Fahrerlose Taxis sind in San Francisco, Los Angeles und Phoenix schon Alltag, nun will die Google-Tochter Waymo weitere Grossstädte erobern. Auch Amazons Zoox und Teslas Robotaxis sind bereit.
Die Sightseeing-Liste für San Francisco ist um eine Attraktion reicher. Am Ghirardelli-Square steht eine Besuchergruppe mit gezückten Smartphones, doch sie filmen nicht die Golden-Gate-Brücke oder die Gefängnisinsel Alcatraz – sondern ein Robotertaxi, das gerade vorfährt. Der weisse Jaguar hält am Strassenrand, eine Anzeige auf dem Dach zeigt die Initialen des Fahrgasts. Der öffnet das Auto per Bluetooth von seinem Smartphone aus und steigt ein. Wie von Geisterhand bewegt sich das Lenkrad, als sich das Auto in den Strassenverkehr einfädelt.
Die Robotaxis erkennt man schon von weitem: Waymo hat auf dem Dach der weissen Elektro-Jaguars Kameras installiert sowie Radarsysteme und Lidar-Sensoren entlang der Karosserie. Rund 300 dieser «Waymos» düsen inzwischen über die Strassen San Franciscos, Jedermann kann sie im gesamten Stadtgebiet nutzen. Wie bei Uber bestellt man sich das Fahrzeug über eine Smartphone-App, auch die Preise sind vergleichbar – nur dass es keinen Fahrer gibt, dem man Trinkgeld geben oder mit dem man Small Talk machen muss.
San Francisco zählt zu den wenigen Städten in den USA, in denen die fahrerlosen Autos der Google-Tochter bereits regulär im Strassenverkehr fahren; andere Städte sind Phoenix, Los Angeles und Austin. Der Erfolg der Robotaxis ist bemerkenswert: Innerhalb von eineinhalb Jahren sind die Waymos zum zweitbeliebtesten Fahrdienst in San Francisco aufgestiegen, hinter Uber und vor dem Konkurrenten Lyft sowie regulären Taxis. 500 000 Passagiere nutzten die Robotaxis in Kalifornien allein im August 2024.
Insgesamt sind die Robotaxis bisher fünf Millionen Meilen mit Passagieren gefahren – vier Millionen davon allein im vergangenen Jahr.
Bald werden es noch mehr werden, denn weitere Big-Tech-Konzerne wollen ihre selbstfahrenden Autos als Taxidienste anbieten. 2025 dürfte in den USA das Jahr der Robotaxis werden.
Kooperation mit dem Konkurrenten Uber
Da sind zunächst Waymos eigene Expansionspläne: In den kommenden Monaten wird die Google-Tochter in Dallas, Atlanta und Miami aktiv werden. Dafür kooperiert man mit dem Konkurrenten Uber: Der erhält einen Anteil am Umsatz der Robotaxis, Waymo umgekehrt Zugriff auf Zehntausende potenzielle Kunden.
«Das Ziel ist es, dass wir unser Produkt so vielen Nutzern wie möglich zugänglich machen», erklärte der Co-CEO Dmitri Dolgov jüngst in einem Podcast. Auch international wolle man expandieren, «das beinhaltet Europa». Welche Städte man dort wann erschliessen wolle, dazu äusserte er sich nicht. Die erste Stadt ausserhalb der USA wird nun Tokio sein: Dort wird Waymo seine Fahrzeuge erstmals im Linksverkehr testen.
«Ich bin wahnsinnig stolz auf das, was wir geschafft haben», sagte der Erfinder von Waymo, Sebastian Thrun, jüngst gegenüber der NZZ. Es habe 16 Jahre gedauert, bis man zu diesem Punkt gelangt sein, «aber im Grossen und Ganzen ist das gar nicht so lange.»
General Motors hat seine Robotaxi-Sparte eingestellt
Bisher war Waymo in den USA weitgehend konkurrenzlos, denn mehrere Mitstreiter sind an schweren Pannen gescheitert: Der Fahrdienstleister Uber hatte bis 2020 ebenfalls an einem selbstfahrenden Auto getüftelt. Doch ein tödlicher Unfall in Phoenix beendete die Pläne 2018: Ein selbstfahrendes Auto der Firma raste auf einer Testfahrt nachts in eine Obdachlose. Die Sicherheitsfahrerin hinter dem Lenkrad hatte zu spät reagiert; eine Untersuchung ergab später, dass sie statt auf die Strasse auf ihr Smartphone geschaut hatte. Dennoch ging der Vorfall in die Geschichte ein: als erster Tod durch ein selbstfahrendes Auto.
