Während andere Rüstungsfirmen laut darüber nachdenken, aus der Schweiz wegzuziehen, stellt die Rheinmetall-Tochter in Zürich Oerlikon gerade auf Serienproduktion um.
«Die Schweiz droht ihre Rüstungsindustrie zu verlieren», schrieb kürzlich der Industrieverband Swissmem warnend, nachdem der italienische Beretta-Konzern mit dem Ende der Munitionsproduktion in Thun drohte. Die strengen Exportbedingungen für Schweizer Rüstungsmaterial sorgen seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs immer wieder für Unmut in der Branche.
Am Rheinmetall-Standort in Zürich Oerlikon ist davon nichts zu spüren. Der grösste deutsche Rüstungshersteller konnte seinen Umsatz weltweit binnen weniger Jahre verdoppeln; auch in der Schweiz wuchs das Geschäftsvolumen. Nun stellt der Konzern in der Schweiz auf Serienproduktion um. Anders sei die hohe Nachfrage nach dem selbst entwickelten Drohnenabwehrsystem Skyranger nicht zu bewältigen.
Das Unternehmen steht deshalb vor einer grossen Umstellung. Ab Ende 2025 sollen in Zürich Oerlikon Skyranger-Systeme quasi am Fliessband produziert werden – jede Woche ein fixfertiges Produkt ist das Ziel. Damit der Zeitplan aufgeht, ist Rheinmetall auf Schweizer Zulieferer angewiesen. «Früher haben wir viele Dinge selbst hergestellt, aber dafür haben wir jetzt gar keine Kapazitäten mehr», sagt Ralf Kreienbühl, Leiter Montage, Integration und Test der Rheinmetall Air Defence AG. Insbesondere die Lieferung von handelsüblichen Einzelteilen wie beispielsweise Steckern und Kabeln müsse sichergestellt werden.
Ukraine-Krieg war der Game-Changer
Die Rüstungsfirma braucht auch mehr Mitarbeitende. Allein im November starteten 45 neue Leute in Zürich Oerlikon, insgesamt sind es in diesem Jahr 300 zusätzliche Stellen. Von der Buchhalterin bis zum Ingenieur sei alles dabei, sagt Oliver Dürr, der CEO der Rheinmetall Air Defence AG. Der Game-Changer für sein Unternehmen sei der Ukraine-Krieg gewesen.
Gebraucht werden die Hightech-Waffen, wenn die Angriffsobjekte zu klein sind für Kampfjets und Langstreckenraketen, beziehungsweise wenn deren Einsatz zu teuer wäre. Dies ist beispielsweise bei Drohnen der Fall. «Alle Streitkräfte weltweit haben in der Ukraine gesehen, dass Drohnen ein Problem sind», sagt Dürr. Die Systeme, die Rheinmetall herstellt, haben einen Radar und andere Sensoren sowie ein hochwirksames Feuerleitsystem. Zusammen mit der programmierten Munition können auch kleine, schnelle Ziele bekämpft werden. Bis jetzt war das System stationär, um kritische Infrastruktur wie Kernkraftwerke, Brücken oder militärische Lager zu schützen. Mit dem Skyranger wird es mobil und kann zum Beispiel bewegliche Militärverbände schützen.
Bereits lange vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Jahr 2022 hat sich die Rheinmetall-Tochter in der Schweiz auf die Flugabwehr spezialisiert. 1936 wurde die Firma Contraves (aus dem Lateinischen contra aves für «gegen Vögel») als reine Flugabwehr-Entwicklerfirma gegründet. 1989 fusionierte sie mit der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon-Bührle und wurde schliesslich zur Oerlikon Contraves Defence. Der deutsche Waffenhersteller Rheinmetall kaufte sie zehn Jahre später.
Um das neue System Skyranger einem breiten Publikum zu präsentieren, veranstaltete die Rüstungsfirma im September einen Kundentag auf ihrem Testgelände in der Innerschweiz. Über 200 Personen aus 26 Nationen waren angereist. Dieser Tag war ausschlaggebend dafür, dass die Rheinmetall Air Defence AG jetzt auf Serienproduktion umstellt. «Die Begeisterung war riesig, viele Nationen sind am Skyranger interessiert und wollen bestellen», sagt Dürr. Als Erstes hat Österreich einen Serienauftrag erteilt, dann Deutschland und Dänemark.
Das heute noch stationäre Flugabwehrsystem wird künftig mobil sein und damit auch bewegliche Militärverbände schützen können.
