Manager und Firmeninhaber üben in der Regel politische Zurückhaltung. In jüngster Zeit häufen sich in Deutschland jedoch Stellungnahmen gegen Rechtsextremismus. Das ist oft eine Gratwanderung.
Immer wieder wird Frank Bösenberg, Geschäftsführer des Branchenverbands Silicon Saxony, von den zu Wochenbeginn nach Dresden gereisten ausländischen Journalisten auf die guten Umfrageergebnisse der Alternative für Deutschland (AfD) im Bundesland Sachsen angesprochen. Stets verweist er darauf, dass die Dresdner Halbleiterindustrie Fachkräfte aus der ganzen Welt benötige und sich sein Verband für Weltoffenheit einsetze: «Wir sind als Standort, als Region, als Industrie auf Zuwanderung angewiesen. Ein schlechtes Image der Region ist diesen Zielen nicht zuträglich. Und ob man das Image zu Recht oder zu Unrecht hat, ist dabei völlig unbedeutend.»
Dresden braucht Fachkräfte
Eigentliches Thema des Treffens ist der Ausbau des hiesigen Standorts des Münchner Halbleiterkonzerns Infineon, der neben einem bestehenden Werk für rund 5 Milliarden Euro eine zweite Chip-Fabrik baut. Die aber führt direkt zum Thema Zuwanderung: Für ihren Betrieb wird Infineon laut Firmenangaben zusätzlich zu den 3500 bereits in der sächsischen Landeshauptstadt beschäftigten Mitarbeitern weitere 1000 Personen benötigen. Auch andere Chiphersteller haben in Dresden, dem wichtigsten europäischen Standort der Halbleiterindustrie, Ausbau- oder Ansiedlungspläne.
Laut Bösenberg dürfte die Zahl der in der Region in der Mikroelektronik beschäftigen Mitarbeiter von derzeit rund 76 000 bis 2030 auf über 100 000 steigen. Dieses Wachstum könne man nur zum Teil durch eigene Ausbildungsanstrengungen abdecken, man brauche auch Leute von ausserhalb. Schon jetzt arbeiten bei Infineon Beschäftigte aus fast 50 Nationen. Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund an der Stadtbevölkerung ist von 7,2 Prozent im Jahr 2010 auf 16 Prozent 2022 gestiegen, jener der Ausländer von 4,1 Prozent auf 11,1 Prozent.
Sorge um den Ruf
Die Sorge um den Ruf Sachsens in der Welt hat Dirk Röhrborn, Gründungsgesellschafter und Chef des Softwareunternehmens Communardo sowie Vorsitzender von Silicon Saxony, gar auf die Strasse getrieben: Vergangenen Samstag hat er an einer der Demonstrationen unter dem Motto «Wir sind die Brandmauer», wie sie derzeit überall in Deutschland stattfinden, auf dem Dresdner Theaterplatz vor der Semperoper «als Unternehmer und Vertreter von Silicon Saxony» eine Rede gehalten. «Und die Menschen, gleich welcher Herkunft, die hier leben und arbeiten möchten, brauchen das Vertrauen, hier wirklich willkommen zu sein», sagte er unter anderem.
Es gebe auf komplexe Fragen keine einfachen Antworten. «Der Austritt aus der EU ist keine Lösung, die Abschaffung des Euro ebenso wenig. Auch nicht die Streichung aller Subventionen. Von ‹Remigration› will ich gar nicht sprechen. Wer verspricht, damit Probleme zu lösen, der ist entweder dumm oder er lügt. Beides ist keine Alternative für Deutschland», führte Röhrborn laut Redetext weiter aus.
«Potsdam» als Auslöser
Dass Unternehmer sich öffentlich politisch positionieren oder gar an Kundgebungen teilnehmen, ist eher unüblich, sieht man von explizit wirtschafts- und industriepolitischen Themen ab. In den letzten Wochen hat sich das in Deutschland verändert. Dabei kommen zwei Entwicklungen zusammen.
Im September stehen in den ostdeutschen Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg Landtagswahlen an, bei denen die AfD laut Meinungsumfragen weit vorne liegen könnte. Allein schon die Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung der in Teilen rechtsradikalen, auf Abschottung getrimmten Partei könnte die Rekrutierung von Fachkräften erschweren und Investoren abschrecken, fürchten Wirtschaftsvertreter.
Hinzu kommt der im Januar publizierte Correctiv-Bericht über ein Treffen in Potsdam, an dem auch AfD-Mitglieder teilgenommen haben und an dem der rechtsextreme Österreicher Martin Sellner über «Remigration» referiert haben soll. Er löste nicht nur Massendemonstrationen aus, sondern schreckte auch Wirtschaftsverbände und Unternehmensvertreter auf.
