Einen maroden Amateurklub durch brillante Transfers ganz nach oben führen? Virtuell ist das möglich. Und es macht schnell süchtig. Doch jetzt setzt das Spiel ein Jahr aus.
Wie kann der Sportchef des eigenen Lieblingsteams nur von derart unerträglicher Begriffsstutzigkeit sein, wenn doch alles so einfach ist? Einmal für einen schmalen Taler das unentdeckte 17-jährige Wunderkind aus Mali verpflichten, Meister werden, die Champions League gewinnen – das ist der Traum.
Das Videospiel «Football Manager» macht ihn möglich, unter diesem Namen seit zwanzig Jahren schon, und hat mit enormer Popularität ein Eigenleben entwickelt. Es gibt junge Männer, die sich dabei filmen, wie sie nach einer Niederlage in einer virtuellen, simulierten Partie missgelaunt eine «Pressekonferenz» geben, in der sie die Enttäuschung zu erklären versuchen.
Iain Macintosh, der Autor des Buchs «Football Manager Stole My Life», schrieb vor ein paar Jahren: «Ich hatte Freundinnen, die ich nicht so sehr geliebt habe wie meine Uefa-Cup-Siegermannschaft von Southend United.» In seinem Buch berichtet er über Fälle, in denen das Spiel massgeblich zu Scheidungen beitrug. Sein Co-Autor erzählte dem «Daily Star» vom Fall eines britischen Soldaten, der in Afghanistan fast ums Leben gekommen wäre, weil er dringend einen Cup-Halbfinal zu Ende spielen musste.
Tatsächlich hat das Spiel einen hohen Suchtfaktor, und das sagt hier nicht irgendwer, sondern immerhin die Person, die vor wenigen Tagen die Metamorphose des Le Mans FC vom perspektivlosen Drittligisten zum Champions-League-Sieger abgeschlossen hat. Mit einem jungen malischen Innenverteidiger, dessen Marktwert inzwischen bei 47 Millionen Pfund liegt. Sie haben völlig recht, das ist tief beeindruckend.
Den Rekord für das längste Spiel hält der Pole Pawel Sicinski, der in 528 «Football Manager»-Jahren 40 verschiedene Klubs betreute, wie das Guinness-Buch weiss.
Der Reiz des Spiels wirkt auch bei der Prominenz. Andy Murray, die ehemalige Nummer eins der Tennis-Weltrangliste, sagte einst, es habe Nächte gegeben, in denen er sich bis 3 Uhr morgens nicht vom Spiel habe lösen können – selbst dann, wenn um 8 Uhr eine Trainingseinheit angestanden sei.
Man muss sich in «FM» um alles kümmern: die Transfers, die Taktik, die Aufstellung, die Trainingsgestaltung, die Medienarbeit, das Sponsoring. Ein nicht unwesentlicher Teil der Faszination besteht zudem darin, dass «FM» inzwischen über eine verblüffend akkurate Datenbank verfügt. In «FM 24» sind die Stärken und Schwächen von 475 000 Fussballern erfasst.
Es ist über die Jahre immer wieder vorgekommen, dass sich echte Klubs und richtige Manager das Spiel zunutze machten. Ole Gunnar Solskjaer, der ehemalige Coach von Manchester United und heutige Trainer von Besiktas Istanbul, sagte, das Spiel habe ihn viel über das Geschäft gelehrt. Es sei auch vorgekommen, dass seine Arbeitgeber die Datenbank für eigene Scoutingzwecke verwendet hätten.
2025 wird das nicht geschehen. Der Herausgeber Sega strich «FM 25», also die neueste Version des Spiels, am Freitag nach mehreren Verzögerungen ganz – obwohl der Vorläufer dem Unternehmen Rekordabsätze beschert hatte. «Football Manager 2024» bleibt vorderhand weiter spielbar. «FM 26» solle dafür den «Beginn einer neuen Ära» darstellen. Was überhaupt nicht nötig ist. Es genügt, sich einbilden zu können, alles besser zu wissen.
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