Auch die Arbeit von Waymos Konkurrenz Cruise fand ein jähes Ende: Die Robotaxi-Sparte von General Motors hatte wie Waymo im Sommer 2023 die Lizenz erhalten, in San Francisco einen fahrerlosen Taxidienst anzubieten. Doch wenige Wochen später überfuhr ein Cruise-Taxi eine Passantin, die bei Rot über eine Ampel gegangen und von einem anderen Auto umgefahren worden war, und schleifte die Frau mehrere Meter mit sich mit. Bei der Aufarbeitung des Vorfalls unterschlug Cruise dann wichtige Informationen. Die Stadt entzog der Firma daraufhin die Lizenz; General Motors hat nun im vergangenen Dezember angekündigt, Cruise ganz einzustellen.
Entsprechend ist Waymo bisher der Platzhirsch im Markt für Robotaxis. Doch das könnte sich bald ändern: Zwei weitere Tech-Konzerne wollen in den kommenden Monaten ihre eigenen Robotaxidienste lancieren.
Amazon investiert in ein Fahrzeug ohne Lenkrad und Pedale
Der Amazon-Konzern übernahm 2020 das Robotaxi-Startup Zoox für 1,2 Milliarden Dollar. Anders als Waymo baut Zoox seine Technologie nicht auf die Karosserie einer Partnerfirma, sondern hat ein eigenes, neuartiges Fahrzeugkonzept erarbeitet: Die Zoox-Autos sehen von aussen betrachtet aus wie riesige Toaster auf Rädern. Es sind Zweirichtungsfahrzeuge, sie können also mit jedem Ende fahren. Im Innenraum gibt es kein Lenkrad und keine Pedale mehr, sondern nur noch eine grosse Fahrgastzelle, in der sich die Passagiere gegenübersitzen.
Darüber hinaus erhebt die Firma fleissig Daten zum lokalen Strassenverkehr. Dafür hat sie Fahrzeuge von Toyota mit Kameras, Sensoren und Lidar-Systemen aufgerüstet, die die Strassen in San Francisco und anderen Testmärkten tagtäglich vermessen. Doch wie in einem Bienenstamm sind die Toyotas nur die Arbeiterinnen, die der Königin zuarbeiten. Für den Taxidienst selbst will man später ausschliesslich die Königsklasse einsetzen, also die Toaster-ähnlichen Mobile.
Diese Zoox-Mobile befinden sich derzeit noch im Testmodus: Freunde und Familie von Zoox-Angestellten können das Robotaxi am Firmensitz in Foster City, in San Francisco und in Las Vegas testen. Doch schon in wenigen Wochen will man den Dienst für jedermann öffnen: Dann sollen die fahrerlosen Autos ohne Lenkrad über die Vergnügungsmeile The Strip in Las Vegas rollen. San Francisco, Miami und Austin sind ebenfalls anvisiert. In diesem Jahr dürfte sich beweisen, ob das Konzept des Konzerns aufgeht. «Wenn du in einer amerikanischen Grossstadt lebst, wird das am Ende dieses Jahrzehnts hoffentlich dein bevorzugtes Transportmittel sein», sagte Zoox’ Mitgründer Jesse Levinson jüngst gegenüber dem Fernsehsender CNBC.
Zoox verfolgt dabei einen ähnlichen technischen Ansatz wie Waymo: Die Autos sind nur in Regionen unterwegs, die vorher dank Kameras, Radaren und Lidar-Sensoren genau in 3-D ausgemessen wurden (Geofencing). Auf der Strasse vergleichen die Robotaxis dann ständig das, was sie in Echtzeit registrieren, mit dem vorliegenden Kartenmaterial.
Tesla, das ebenfalls an einem Robotaxi arbeitet, setzt hingegen ganz auf neuronale Netze: Sein künstlich intelligentes Fahrerassistenzprogramm (Full Self-Driving, FSD) wurde mit den Videoaufnahmen geschult, die Millionen von Tesla-Fahrer tagtäglich im Strassenverkehr aufzeichnen.
