Trotz starkem Gegenwind schaffte Beryl Markham 1936 einen Rekordflug. Doch die Britin war nicht nur als Pilotin talentiert: Ernest Hemingway lobte sie als Schriftstellerin in den höchsten Tönen.
Sie als Multitalent zu bezeichnen, ist vermutlich die Untertreibung des frühen 20. Jahrhunderts: Die 1902 in England geborene Beryl Markham ist Pferdetrainerin, Mechanikerin, Schriftstellerin und noch vieles mehr. Am erfolgreichsten ist sie allerdings als Pilotin. Früh am Abend des 4. September 1936 startet sie auf dem Royal-Air-Force-Flugfeld Abingdon in England zu einem äusserst waghalsigen Vorhaben.
Der Flugplatz wurde ausgewählt, weil er eine sehr lange Startbahn hat. Denn die mit zusätzlichen Treibstofftanks befüllte und überladene Maschine ist nur schwer in die Luft zu bringen. Das Ziel: gegen den Wind nonstop allein über den Atlantik nach New York zu fliegen. Sowohl in Europa als auch in den USA träumen die Menschen von einer direkten Flugverbindung von London nach New York. Für wagemutige Piloten und Pilotinnen, die diese Strecke erstmals nonstop bewältigen, ist deshalb ein Preisgeld ausgeschrieben.
Markhams nagelneues Flugzeug vom Typ P.10 Vega Gull des britischen Herstellers Percival Aircraft ist allerdings nur ausgeliehen. Es gehört einem Aristokraten, der später im Jahr mit der Einmotorigen am Flugrennen von London nach Johannesburg in Südafrika teilnehmen will. Er überlässt es Markham mit der Massgabe, bis Ende des Monats mit der Maschine wieder in England zu sein.
Die Vega Gull ist ein zu dieser Zeit hochmoderner Tiefdecker, also versehen mit Flügeln, die an der Unterseite des Rumpfs angesetzt sind. Die Maschine verfügt über einen 205 PS starken Sechszylindermotor und vier Sitze. Drei von ihnen werden ausgebaut, um genügend Platz für Zusatztanks in der Kabine auf dem Transatlantikflug zu haben. 935 Liter Treibstoff sollen für den Flug bis New York reichen.
Das Wetter erlaubt keine grosse Flughöhe
Markham ist bereits seit dem 1. September auf den Start vorbereitet und wird angesichts wechselnder Wetterprognosen zusehends ungeduldig. Deshalb entscheidet sie sich spontan, am 4. September abzuheben. Das Wetter auf der Strecke ist aber deutlich schlechter als erhofft, und zu allem Unglück verschwindet ihre detaillierte Streckenkarte schon nach kurzer Zeit aus einem Cockpitfenster ins Freie.
Sie fliegt nun in Dunkelheit meist in weniger als tausend Meter über dem Meer, denn weiter oben würde die Gefahr bestehen, dass die Tragflächen oder der Vergaser vereisen könnten. Obwohl die Vega Gull eine Reisegeschwindigkeit von 240 km/h besitzt, schafft sie wegen des starken Gegenwinds über dem Atlantik manchmal nicht mehr als tatsächliche 145 km/h über Grund.
Nach mehr als zwanzig Stunden Flug erreicht Markham Nordamerika. Die Ankunft dort gestaltet sich allerdings völlig anders als geplant. Eine Notlandung wegen des bereits zweiten und diesmal nicht mehr zu behebenden Motorausfalls im Flug endet mit einem Kopfstand der Vega Gull in morastigem Gelände nahe der neuschottischen Stadt Main-à-Dieu. Formvollendet erklärt die am Kopf verletzte Markham herbeieilenden Fischern im kanadischen Neuschottland, die ihr zu Hilfe kommen, dass sie eine britische Pilotin sei. Und fragt höflich, ob sie vielleicht telefonieren dürfe.
Trotz diesem vermeintlichen Misserfolg erlebt sie nach der Ankunft in New York einige Tage später einen triumphalen Empfang vor 5000 begeisterten Amerikanern. Denn sie ist erst der zweite Mensch, der allein den Nonstopflug von Ost nach West über den Atlantik absolviert hat. Zuvor war er zwar bereits einem schottischen Piloten gelungen. Dieser war allerdings in Irland gestartet und hatte deshalb eine kürzere Distanz zu fliegen.
Markham wird als aussergewöhnlich attraktive Frau beschrieben. Die Männerwelt liegt der grossgewachsenen und charismatischen Blondine, die mit etlichen Konventionen bricht, zu Füssen. Durch ihre grösstenteils in Afrika verbrachte Kindheit hat Markham einen starken Bezug zu Kenya, wohin sie immer wieder zurückkehrt. 1927 heiratet sie in Grossbritannien zum zweiten Mal und bekommt 1929 einen Sohn. Als die Ehe noch im gleichen Jahr scheitert, lässt sie ihr Kind bei den Grosseltern in England und kehrt erneut nach Kenya zurück.
