Nach einem kurzen Post-Covid-Boom Anfang vergangenen Jahres liess die Dynamik am chinesischen Kunstmarkt spürbar nach. Für das laufende Jahr sind die Aussichten mehr als verhalten.
Glenn Scott Wright wirkt ein wenig überrascht, als er Ende März an seinem Stand auf der Kunstmesse Art Basel in Hongkong steht. «Im vergangenen Jahr waren noch sehr viele Sammler aus China hier», sagt Wright und blickt durch die Halle des Hongkonger Messezentrums, «in diesem Jahr sind es nur wenige.» Und die wenigen, die kämen, sagt der Brite, gäben kein Geld aus.
Geht es um das Kaufen und Verkaufen von Kunst, ist Wright eine international beachtete Grösse. Wright ist Direktor der Galerie Victoria Miro mit Niederlassungen in London und Venedig und vertritt rund vierzig renommierte Künstlerinnen und Künstler. Seit zwölf Jahren nimmt er mit seiner Galerie an der Hongkonger Kunstmesse teil.
Wright war gewarnt. Bevor der Galerist in diesem Jahr nach Hongkong reiste, war er zunächst in Japan. Schon dort hatten ihm Kollegen gesagt: «Chinesische Sammler geben kein Geld mehr aus.»
Einbussen bei Vermögen
Während der vergangenen Jahrzehnte mit beeindruckenden Wachstumsraten der chinesischen Wirtschaft und der rasanten Zunahme des Wohlstands waren Chinesinnen und Chinesen zu weltweit bedeutenden Sammlern von Kunst aufgestiegen. Doch jetzt, da Chinas Konjunkturmotor stottert und der Immobilienmarkt implodiert ist, halten die Wohlhabenden des Landes ihr Geld zusammen.
Viele von ihnen mussten in der jüngsten Vergangenheit schmerzhafte Einbussen bei ihren Vermögen hinnehmen. Im neuen «Forbes»-Ranking der Reichsten der Welt rutschten fast alle Chinesen nach unten.
Doch das ist nicht alles. Wegen der unsicheren wirtschaftlichen Lage und des eisigen politischen Klimas verschieben immer mehr wohlhabende Chinesen ihre Vermögen ins Ausland. Die Folge: In Städten wie Singapur und Tokio schiessen die Immobilienpreise durch die Decke.
Dazu kommt: Weil extremer Reichtum in den Augen des chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping dekadent ist, nehmen die Strafverfolgungsbehörden immer wieder Unternehmer fest. Nicht wenige von ihnen verschwinden im Gefängnis. Ausserdem häufen sich in Peking Berichte, nach denen, wer ins Ausland emigrieren will, den chinesischen Behörden einen Teil seines Vermögens überlassen muss. Für den Kunstmarkt ist all das nicht gut.
China ist der zweitwichtigste Kunstmarkt nach den USA
Zwar legte das Volumen der Verkäufe von Kunst in China gemäss dem «Art Market Report» der UBS im vergangenen Jahr um 9 Prozent auf 12,2 Milliarden Dollar zu. Damit ist China mit einem Anteil von 19 Prozent nach den USA der zweitgrösste Kunstmarkt der Welt.
Doch der Zuwachs ist zu grossen Teilen auf Nachholkäufe während der ersten Jahreshälfte 2023 zurückzuführen. Im Jahr 2022 stand China die meiste Zeit unter Corona-Lockdown; Sammler konnten folglich nicht zu Auktionen und Galerien im Ausland reisen und verschoben Käufe auf das folgende Jahr.
Während der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres liessen die Verkäufe deutlich nach. «Die wirtschaftliche Lage war nicht sehr günstig», sagt Clare McAndrew, Mitautorin des «Art Market Report». Für das laufende Jahr sind die Aussichten kaum besser. McAndrew sagt: «Die Menschen machen sich mit Blick auf die nächsten Jahre Sorgen, sie fühlen sich unsicher.»
Galerien müssen schliessen oder sich verkleinern
Die Flaute am chinesischen Kunstmarkt ist mit Händen zu greifen. Viele Galerien mussten in den vergangenen Monaten schliessen oder verkleinerten sich. Hart trifft es unter anderem das international bekannte Künstlerviertel 798 in Peking. Eine Auktion von Sotheby’s und dem Long-Museum in Schanghai floppte.
Dabei hatte das Interesse vor allem an moderner Kunst in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Im ganzen Land entstanden Museumsviertel, allein im letzten Jahr eröffneten 383 neue Museen. Ausstellungen in den Museen des neuen West Bund Art District in Schanghai etwa fanden weltweit Beachtung.
Die Zukunft der chinesischen Kunstszene ist allerdings mehr als unsicher. Die Zensurbehörden greifen neuerdings immer häufiger und immer rabiater ein. So prüfen die Zensoren vor der Eröffnung einer Ausstellung nicht mehr nur jedes Kunstwerk. Inzwischen verschaffen sie sich auch Zutritt zu den Ateliers von Künstlern, um zu prüfen, woran sie gerade arbeiten.
Westlich inspirierte Kunst ist Xi ein Dorn im Auge
Chinas Alleinherrscher Xi ist moderne, vor allem westlich inspirierte Kunst von jeher ein Dorn im Auge. Stattdessen ruft er das Volk in regelmässigen Abständen dazu auf, sich auf die eigenen kulturellen Wurzeln zu besinnen, wozu er die klassische chinesische Kunst zählt. Xi spricht gern von der «Erneuerung des chinesischen kulturellen Erbes».
Gewissermassen in vorauseilendem Gehorsam übernehmen manche Experten die Propagandaparolen aus Peking. Die Beraterin Zhang Xiaoming, die moderne Kunst aus Asien im Westen bekannt machen will, lobte etwa bei einer öffentlichen Diskussion an der Art Basel Hongkong ausdrücklich «Xis Vision von der Erneuerung des chinesischen kulturellen Erbes». Fragen zur sich verschärfenden Zensur in China liess Zhang dagegen unbeantwortet. Das eisige politische Klima Chinas schlägt voll auf die Kunstszene durch.
Was in China heute an angeblich moderner Kunst ausgestellt wird, verspotten manche Künstler nur mehr als pure Dekoration. Das, was Kunst eigentlich soll – nämlich neue Denkräume erschliessen, wie es der Schweizer Sammler Uli Sigg formuliert –, vermögen solche Exponate nicht zu leisten.
Glenn Scott Wright, der Direktor der Galerie Victoria Miro, ist mit dem Verlauf der diesjährigen Art Basel Hongkong, die erstmals seit der Pandemie wieder in voller Grösse stattfand, hochzufrieden. Nach wenigen Tagen hatte seine Galerie fünfzehn Werke verkauft. «Das Geschäft mit Sammlern aus Hongkong läuft immer noch sehr gut», sagt Wright.