Mit dem Kreml-Interview ist dem einstigen Fox-News-Star Tucker Carlson ein globaler Mediencoup gelungen. Davon dürfte vor allem Donald Trump profitieren. Carlson und Trump waren schon einmal ein unschlagbares Team.
Sein Name fiel nur ein einziges Mal, und doch schien Donald Trump immer dabei zu sein, als Tucker Carlson diese Woche im Kreml den russischen Präsidenten Wladimir Putin interviewte. «Wird es anders, wenn es zu einem Regierungswechsel kommt in Washington?», fragte der einstige Fox-News-Star. Das sollte heissen: Wird alles anders, wenn Donald Trump wieder US-Präsident wird? Der Kreml-Chef war schlau genug, die Frage zu umschiffen. Putin will seinem Favoriten für das Weisse Haus nicht schaden.
Carlson ging nach Moskau, um die Amerikaner aufzuklären, denen die heimischen Medien und die Regierung von Joe Biden seiner Ansicht nach nur Lügen vorsetzen. Er rollte dem Langzeitherrscher Putin bereitwillig den roten Teppich aus, damit dieser in Autokratenmanier (das Interview dauerte zwei Stunden und war über weite Strecken ein Monolog Putins) seine Propaganda einem Millionenpublikum im Westen unterbreiten konnte: Die Ukraine gibt es nicht, die Regierung in Kiew ist ein Nazi-Regime, und die Amerikaner sollten jetzt endlich aufhören, die Ukrainer mit Waffen zu beliefern. Ohne die amerikanische Hilfe wäre der Krieg in wenigen Wochen vorbei.
Genau das ist auch Trumps Botschaft. Dieser befahl diese Woche seiner Partei im Kongress, die Militärhilfen in Milliardenhöhe für Kiew zu blockieren und damit quasi die Politik von Biden zu sabotieren.
Carlson erkannte Trumps Potenzial früh
Zwar tat Trump dies vornehmlich aus innenpolitischen Gründen: Er wollte Biden keinen Erfolg bei der Migrationspolitik gönnen, die in einem Gesetzespaket mit der Militärhilfe verbunden war. Trump behauptet aber beständig: Wäre er Präsident, würde er diesen Krieg in einem Tag beenden. Er, der Putin tief bewundert, wäre mit anderen Worten bereit, die Ukraine aufzugeben. Mit allen Konsequenzen. Dass Putin dann weitere Länder in Europa ins Visier nehmen und angreifen könnte, interessiert ihn nicht. Zu lange hat der Kontinent seine Sicherheitskosten auf die Amerikaner abgewälzt.
Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Carlson Zugang zum Kreml bekommen hat. Mit dem lange Zeit einflussreichsten Fernsehmann der USA liess Putin einen Verbündeten Trumps ein. Mit Trump, so denkt auch Putin, wäre die Ukraine in ihrer heutigen Form bald Geschichte.
Jahrelang waren Trump und Carlson ein Team. Sie lebten voneinander: Trump gab die Politik vor und twitterte, Carlson schrie sie über den konservativen Sender Fox News ins Land.
Angefangen hatte alles 2016. Carlson erkannte früh das Potenzial Trumps. Der Populist sei zwar ein Chaot und impulsiv, habe aber die Wut und die Frustration unter Weissen ausserhalb der Metropolen erkannt und für sich eingespannt, liess er Kollegen wissen. Diese Sympathie sollte sich kurz nach dem Wahlsieg Trumps im November 2016 für beide auszahlen. Carlson erhielt endlich eine eigene Show bei Fox, und bald wurde «Tucker Carlson Tonight» zur besten Sendezeit um 21 Uhr nicht allein der Quotenführer auf dem Kanal, sondern im gesamten Genre der «Kabel-News». Und Trump hatte im Gegenzug mit Fox News seinen persönlichen Propaganda-Sender.
Dabei war zu Beginn von Trumps phänomenalem Aufstieg zum Präsidenten eigentlich Sean Hannity der grosse Star bei Fox News. Dieser beglückte Trump mit Lobhudeleien und unterstützte den Präsidenten in dessen Kampf gegen die Demokraten in Washington bedingungslos.
Carlson wollte Trumps undiszipliniertes Verhalten im Weissen Haus nicht entschuldigen müssen, wie er laut der «New York Times» einem Kollegen anvertraute. Er sah sich nicht im Dienst von Trump, sondern des Trumpismus. Ein wichtiger Unterschied.
In seinen Shows spiegelte Carlson die Essenz von Trumps Politik wider: die Panik vor den «bösen» Einwanderern, die Wut über die angeblich zunehmende Diskriminierung weisser Amerikaner und die imaginierte Unterdrückung der amerikanischen Kultur, das Entsetzen über die fallenden Geburtenraten der Weissen und die Kriminalität in den Grossstädten sowie den Hass gegen das Establishment. Vieles unterstrich er mit abstrusen Verschwörungstheorien. «The great replacement» (den grossen Austausch), wonach die Weissen durch Nichtweisse ersetzt werden sollten, gab er wie ein Mantra zum Besten.
