Die Verteidigungsminister diskutierten über eine mögliche Rückversicherungstruppe – ohne die USA. Zu den Details schweigen sie, um Wladimir Putin «nicht schlauer zu machen».
Vom Krieg war in den letzten Tagen oft die Rede – allerdings zumeist vom Handelskrieg, den der amerikanische Präsident Donald Trump mit seiner schlingernden Zollpolitik losgetreten hatte. Dass gleichzeitig die Kämpfe auf dem ukrainischen Schlachtfeld mit unverminderter Härte andauern, rückte angesichts der wirtschaftlichen Verwerfungen in den Hintergrund.
Wann die Waffen dereinst schweigen werden, ist völlig offen. Zwischen den USA und Russland haben, ohne ukrainische oder europäische Beteiligung, entsprechende Verhandlungen stattgefunden – mit wenig zählbaren Ergebnissen. Indem er unrealistische Forderungen stellt, lässt der russische Präsident Wladimir Putin sein Gegenüber bis auf weiteres zappeln.
Klar ist jedenfalls: Endet der Krieg mit einem wie auch immer gearteten Friedensvertrag, wird die Ukraine Sicherheitsgarantien ihrer Partnerländer benötigen. Russland darf, nach einer kurzen Atempause vielleicht, in seinem expansionistischen Bestreben nicht einfach weiterfahren. Dafür wird die ukrainische Armee weiter aufgerüstet werden müssen, genauso wie die europäischen Streitkräfte ihr Abschreckungspotenzial zu vergrössern haben. Zur Diskussion steht aber auch eine physische Präsenz von europäischen Soldaten, nunmehr oft als «Rückversicherungstruppe» bezeichnet. Ob diese auf ukrainischem Boden oder in Nachbarstaaten stehen würden, ist offen.
Die USA sind von Anfang an nicht dabei
Um derartige Fragen zu klären, hat sich nach dem Eklat zwischen Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski im Weissen Haus eine Gruppe von Ländern zusammengetan, die sich «Koalition der Willigen» nennt. Angeführt wird sie von Grossbritannien und Frankreich, die beiden ersten Treffen auf höchster politischer Ebene haben dementsprechend in London und Paris stattgefunden. Die USA – deren Verteidigungsminister Pete Hegseth im Februar unmissverständlich klargemacht hat, dass sein Land keine Truppen in die Ukraine entsenden werde – waren von Anfang an nicht dabei.
Daran hat sich nichts geändert, wie sich am Donnerstag in Brüssel zeigte. Zum ersten Mal kam die Koalition auf Ebene der Verteidigungsminister zusammen, teilgenommen haben dreissig Staaten, darunter auch die Ukraine. Obwohl die Sitzung formell nicht von der Nato organisiert war, fand sie in deren Hauptquartier statt.
Mehrere der anwesenden Minister bemühten sich, dem Veranstaltungsort keine besondere Bedeutung zukommen zu lassen. Man dürfe dies nicht als Zeichen dafür werten, dass die Verteidigungsallianz in die Pläne involviert sei, lautete der Tenor. Am Freitag wird gleichenorts das ähnlich zusammengesetzte Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe abgehalten. Auch diesem dürfte Hegseth fernbleiben. Weil er aber per Videoschaltung zugeschaltet sein sollte, wollen Diplomaten hinter vorgehaltener Hand darin kein weiteres Zeichen einer Entfremdung zwischen Nato und USA erkennen.
Was sind Trumps Worte wert?
Zentraler Punkt der Gespräche der Willigen-Koalition waren die Modalitäten einer potenziellen Rückversicherungstruppe. Der britische Verteidigungsminister John Healey präsentierte gleich zu Beginn die vier Ziele, die diese zu erfüllen habe: gesicherte Lufthoheit, gesicherter Meerzugang, keine Kampfhandlungen am Boden und eine starke ukrainische Armee.
Das Treffen wurde hinter verschlossenen Türen abgehalten, gesicherte Informationen sind spärlich. Dem Vernehmen nach drehte sich die Diskussion unter anderem darum, was eine derartige Truppe ohne Garantien aus Washington wert ist. Die Verteidigungsminister Schwedens, Finnlands und der Niederlande sagten vor dem Treffen, dass eine amerikanische Beteiligung «entscheidend» sei, während sich etwa Frankreich und Lettland auch ein autonomeres Vorgehen vorstellen könnten.
Unverrückbar scheint, dass die USA keine «boots on the ground» wollen. Manche europäischen Staaten hoffen aber, dass die mächtigste Militärmacht der Welt immerhin mit Logistik, nachrichtendienstlichen Informationen und allenfalls Luftverteidigung aushelfen würde. Entsprechende Signale aus dem Weissen Haus bleiben vorerst freilich aus.
Und selbst wenn Trump Zusicherungen geben würde: Könnten die Europäer wirklich auf diese zählen, oder stellt der amerikanische Präsident, wenn es darauf ankommt, plötzlich irgendwelche Forderungen auf?, wie sich eine gut informierte Person fragt. Die Unberechenbarkeit des amerikanischen Präsidenten hinterlässt in Europa auch in sicherheitspolitischer Hinsicht tiefe Spuren. Letztlich will die «Koalition der Willigen» an Trump das Signal aussenden, dass sie im Falle eines Waffenstillstands, so gut es geht, bereitstünde – und nicht erst dann mit den strategischen Planungen anfangen würde.
Wie viele Soldaten brauchte es?
Kurz vor dem Treffen seien die Generalstabschefs Frankreichs und Grossbritanniens in die Ukraine gereist – um sich vor Ort ein Bild der Lage zu machen, aber auch um zu den Vorstellungen der ukrainischen Regierung etwas aus erster Hand zu vernehmen, teilte das französische Verteidigungsministerium Anfang Woche mit.
Dabei habe man auch über konkrete Punkte, etwa über die Grösse einer Rückversicherungstruppe, gesprochen, sagte der ukrainische Präsident Selenski zu «Politico». Beim Treffen in Brüssel gaben sich die Verteidigungsminister zumindest gegenüber den Medien zugeknöpfter – bei der Frage nach der notwendigen Truppenstärke wichen sie allesamt aus. «Das hängt wirklich vom Zweck der Mission ab», sagte der niederländische Verteidigungsminister Ruben Brekelmans stellvertretend.
Der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu versicherte nach dem Treffen immerhin, dass sich verschiedene Staaten in Bezug auf ihre Beteiligung an der Rückversicherungstruppe «zu positionieren beginnen». Was das konkret heisst, wollte er nicht verraten. Nur so viel: Sie hätten bei den Diskussionen die «politische wie auch militärische Machbarkeit» dargelegt, so Lecornu. Sein britischer Amtskollege Healey ergänzte, dass es «nur den russischen Präsidenten Wladimir Putin schlauer mache», wenn man Pläne enthülle und sie öffentlich diskutiere.
Nicht weniger als 200 Personen sind gemäss Aussagen der beiden in die Planungen involviert. Es handle sich dabei hauptsächlich um Franzosen und Briten, wobei sich immer mehr Länder aktiv einbrächten, sagten sie, ohne diese zu benennen. Zwischen den Koalitionspartnern sei man nun so verblieben, dass man weitere Details schriftlich austausche. Eine Zwischenbilanz ist für Ende nächster Woche geplant.