Dreimal hat Kiew Depots mit Zehntausenden von Tonnen an Waffen angegriffen. Das hat Folgen für die russische Front. Bedeutsam für die Ukrainer ist, dass die Erfolge mit eigenen Waffen gelingen.
Die Hauptverwaltung für Raketen und Artillerie der russischen Armee hat diese Woche ein Desaster erlebt. Bereits am Mittwoch schien es, als könne es kaum mehr schlimmer werden: Ein ukrainischer Angriff, mutmasslich mit Dutzenden von Drohnen, zerstörte ein strategisches Munitionslager bei der Stadt Toropez. Am Wochenende legte Kiew mit zwei weiteren Attacken nach. Zwei weitere Depots explodierten, eines in der Nähe von Toropez, ein weiteres in Südrussland.
Dort, in der Nähe der mittelgrossen Stadt Tichorezk, führten «Trümmer» abgeschossener Drohnen laut den russischen Behörden dazu, dass Munition Feuer fing. Selbst diese beschönigende Darstellung zeigt aber, dass die Folgen dramatisch waren: Offiziell wurden 1200 Menschen evakuiert, Züge umgeleitet und Strassen gesperrt. In einer Zone zehn Kilometer um das Waffenlager wurde jegliche Feldarbeit verboten. Weiter nördlich, bei Toropez, war am Wochenende die Fernstrasse M9 auf einem Abschnitt von 100 Kilometern gesperrt.
Tausende von Tonnen an Munition
Auch wenn sich nicht genau bestimmen lässt, wie viel Munition in Flammen aufging, zeigen Satellitenbilder der Nasa grosse Brandherde. Bereits beim ersten Angriff war die Rede von mehreren zehntausend Tonnen. Die beiden Lager, die am Wochenende unter Beschuss kamen, sind etwas kleiner, laut dem ukrainischen Fachmedium Defence Express aber immer noch 2,6 und 1 Quadratkilometer gross.
Videos from the ground show the explosions from this Russian ammunition depot in Tikhoretsk after it was struck. pic.twitter.com/TQqnfMuRoy
— Brady Africk (@bradyafr) September 21, 2024
Allerdings waren sie weniger gut geschützt: Während die russische Armee in Toropez vor wenigen Jahren noch damit prahlte, die modernisierte Anlage halte gar einen Atomangriff aus, stand die Munition in den anderen beiden Depots zumindest teilweise offenbar unter freiem Himmel. Das erleichterte ihre Zerstörung. Manche russische Nationalisten ärgerten sich über diese Nachlässigkeit so sehr, dass sie Sabotage witterten.
Welche Waffen die Russen in ihrem zweiten Lager bei Toropez versteckten, bleibt unklar. Jenes bei Tichorezk, das auch über einen Militärflughafen verfügt, galt als wichtige Zwischenstation für Munitionsströme aus Nordkorea. So dokumentierte der Thinktank «Center for Strategic and International Studies» Anfang Jahr, dass das Depot stark ausgebaut wurde. Die Russen lagerten dort grössere Bestände der 2,5 Millionen Artilleriegeschosse, die Pjongjang an Moskau geliefert hatte. Die ukrainischen Streitkräfte schreiben von 2000 Tonnen an Geschossen im Lager zum Zeitpunkt ihres Angriffs, unter anderem aus Nordkorea.
Ukrainische Militärexperten und der britische Geheimdienst gehen davon aus, dass die Angriffe direkte Folgen für die Versorgung der russischen Front haben. Die Basis in Tichorezk lieferte Geschosse für den Donbass, jene bei Toropez auch Raketen und Gleitbomben für die Gruppierungen in Kursk und Charkiw. Die weitläufigen Anlagen enthielten zudem wichtige logistische Infrastruktur für den militärisch zentralen Transport per Eisenbahn, die nun empfindlich gestört ist.
Die Ukrainer setzen eigene Waffen ein
Die Grösse der Explosionen hat unter Fachleuten eine Diskussion darüber ausgelöst, welche Waffen Kiew für den Angriff auf die 450 und 300 Kilometer von den Staatsgrenzen entfernten Munitionslager einsetzte. Dass unbemannte Flugobjekte in grosser Zahl attackierten, gilt als belegt. Zusätzlich wird aber die Möglichkeit erörtert, dass eine neu entwickelte Raketendrohne verwendet wurde oder eine modifizierte Rakete des Typs Neptun.
«Wir machten das mit unseren eigenen Fähigkeiten und Waffen», betonte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski am Samstag. Mit einem Seitenhieb auf seine Verbündeten fügte er an, die Resultate wären noch besser, wenn diese Kiew erlaubten, ihre Langstreckenwaffen gegen russisches Territorium einzusetzen. Die westlichen Partner zögern hier seit Monaten, da manche fürchten, noch tiefer in den Krieg hineingezogen zu werden.
Nächste Woche fliegt Selenski in die USA für ein Treffen mit Joe Biden und Parlamentsabgeordneten, möglicherweise auch mit den beiden Präsidentschaftskandidaten Harris und Trump. Die Forderung, das russische Hinterland mit modernen amerikanischen Waffen effektiver anzugreifen, wird für ihn zentral bleiben. Dass die Ukrainer mit ihren eigenen Systemen eine Reihe von Erfolgen feiern, ohne dass die Russen entschieden darauf reagieren, dürfte Washington genau beobachten.