Das kleinste Mitgliedsland der EU generiert Einnahmen, indem es Staatsbürgerschaften veräussert. Im Staatenbund stösst das auf Widerstand. Die Kritik halten viele für scheinheilig.
Ob Schweizer, Franzose, Deutscher oder Österreicher – die Staatsbürgerschaft gilt als hohes Gut, für das man sich als Ausländer qualifizieren muss. Und Neubürger stehen unter Beobachtung: Söhne von Migranten, die für die Fussballnationalmannschaft spielen und bei der Hymne nicht lauthals mitsingen, gelten bei manchen Landsleuten nur als halbe Schweizer. Da können ihre Verdienste auf dem Feld noch so gross sein.
Malta, das kleinste Mitgliedsland der EU, pflegt im Vergleich dazu ein rationales Verhältnis zur Staatsbürgerschaft. Die Regierung verkauft sie an reiche Ausländer – und ist damit auf Kollisionskurs mit der EU geraten. Ihr widerstrebt dieses Geschäft. Sie hat Malta daher beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagt.
Moralische und rechtliche Argumente haben sich dabei vermischt. «Die Staatsbürgerschaft darf nicht verkauft werden», sagte einst Viviane Reding, die ehemalige EU-Kommissärin. Pass und Staatszugehörigkeit sind für sie keine beliebigen Güter. Daher soll es dafür auch keinen Markt geben.
Vor Gericht hat die Kommission dagegen juristisch argumentiert. Wer Bürger eines EU-Mitgliedslandes werden wolle, müsse zu diesem eine Verbindung aufweisen, findet sie. Die Kommission befürchtet zudem, dass der Verkauf von Pässen missbraucht werden könne, um Geld zu waschen; ferner bestehe die Gefahr von Korruption, etwa wenn sich Politiker für den Pass zusätzlich zu den Gebühren bezahlen lassen. Die internationale Organisation OECD teilt solche Bedenken.
Beim EuGH hat die EU vor einem Monat allerdings eine klare Niederlage erlitten. Im Vertrag von Maastricht hätten die Mitgliedsländer das Recht auf die Vergabe der Staatsbürgerschaft nicht an die EU abgetreten, sondern bei sich behalten, schreibt Generalanwalt Anthony Collins. Zudem sehe das Unionsrecht nicht vor, dass es zwischen Mitgliedsstaat und Staatsangehörigen eine Verbindung geben müsse.
Demnächst werden die Richter des EuGH ihr Urteil dazu fällen. Der Antrag des Generalanwalts bildet dazu bloss eine Entscheidungsgrundlage, der die Richter allerdings häufig folgen.
Russen sind ausgeschlossen
Malta veräussert seit 2013 Staatsbürgerschaften. Für das kleine Land ist das ein bedeutendes Geschäft. Das Geld daraus habe etwa geholfen, Unternehmer und Familien während der Pandemie zu unterstützen, sagt Ministerpräsident Robert Abela von den Sozialdemokraten. Die Antragsteller prüfe man auf Herz und Nieren. Russen und Weissrussen sind seit März 2022 infolge des Ukraine-Krieges vom Programm ausgeschlossen.
Laut offiziellen Angaben erfolgt die Einbürgerung in mehreren Schritten, und die zuständige Behörde behält die Neubürger noch während fünf Jahren nach der Passübergabe im Auge. Zumindest scheint es so, als gäbe sich Malta mittlerweile viel Mühe, mit dem Programm keine Angriffsflächen zu bieten. Berater sagen, das maltesische Prozedere sei der Goldstandard im Markt für Staatsbürgerschaften.
Um Malteser zu werden, muss man wohlhabend sein, aber nicht superreich: Wer den Pass anstrebt, hat 600 000 Euro ans Staatsbudget zu überweisen und eine Liegenschaft im Wert von mindestens 700 000 Euro zu erwerben. Man kann auch eine Immobilie mieten, die jährlichen Ausgaben dafür müssen mindestens 16 000 Euro betragen. 2023 haben laut der EU 259 Personen ein solches Geschäft mit Malta abgeschlossen. Maximal bürgert das Land jährlich 400 Personen so ein.