Die vielen Diplomatenautos beim Testcenter im Kanton Schwyz sorgten für Schlagzeilen. Rheinmetall habe mit der grossen Kelle angerührt und «unter grösster Geheimhaltung» sein neues Flugabwehrsystem präsentiert, schrieben etwa die CH-Media-Zeitungen. Und der «Bote der Urschweiz» fragte schon im Juni, ob das Testzentrum «Konflikte mit der Neutralität» berge, nachdem drei Schwyzer Kantonsrätinnen und Kantonsräte dazu Fragen gestellt hatten.
«Jedes andere Land wäre stolz»
Solche Artikel findet CEO Oliver Dürr bedenklich. Rheinmetall teste seit Jahrzehnten auf dem eigenen Testgelände seine Waffen, geschossen werde praktisch täglich. Aus seiner Sicht ist sich die Schweiz der Qualitäten ihrer Rüstungsindustrie nicht bewusst: «Jedes andere Land wäre stolz, wenn es solche Systeme herstellen könnte.» Stattdessen werde hierzulande seit fast drei Jahren nach einer Lösung gesucht für das restriktive Kriegsmaterialgesetz.
Der Bundesrat und bürgerliche Parteien argumentieren bei diesem Thema stets mit der Neutralität der Schweiz. Dürr sieht dies kritisch. Er treffe Verteidigungsminister und Militärkommandanten aus aller Welt, und vielen fehle es an Verständnis für die Schweizer Auslegung des Neutralitätsrechts: «Die Zurückhaltung hilft uns im internationalen Umfeld nicht.»
Europa ist daran, seine Kapazitäten in der Rüstungsindustrie hochzufahren, nachdem die russische Kriegswirtschaft seit dem Angriff auf die Ukraine auf Hochtouren läuft. Rheinmetall eröffnet neue Fabriken für Artilleriemunition in Deutschland, Litauen, der Ukraine oder auch in Grossbritannien.
Die Schweiz brauche ebenfalls eine starke Rüstungsindustrie. Einerseits, um sich selbst verteidigen zu können. Andererseits als Pfand, sollten die Lieferketten durch einen Konflikt oder Krieg unterbrochen sein, sagt Dürr: «Rheinmetall Air Defence hätte hier eine gewisse Manövriermasse. Auf lange Sicht brauchen wir dennoch bessere Bedingungen für unseren Standort.»
Warum bleibt die Firma in der Schweiz, wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen? «Das ist meine Heimat, hier ist mein Herzblut», so Dürr. Doch im Konzern habe es viele Diskussionen gegeben um den Standort Zürich Oerlikon, die auch publik wurden. Dies, nachdem der Bundesrat eine Bitte Deutschlands abgelehnt hatte, 12 400 Schuss 35-mm-Munition für den Fliegerabwehrpanzer Gepard an die Ukraine weitergeben zu dürfen. Deutschland hatte die Munition ursprünglich bei Rheinmetall in der Schweiz gekauft.
Ausweichmöglichkeit in Rom
Der Firmen-Tochter in Zürich gehe es trotz den Einschränkungen aus zwei Gründen finanziell sehr gut. Erstens würden jene Länder, die nun am Skyranger interessiert sind, diesen nicht unbedingt weitergeben wollen. «Unsere Produkte sind primär Verteidigungswaffen», sagt Dürr. Er wünscht sich deshalb in erster Linie eine Ausnahmeregelung für den Bundesrat bei Rüstungsexporten. Ein entsprechender Vorstoss wurde 2023 von National- und Ständerat angenommen und an den Bundesrat überwiesen. Die Regierung muss nun eine Lösung ausarbeiten.
Zweitens hat Rheinmetall Air Defence ein Werk in Rom, auf welches es ausweichen kann, damit ein Produkt nicht unter die Schweizer Exportregeln fällt. Die Ukraine, deren Streitkräfte bereits das stationäre Flugabwehrsystem Skynex von Rheinmetall im Einsatz nutzen, hat nämlich ebenfalls Interesse am mobilen Skyranger. Dieser soll auf einem alten Panzer, dem Leopard 1, montiert werden. Laut Dürr werden diese Systeme nicht in der Schweiz produziert. Die Schweizer Firmentochter müsse diesen Weg gehen und könne nicht auf die Politik warten. «Natürlich hoffe ich auf eine Lösung, aber ich bin Unternehmer und muss jetzt eine Firma führen.»
Die Systeme können zusammen mit der programmierten Munition auch kleine, schnelle Ziele bekämpfen, so wie beispielsweise Drohnen.