Der Trumpismus machte Carlson zum Superstar des amerikanischen Kabelfernsehens und zum Hohepriester von Trumps leidenschaftlichsten Anhängern. Er zementierte Trump als einzigen möglichen Anführer dieses Amerika.
Auf Linie blieb Carlson auch, als Trump abgewählt wurde. Grosszügig verbreitete er Trumps Lüge, er sei der wahre Sieger der Präsidentschaftswahlen 2020. Zudem nahm er jene in Schutz, die am 6. Januar das Capitol stürmten. Was hätten sie sonst tun sollen, argumentierte Carlson, Amerika gehe doch vor die Hunde! Viele von ihnen waren Fans seiner Fernsehshow.
Er ging sogar noch weiter und versteifte sich auf die Verschwörungstheorie, der Sturm aufs Capitol sei eigentlich eine Operation des FBI gewesen, der Bundespolizei.
Kommunizierende Gefässe
Trump und Carlson sind kommunizierende Gefässe, doch ihr Verhältnis, so stellte sich heraus, ist komplizierter, als es aussieht. Im April 2023 schien plötzlich alles vorbei, das Bild von der Symbiose der beiden Populisten zerbrach.
Im Verleumdungsprozess, den der Wahlmaschinen-Hersteller Dominion gegen Fox News führte, weil auf dem Sender ständig behauptete wurde, die Wahlmaschinen seien zugunsten von Biden manipuliert worden, kam es zur grossen Überraschung. E-Mails von Carlson kamen ans Licht, die zeigten, wie sehr er Trump verachtete: Er sei eine «dämonische Kraft», schrieb Carlson, ein Zerstörer. «Doch er kann uns nicht zerstören.» Oder: «Ich hasse ihn leidenschaftlich.» Vor der Kamera war er ein glühender Verfechter der Trump-Religion und hinter den Kulissen ein Trump-Hasser? War das möglich? Spielt es eine Rolle, dass Carlson Trump hasst? Solange er hinter dessen Politik steht und von ihm profitiert?
Carlson stammt aus der Oberschicht, sein voller Name ist Tucker McNear Swanson Carlson, er ging auf teure Privatschulen – und noch heute pflegt er den Habitus solcher Zöglinge: Khaki-Hosen, blauer Blazer, Hemden einer Traditionsfirma aus Neuengland, gestreifte Krawatte. Dazu gehört, dass er die Tochter des Direktors seiner St. George’s School im Gliedstaat Rhode Island heiratete. Mit ihr hat er vier Kinder.
Carlson macht kein Hehl daraus, für Aristokratie und Hierarchien zu sein. Dass er trotzdem gegen die Eliten wettert, ist kein Widerspruch, für ihn ist ja die falsche Elite an der Macht. Von Meritokratie hält er nicht viel. Sein Studium der Geschichte am Trinity College brach er nach ein paar Jahren ab.
Eigentlich hätte aus Carlson ein guter Journalist werden können. 1995 begann er beim «Weekly Standard», einer einflussreichen politischen Zeitschrift. Er galt bald als begabter Essayist mit einer Spezialität für treffend formulierte Porträts etwa von George W. Bush. Doch 2000 wechselte er das Medium und heuerte bei CNN als konservative Stimme bei der Debattensendung «Crossfire» an. Lange ging das nicht gut, er wechselte die Stellen nun öfters. 2009 kam er bei Fox News als Reporter und gelegentlicher Moderator unter. Von sich reden machte er mit Attacken gegen Präsident Barack Obama.
Fox News musste Dominion in einem Vergleich über 787 Millionen Dollar zahlen. Auch für die reichen Eigner des Medienkonzerns, die Murdoch-Familie, kein Pappenstiel. Carlson wurde entlassen, über die genauen Gründe rätselt man bis heute. Er war ja nicht der Einzige, der Trumps Lügen von den manipulierten Wahlen und Maschinen verbreitete.
Insider spekulieren, dass es wohl gleich mehrere Gründe gab: In seinem Team bei Fox News hat er angeblich eine frauenfeindliche und rassistische Atmosphäre geschürt. Das hat ihm die ehemalige Mitarbeiterin Abby Grossberg Anfang 2023 in einer Klage vorgeworfen, die in einem Vergleich endete. Obendrein eckte Carlson an mit seinen Verschwörungstheorien und seiner Bewunderung für autoritäre Politiker. Und er tat so, als sei er grösser als Fox News. Den Murdochs wurde es zu viel.