Rechtswidrige Passverkäufe in Zypern
Weltweit verkaufen viele Länder Pässe, um Einnahmen zu generieren. Selbst in der EU war Malta nicht der einzige Staat mit einem solchen Geschäftsmodell. Auch Bulgarien und Zypern versuchten noch bis vor wenigen Jahren, auf diese Weise Kapital anzuziehen. Mittlerweile haben sie die Programme aber aufgegeben.
Ein grosser Teil der Klientel waren Russen, mit dem Angriff Wladimir Putins auf die Ukraine erlitt das bulgarische Modell jedoch Schiffbruch. Zypern hatte sein Programm schon 2020 auslaufen lassen. Eine Untersuchung kam später zum Schluss, dass zahlreiche Passverkäufe rechtswidrig waren.
Der Pass eines EU-Mitglieds ist ein Gut mit einem hohen Nutzen. Die Besitzer dürfen sich im Staatenbund frei bewegen. Auch global betrachtet bringt er viel: EU-Bürger können in fast alle Länder der Welt reisen, ohne vorher ein Visum beantragen zu müssen. Wer die maltesische Staatsbürgerschaft erwirbt, kauft also auch Mobilität.
Die Regierung legte auf Anfrage nicht offen, woher die Antragsteller stammen. Juristen, die sich mit der Klage der EU gegen Malta befassen, sagen jedoch, die grösste Gruppe bildeten inzwischen Amerikaner. Die Polarisierung im Heimatland habe sie aufgeschreckt. Eine Basis auf Malta stelle für sie einen Plan B dar, falls sich die Lage in ihrer Heimat zuspitze.
Die USA sind allerdings nach wie vor ein vorbildlicher Rechtsstaat. Für China und Saudiarabien gilt das hingegen nur beschränkt. Von dort stammen angeblich ebenfalls verhältnismässig viele Gesuchsteller.
Frankreich vergibt Pässe auf undurchsichtige Art
Hier setzen Kritiker an, die es nicht für folgerichtig halten, das Passgeschäft moralisch zu verdammen. «Wer in welchem Land geboren wird, ist eine Geburtslotterie», sagt Christian Joppke, Soziologie-Professor an der Universität Bern. Es habe nichts mit eigener Leistung zu tun, wenn man in einem Land mit stabilen Institutionen auf die Welt komme. «Wir sollten die Staatsbürgerschaft daher nicht romantisch verklären.»
Das maltesische Geschäftsmodell hält Joppke für unproblematisch, solange Antragsteller, welche die Bedingungen erfüllen, wegen ihrer Herkunft nicht diskriminiert werden.
Auch Juristen haben die Argumente der EU teilweise zerpflückt. Dimitri Kochenow von der Central European University sagt, der Staatenbund vermenge Passverkauf und Korruption. Diese hätten nichts miteinander zu tun – wenn die Kommission finde, in Malta herrsche Korruption, müsse diese direkt bekämpft werden.
Was die Kommission genau dazu bewogen hat, gegen Malta einen Rechtsstreit mit geringen Erfolgschancen vom Zaun zu brechen, ist unklar. Ein Jurist sagt, das EU-Parlament habe die Kommission zu diesem Schritt gedrängt. Andere sehen im Fall ein Beispiel für den Hang der Kommission, kleine Mitgliedsländer zu schurigeln – wobei sich diese in einem solchen Fall stets an den EuGH wenden können.
Konsequent ist das Vorgehen der Kommission auf jeden Fall nicht. Viele EU-Mitgliedsländer kennen Spezialeinbürgerungen für Individuen, nur dass diese nicht auf transparenten Kriterien beruhen. Pawel Durow beispielsweise, der aus Russland stammende Gründer des Messenger-Dienstes Telegram, ist seit 2021 auch Franzose. Warum er den Pass erhalten hat, ist nicht klar. Er hat sich um die «Grande Nation» verdient gemacht – wie genau, weiss aber nur Präsident Emmanuel Macron.