Der bevorzugte Kommunikationskanal der Chefs ist indessen nicht der Auftritt auf dem Marktplatz, sondern der Post auf der Karriere-Plattform Linkedin. Auch Infineon verweist auf einen Text, den Konzernchef Jochen Hanebeck im Januar dort publiziert hat. «Als Vorstandsvorsitzender halte ich eine auf Abschottung zielende Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik für uns alle für schädlich und wohlstandsgefährdend», heisst es darin unter anderem. Die Idee der sogenannten Remigration sei menschenverachtend.
Eine Gratwanderung
Nicht untypisch für solche Stellungnahmen ist, dass das Wort AfD oft gar nicht vorkommt. Schliesslich sind Mitarbeiter und Kunden der Unternehmen ein Spiegel der Gesellschaft, der Anteil der AfD-Wähler unter ihnen dürfte ähnlich hoch sein wie in der Gesamtbevölkerung. Man will weder derart grosse Kundengruppen vergraulen noch das Betriebsklima durch eine Spaltung der Belegschaft vergiften. Das führt zu einer Gratwanderung – und gelegentlich auch zu etwas wohlfeilen Gutmenschen-Texten.
Paul Niederstein, geschäftsführender Gesellschafter von The Coatinc Company, dem ältesten deutschen Familienunternehmen, kritisiert diese Zurückhaltung. Er habe in den letzten Tagen und Wochen eine Vielzahl von Posts für eine offene, pluralistische und tolerante Gesellschaft gelesen, was er und sein Unternehmen absolut unterstützten, schrieb er – ebenfalls auf Linkedin.
Er lese sie immer «bis zum Ende, in der Hoffnung, dass irgendwo im Kleingedruckten doch eine klare Aussage zur Unwählbarkeit und Inakzeptanz der AfD kommt». Auch in seinem Unternehmen und in seinem Kundenkreis werde es AfD-Wähler geben. Dennoch würden er persönlich und das Unternehmen diese Partei ablehnen und sie argumentativ bekämpfen. Ein Verbot halte er für falsch, ein politischer Diskurs aber sei elementar, und er müsse deutlich sein.
Klartext von Sewing
Solchen Klartext gesprochen hat zum Beispiel Christian Sewing, der Chef der Deutschen Bank. Am Jahresempfang der Bank in Berlin sagte er Ende Januar, Rechtspopulisten und -extremisten würden nicht nur die Gesellschaft spalten, ihre Konzepte würden auch direkt in den wirtschaftlichen Abstieg führen.
«Schauen Sie in das Programm der AfD: Sie wendet sich gegen Einwanderung, wo uns die Fachkräfte fehlen. Sie bekämpft Europa, wo mehr europäische Integration der einzige Weg ist, unseren Wohlstand zu halten. Sie propagiert wirtschaftliche Abschottung, wo Deutschlands wirtschaftlicher Erfolg auf der Globalisierung fusst. Und sie lehnt den Kampf gegen den Klimawandel ab, wo dieser die grösste Herausforderung der Menschheit ist», sagte Sewing. Internationale Investoren würden das mit zunehmender Skepsis beobachten.
Wohin eine plakative politische Stellungnahme führen kann, hat Peter Simmel erfahren. Er betreibt als familiengeführtes Unternehmen eine regionale Edeka-Ladenkette mit 24 Supermärkten in den Bundesländern Bayern, Sachsen und Thüringen. Auf einem Werbeprospekt für Sachsen und Thüringen liess er den Slogan «Für Demokratie – gegen Nazis» ins Firmenlogo einrücken.
Simmel im Shitstorm
Nach heftigen Protesten und Boykottaufrufen in sozialen Netzwerken veröffentlichte Simmel zwei Erklärungen. In der ersten entschuldigte er sich. Es täte ihm leid, «dass sich mit meinem Begriff ‹Nazis› Menschen angesprochen fühlten, welche mit unserer jetzigen Regierung nicht einverstanden sind». Deshalb sei man kein Nazi, auch er sei mit der gegenwärtigen Regierung nicht einverstanden. Durch den Austausch mit seinen Kunden habe er gelernt, «dass sich viel mehr Menschen mit dem Wort ‹Nazi› identifizieren, als ich dachte». Wahrscheinlich sei dies auch deswegen so, weil diese Menschen in der Vergangenheit vorschnell in die Nazi-Schublade gesteckt worden seien, statt dass man sich mit ihren Sorgen auseinandergesetzt habe.
Zu seiner Aussage «Für Demokratie – gegen Nazis» stehe er nach wie vor, schreibt Simmer im zweiten Text; Nazis seien für ihn «die Schwerverbrecher von Hitlers Nazi-Regime» und «Menschen, die sich eine Diktatur wie unter Hitlers Zeiten zurückwünschen». Zugleich zitiert der Unternehmer einige Drohungen und Beleidigungen, die er und sein Team erhalten hätten. Darunter sind Sätze wie «Kauft nicht bei Simmel» und «Wenn wir an der Macht sind, werden wir dich nicht vergessen».
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