Plötzlich keine Kamera mehr da
Für Carlson war die Entlassung offenbar ein Schock. Er hatte nach seiner langen Karriere plötzlich keine Plattform mehr. Dazu hatte der politische Wind gedreht. Biden war Präsident und versuchte der Welt weiszumachen, dass Trump eine Ausnahme war und nicht die Zukunft von Amerika. Trump war wieder auf seinem Golf-Resort in Mar-a-Lago und hatte ebenfalls ein Medienproblem. Denn die Murdochs machten nun die Fox-News-Bühne frei für Konkurrenten Trumps bei der Präsidentschaftsbewerbung.
Da kam ihm sein alter Bekannter Carlson gerade recht. Der hatte inzwischen Geld aufgetrieben, sich mit dem Tucker Carlson Network (TCN) selbständig gemacht und zeigte Online-Interviews mit Leuten, die wirre Theorien über Migration, die Covid-Impfung oder «betrügerische» Demokraten vertreten. Er war zurück im Geschäft, allerdings auf kleinerem Fuss.
So dauerte es nicht lange, bis die beiden wieder zusammenspannten. Den Ex-Präsidenten schienen die alten E-Mails nicht zu kümmern. Vielmehr brauchte er wohl Carlson, und Carlson brauchte ihn. Als die anderen republikanischen Präsidentschaftskandidaten sich im letzten August zur ersten Fernsehdebatte trafen und dies auf allen Kanälen lief, gab Trump durch ein Interview mit Carlson Contra – und machte damit zuverlässig grösseren Wirbel.
Das Gespräch, das über X verbreitet wurde, war eine Steilvorlage für den Ex-Präsidenten. Er durfte über seine Zeit als Präsident prahlen und erklären, warum er es nicht nötig habe, sich mit den anderen republikanischen Kandidaten im direkten Austausch zu messen. Seine Konkurrenz sei ja längst abgeschlagen.
Trump machte sich lieber lustig über Bidens Verfassung. «Die dünnen Beine?», fragte Carlson. Er sehe schrecklich aus, sagte Trump. «Er kann nicht einmal zum Helikopter laufen. Er kann seine Füsse kaum über das Gras heben, dabei ist es nur fünf Zentimeter hoch beim Weissen Haus.» Mental sei er sogar noch schlechter beisammen als physisch. Carlson gab ihm die Plattform noch so gerne, lachte mit, grinste. Alles schien wieder gut. Das Dream-Team war zurück.
Neben Trump interviewte Carlson weitere prominente rechte Populisten. Viktor Orban in Ungarn etwa, den er schon lange verehrt und den er schon während seiner Fox-News-Zeit besucht hatte, den Chef der ultrarechten Vox-Partei in Spanien, Santiago Abascal, oder Javier Milei, den neuen libertären Präsidenten Argentiniens, dessen Markenzeichen die Motorsäge ist, mit dem er den Staat zurückstutzen möchte. 450 Millionen Mal wurde das Interview mit Milei in den Internetmedien geklickt.
«Politico» nennt Carlson bereits den «Schatten-Aussenminister» Trumps. In einer Show mit dem Titel «Dublin in Flammen» sprach er mit dem früheren Berater von Donald Trump, Steve Bannon, über die Ausschreitungen in der irischen Hauptstadt. Für ihn ist klar, die irische Regierung will die Bevölkerung mit Menschen der Schwellenländer austauschen. Da ist sie wieder, Carlsons grosse Verschwörungstheorie.
In Ungarn sagte Carlson an einer Veranstaltung, die Welt werde neu aufgestellt. Die Ordnung der Nachkriegszeit sei vorbei, die Nato breche zusammen. Trump hat ebenfalls mehrfach angedroht, diesmal als Präsident der Vereinigten Staaten aus dem westlichen Militärbündnis auszusteigen. Der Medienmann scheint die Welt auf eine zweite Präsidentschaft Trump vorzubereiten oder zumindest jenen Teil, der sich darauf freut. Dazu dürfte sich Putin zählen, der den «America First»-Isolationismus von Carlson und Trump als historische Chance zur Wiedererrichtung russischer Grösse sieht.
Trump ist derweil hochzufrieden mit Carlsons Treiben und brachte ihn im letzten Herbst sogar als möglichen Vizepräsidenten ins Spiel: «Ich mag ihn, er hat einen grossartigen Common Sense.» Dass er sein Running Partner wird, ist derzeit allerdings wenig plausibel. Denn letztlich dürfte Carlson für den misstrauischen Egoisten Trump doch zu ehrgeizig, zu eigenwillig und vielleicht auch zu arrogant sein.
Denn Carlson hat womöglich noch viel grössere Ambitionen. In den sozialen Netzwerken riefen Fans nach dem Sturm auf das Capitol, er solle doch selbst als Präsident kandidieren. Solange er in der Gunst von Trump bleibt und als Bannerträger des Trumpismus weitermarschiert, steht ihm dieser Weg eigentlich offen, und mit seinen 54 Jahren hat er ja noch Zeit.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»