In dieser Ära lernt sie die in der Nähe von Nairobi lebende dänische Farmerin und Schriftstellerin Karen Blixen kennen, später berühmt durch ihre Autobiografie «Afrika, dunkel lockende Welt». Das Buch wurde 1985 von Hollywood unter dem Titel «Jenseits von Afrika» verfilmt und zum Welterfolg. Markham, die insgesamt dreimal verheiratet war und angeblich etliche Liebschaften pflegte, sagt man auch eine Liaison mit Blixens Ehemann Bror sowie deren gemeinsamem Freund und Grosswildjäger Denys Finch Hatton nach.
Ihre aber wohl einzige grosse Liebe ist der Pilot und Fluglehrer Tom Campbell Black, der ihr zu Beginn der 1930er Jahre in Nairobi das Fliegen beibringt. Der Brite ist temporär mit ihr liiert, will dann aber zu ihrer Enttäuschung eine Schauspielerin heiraten. Markham wird in dieser Zeit zu einer der ersten Berufspilotinnen in Afrika.
Die gebürtige Engländerin sieht in der Fliegerei zwar eine grosse Leidenschaft, aber sie hat noch weitere. Mit 17 Jahren ist sie bereits Trainerin für Rennpferde in Kenya, da die britische Oberschicht auch in ihrer damaligen Kolonie in Ostafrika gerne dem Pferdesport frönt.
Im langen Schatten von Amelia Earhart
Nach ihrem Rekordflug und dem wenig später folgenden Ende ihrer Pilotenlaufbahn, die auch mit dem Tod ihrer grossen Liebe Tom Campbell Black nur zwei Wochen nach ihrer Atlantiküberquerung zusammenhängt, zieht sie erneut von England zurück nach Kenya.
Markham steht zudem trotz ihrem immensen fliegerischen Erfolg zeitlebens im Schatten einer anderen Pilotin, die in der gleichen Ära vor ihr grösste aviatische Bestmarken erzielt: Amelia Earhart. Die fünf Jahre ältere Amerikanerin aus dem US-Gliedstaat Kansas rebelliert ähnlich wie ihre britische Pilotenkollegin schon früh gegen die in der damaligen Zeit herrschenden starren Konventionen – und wird mit ihren Rekordflügen in den 1930er Jahren zu einer Ikone sowohl der Luftfahrt als auch der Frauenbewegung.
Bereits im Jahr 1928 will Earhart als Teil einer Crew die erste Atlantiküberquerung angehen. Deshalb fliegt die 30-Jährige mit zwei Piloten von Halifax in Kanada nach Burry Port im Süden von Wales in Grossbritannien. Aus Publicity-Gründen ist Earhart zwar offiziell Captain der Crew, sie steuert das Flugzeug aber keine Sekunde selbst. Vier Jahre später startet sie 1932 in Neufundland selbst als Pilotin und fliegt eigenhändig als erste Frau allein in einer einmotorigen Maschine nonstop über den Atlantik bis nach Irland, wo sie anstelle des eigentlichen Flugziels Paris notlanden muss. Später stürzt sie bei einer geplanten Weltumrundung auf der Höhe des Äquators Anfang Juli 1937 im Pazifik zusammen mit ihrem Navigator ab. Ihre Zweimotorige vom Typ Lockheed Electra wird nie gefunden und Earhart zum tragischen Mythos.
Markham wiederum wandert nach dem Ende ihrer Pilotenkarriere 1939 mit ihrem dritten Ehemann in den US-Gliedstaat Kalifornien aus. Dort veröffentlicht sie im Jahr 1942 ihre Autobiografie «Westwärts mit der Nacht». Das Buch, das hauptsächlich ihr abenteuerliches Leben als Pilotin beschreibt, findet in Zeiten des Zweiten Weltkriegs aber keine grosse Beachtung und erreicht nur eine geringe Auflage. Allerdings lobt der spätere Literatur-Nobelpreisträger Ernest Hemingway das Werk schon kurz nach dessen Erscheinen in den höchsten Tönen. 1952 kehrt Markham nach erneuter Scheidung zurück nach Kenya.
Ein Brief, in dem Hemingway das herausragende literarische Talent von Markham würdigt, wird erst im Jahr 1982 bekannt. Daraufhin wird ihr Buch 1983 erneut veröffentlicht. Vierzig Jahre nach der ersten Auflage wird es auf einmal zum Bestseller.
Markham kann diesen späten Ruhm als Autorin zumindest noch einige Zeit geniessen. Sie lebt nach wie vor in Kenya und arbeitet dort weiter als hochangesehene Pferdetrainerin. Drei Jahre nachdem sie durch die erneute Buchveröffentlichung noch einmal ins internationale Rampenlicht geraten ist, stirbt sie am 3. August 1986 im Alter von 83 Jahren in ihrem Haus in Nairobi. Ein ungezähmtes und höchst abenteuerliches Leben geht infolge einer Lungenentzündung zu Ende.