Nach dem Ende der Blockade im Kongress hat Präsident Biden sofort neue Waffen für die Ukraine freigegeben. Auf der Liste des Pentagons hat es aber auffallende Lücken.
Monatelang wurde in Washington um die Militärhilfe für die Ukraine gestritten, doch am Schluss ging alles schnell: Drei Tage nach dem Durchbruch im Repräsentantenhaus billigte auch der Senat das Hilfepaket im Umfang von 61 Milliarden Dollar. Mit einem Stimmenverhältnis von 79 zu 18 fiel die Entscheidung wie schon in der grossen Kammer mit überwältigender Mehrheit. Nach der Unterzeichnung des Gesetzes am Mittwochmorgen sprach Präsident Joe Biden von einem historischen Moment.
Dank der Bewilligung der Gelder hat der Präsident nach einer mehrmonatigen Durststrecke wieder die Möglichkeit, Waffen und Munition in die Ukraine zu senden. Er zögerte keinen Moment und erklärte bei einem Auftritt im Weissen Haus, die ersten Lieferungen würden bereits in den nächsten Stunden beginnen. Laut Biden erhält die Ukraine unter anderem Artilleriegranaten, Flugabwehrraketen und Javelin-Panzerabwehrwaffen.
Mehr Details gab das Pentagon bekannt. Freigegeben ist eine erste Tranche von Militärhilfe mit einem Wert von einer Milliarde Dollar. Sie soll den dringendsten Nachholbedarf bei der Versorgung der Ukrainer decken. Die Lieferungen umfassen laut dem Pentagon auch Bradley-Schützenpanzer, Humvee-Geländefahrzeuge, Stinger-Flugabwehrraketen, Streumunition für die Artillerie, Anti-Panzer-Minen und Nachtsichtgeräte. Auffallenderweise fehlen auf der Liste Raketen für das Flugabwehrsystem Patriot. Das ist ein Dämpfer für die ukrainische Regierung, die Patriot-Raketen als Priorität betrachtet, um sich gegen Russlands Luftangriffe wehren zu können.
Atacms-Raketen für Kiew
Wortkarg gibt sich die Regierung Biden auch bei einer Waffenart, die derzeit besonders interessiert – den sogenannten Atacms-Raketen mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern. Kiew wünscht sich diese Waffe seit langem, um russische Ziele weit hinter der Front treffen zu können, darunter Luftwaffenstützpunkte, Munitionslager und Kommandoposten. Der Kongress hat die Regierung nun ausdrücklich angewiesen, Atacms-Raketen zu liefern. Eine offizielle Bestätigung aus dem Weissen Haus oder dem Pentagon ist bisher jedoch ausgeblieben. Regierungsbeamte liessen nur durchblicken, dass eine solche Lieferung wohl erfolgen werde.
Möglicherweise will Washington den Transfer geheim halten, um Russlands Militär zu überraschen. So gingen die Amerikaner bereits vor, als sie den Ukrainern im Herbst rund 20 Atacms-Raketen einer älteren Version mit kürzerer Reichweite – 165 Kilometer – übergaben. Die neueren Versionen mit einem Einsatzbereich von 300 Kilometern sind entweder mit Streumunition oder einem einzelnen Gefechtskopf ausgestattet. Zum Auftakt des Irak-Krieges 2003 hatten die USA mehr als 400 Stück davon eingesetzt, vor allem gegen Militärbasen des Saddam-Regimes.
Dass das Pentagon nun eine so grosse Zahl den Ukrainern überlässt, ist nicht zu erwarten. Laut offiziell nicht bestätigten Berichten des Magazins «Politico» und der Agentur Reuters haben die Ukrainer im März allerdings heimlich einige solche Raketen mit hoher Reichweite erhalten, also noch vor der Abstimmung im Kongress.
Theoretisch könnten die Ukrainer mit diesen Raketen auch die strategisch wichtige Krim-Brücke über die Meerenge von Kertsch angreifen. Aber Militärexperten weisen darauf hin, dass die Atacms-Raketen mit einem Gefechtskopf von 225 Kilogramm nicht ideal für einen Angriff auf die Brücke und ihre massiven Stützpfeiler wären. Grössere Chancen auf eine Zerstörung böte der deutsche Marschflugkörper Taurus, dessen Gefechtskopf schwerer ist und mit seiner Doppelladung darauf ausgelegt ist, tief in massive Konstruktionen einzudringen. Der Ruf nach Taurus-Lieferungen wird daher nicht verstummen. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz bekräftigte am Mittwoch aber erneut sein Nein zu dieser Frage.
Überparteiliche Einigung in kritischem Moment
Wie stark sich die neuen amerikanischen Lieferungen auf den Kriegsverlauf auswirken werden, bleibt abzuwarten. Die Ukrainer stehen an verschiedenen Frontabschnitten im Donbass unter enormem Druck und haben in den vergangenen Tagen Dutzende von Quadratkilometern Terrain aufgeben müssen. Der rasche Nachschub ist daher hochwillkommen, aber bis zur Stabilisierung der Front dürfte es länger dauern. Biden formulierte am Mittwoch kein ambitiöses Kriegsziel – er sprach lediglich davon, die Kampffähigkeit der Ukrainer sicherzustellen.
An die Adresse der gegnerischen Republikaner und einer teilweise skeptischen Öffentlichkeit erklärte der Präsident, dass die Militärhilfe für die Ukraine nicht zuletzt der amerikanischen Sicherheit diene. Russlands Diktator Wladimir Putin müsse gestoppt werden, bevor er auch noch ein Nato-Land angreife und so die USA in einen Krieg hineinziehe. Biden dankte zugleich den Kongressführern beider Parteien, die sich zusammengerauft hätten, um an einer historischen Weggabelung das Richtige zu tun.