem offenen Krieg – doch sie stolpern genau in Richtung dieses Horrorszenarios. Darin hätten beide Seiten viel zu verlieren, aber nur wenig zu gewinnen. Sollte es dazu kommen und träte auch Iran an der Seite seines Schützlings in einen solchen Krieg ein, könnten sich die westlichen Verbündeten Israels, allen voran die USA, nicht mehr von diesem Konflikt fernhalten.
Tausend Nadelstiche gegen Israel
Die Macht des sogenannten «Rings des Feuers», den Iran mithilfe zahlreicher islamistischer Milizen um Israel gelegt hat, ist nicht zu unterschätzen. Iran hat einen Weg gefunden, seinen Erzfeind aus allen Richtungen mit tausend Nadelstichen anzugreifen und zu Reaktionen zu zwingen – es ist eine Strategie, die auf Langfristigkeit ausgelegt ist. 75 Jahre nach seiner Gründung befindet sich Israel einmal mehr in einem Kampf um sein Überleben. Es ist klar, dass das kleine, von Feinden umringte Land diesen nicht alleine bestehen kann.
So sind nun Israels Partner auf der ganzen Welt gefragt. In erster Priorität müssen sie rasch handeln, um einen Flächenbrand im Nahen Osten zu verhindern und die Situation in enger Abstimmung mit Israel zu deeskalieren. Mittelfristig braucht es eine Strategie für die Eindämmung Irans und seiner «Achse des Widerstands». Zu lange hat der Westen die iranische Bedrohung ignoriert und kleingeredet.
Das Regime in Teheran wird nicht von seinen Versuchen ablassen, mithilfe seiner verbündeten Milizen zur führenden Regionalmacht im Nahen Osten aufzusteigen und sämtliche westlichen Einflüsse zu bekämpfen. Dabei erhält es Rückendeckung von Russland und China, die ihrerseits einen Feldzug gegen die westliche Werteordnung führen. Gerade deshalb darf Israel in seinem Überlebenskampf nicht alleingelassen werden. Von Washington bis Brüssel sind Besonnenheit, strategische Weitsicht und klare Bekenntnisse zu Israels Sicherheit gefordert.