Das autonome Fahrprogramm von Tesla versucht basierend auf dieser Datenbank, menschliches Verhalten nachzuahmen, indem neuronale Netze die in Echtzeit erfassten Kamera- und Sensordaten auswerten. Auf diese Weise kann Teslas Fahrassistenzprogramm auch in Gegenden fahren, die zuvor noch nicht detailliert ausgemessen wurden.
Im vergangenen Oktober präsentierte der CEO Elon Musk die ersten Prototypen seines Robotaxis. Ähnlich wie das Zoox-Mobil haben auch diese weder Lenkrad noch Pedale. Tesla wolle sie ab Juni in seinem Heimatmarkt Austin vereinzelt auf die Strasse bringen, versprach Musk – allerdings ist der CEO dafür bekannt, seine selbstgesetzten Fristen zu verpassen.
Sicherer als menschliche Fahrer
Doch sind all diese Robotaxis auch wirklich sicher? Die amerikanische Bundesbehörde für Strassensicherheit NHTSA untersucht zurzeit zwei Vorfälle mit Zoox-Fahrzeugen, bei denen diese plötzlich gebremst hatten und es zu Auffahrunfällen mit Motorrädern gekommen war. Auch in San Francisco gab es bereits mehrere Vorfälle, bei denen Waymos Rettungsfahrzeuge blockierten oder durch gelbes Absperrband fuhren. Und Teslas autonomes Fahrprogramm soll – obwohl es für den normalen Strassenverkehr noch nicht zugelassen ist – in tödliche Unfälle verwickelt gewesen sein.
Doch insgesamt sind zumindest die Robotaxis von Waymo deutlich sicherer als menschliche Fahrer: Eine Studie von Swiss Re wertete jüngst Hunderttausende Unfalldaten aus und kam zum Ergebnis: Die Robotaxis verursachten 88 Prozent weniger Sachschäden und 92 Prozent weniger Körperverletzungen als Menschen hinter dem Steuerrad.
Eine Schwachstelle der Robotaxi-Technologie sind und bleiben jedoch schlechte Sichtverhältnisse. Schnee, Hagel und schwerer Niederschlag beeinträchtigen bekanntlich die Sensoren von Waymo; das dürfte deren Einsatz in Städten wie Boston, New York oder Washington im Winter vorerst ausbremsen.
Der CEO Dolgov versucht diese Schwachstelle herunterzuspielen. Kaum ein Mensch sei imstande, bei allen Witterungsverhältnissen sicher zu fahren, sagte er jüngst in einem Interview. «Es gibt manche Umstände, unter denen man einfach nicht fahren will.» Bisweilen scheitern die Robotaxis aber schon an Regen: In San Francisco unterbrach jüngst ein Waymo bei schwerem Niederschlag die Fahrt und sass einen Regenschauer am Strassenrand aus.
«Schwierige Wetterverhältnisse haben deine Fahrt unterbrochen», erschien auf dem Bildschirm im Fahrzeuginneren als Erklärung, wie eine Journalistin der Plattform Axios auf X erzählte. In den sozialen Netzwerken applaudierten manche Nutzer diesem Verhalten, «das sollten Menschen lieber auch tun – gut gemacht, Waymo».
Taxifahrer spüren die Robotaxi-Konkurrenz schon jetzt
Die Waymos mögen noch nicht perfekt sein, sie mögen noch nicht überall fahren dürfen – und doch nehmen sie menschlichen Taxifahrern schon heute Kunden weg. Er sei froh, dass die Robotaxis aus regulatorischen Gründen noch nicht an den Flughafen fahren dürften, erzählte ein Uber-Fahrer in San Francisco jüngst; die rund dreissig Minuten lange Strecke aus der Innenstadt heraus ist bei vielen beliebt, weil man recht gut dabei verdient. Aber auch das dürfte nur eine Frage der Zeit sein, glaubt der ältere Mann.
«Es gibt nur eine endliche Zahl von Passagieren, aber inzwischen mehr und mehr Fahrer», sagt auch ein anderer Mann, der für den Uber-Konkurrenten Lyft fährt. Er merke die neue Konkurrenz durch die Robotaxis bereits: Seine monatlichen Einkünfte als Fahrer seien um etwa ein Drittel gesunken. «Die Robotaxis müssen nicht schlafen, nicht essen und nicht aufs Klo», sagt der Mann, der an diesem Nachmittag bereits seit fünf Uhr morgens fährt. «Damit kann ich nicht konkurrieren.» Langfristig bleibe ihm wohl keine Option, als sich einen anderen Job zu suchen.