Ende der Woche beginnt die bedeutendste sicherheitspolitische Tagung der westlichen Welt. Der Konferenzvorsitzende Christoph Heusgen versuchte am Montag in Berlin, den Fokus auf die seiner Ansicht nach wirklich wichtigen Themen zu lenken.
Wenn am Freitag dieser Woche die 60. Münchner Sicherheitskonferenz beginnt, dann werden zwei Personen ganz besonders Gesprächsthema sein, die gar nicht dabei sind. Der Name Wladimir Putin liegt dabei nahe, der von Donald Trump nach dem vergangenen Wochenende allerdings auch. Der republikanische Präsidentschaftskandidat hatte an einer Wahlkampfveranstaltung geäussert, er erwäge, Länder, die nicht die finanziellen Vorgaben in der Nato erfüllten, im Falle seines erneuten Einzugs ins Weisse Haus, nicht mehr zu verteidigen. Putin könne, äusserte er sinngemäss, mit ihnen dann machen, was er wolle.
Es dürften Aussagen wie diese sein, die das dreitägige Treffen von mehr als 180 hochrangigen Regierungsvertretern aus der ganzen Welt in der bayrischen Landeshauptstadt nicht nur bestimmen, sondern vor allem überschatten werden. Eine erneute Diskussion über den Zusammenhalt des transatlantischen Bündnisses, eine Debatte über seine generelle Zukunft, wie in der ersten Amtszeit von Trump zwischen 2017 und 2021 – das ist das Letzte, was die Nato in der derzeitigen weltpolitischen Lage gebrauchen kann. Entsprechend versuchte der Vorsitzende der Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, am Montag in Berlin den aufkeimenden Konflikt ein wenig abzumoderieren.
Trump habe zu Beginn seiner ersten Amtszeit 2017 etwa gedroht, die amerikanischen Truppen aus säumigen europäischen Staaten abzuziehen. Vier Jahre später hätten indes mehr amerikanische Soldaten in Europa gestanden als zuvor, sagte Heusgen. Ausserdem habe Trump nur wiederholt, was er während seiner Präsidentschaft auch schon immer gesagt habe: Die Nato-Staaten sollten ihre «Hausaufgaben» machen, womit vor allem gemeint sei, die vereinbarten zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) für das Militär auszugeben.
Es sei, so Heusgen, den amerikanischen Steuerzahlern eben nicht zu erklären, warum sie 3,5 Prozent des BIP für die Sicherheit nicht zuletzt der Europäer aufbringen sollten, während etwa Deutschland noch im Jahr 2023 deutlich weniger als zwei Prozent ausgegeben habe. Trump habe das auf die ihm eigene Art am Wochenende noch einmal zum Ausdruck gebracht.
Trump stellt Beistandsversprechen infrage
Damit war Heusgen allerdings noch nicht auf das ganze Trump-Zitat eingegangen. Es ist weniger die Zwei-Prozent-Frage, die für Beunruhigung in vielen europäischen Nato-Staaten sorgt, als eine so von einem potenziellen US-Präsidenten noch nie gehörte Drohung, säumige Zahler allein zu lassen. Damit stellte Trump den Kern der Nato, das Beistandsversprechen aller Mitgliedsstaaten, infrage.
Heusgen hatte darauf eher plattitüdenhafte Antworten, etwa dass die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel schon früher gesagt habe, Europa müsse nun stärker selbst für seine Sicherheit sorgen. Dass hierzu seitdem nicht übermässig viel geschehen ist, dürfte allerdings auch Heusgen nicht entgangen sein. Eher im Gegenteil: Viele europäische Staaten sind heute militärisch noch schlechter aufgestellt, weil sie Waffen und Munition an die Ukraine abgegeben und noch nicht wieder beschafft haben.
Gleichwohl ist es nachvollziehbar, dass Heusgen kein Interesse daran hat, Trump zum Hauptthema der Konferenz werden zu lassen. Dazu gebe es, wie er sagte, zu viele Krisen, Konflikte und Herausforderungen, «so viele wie kaum zuvor in den sechs Jahrzehnten». Die Konferenz wolle daher auch diesmal wieder ihrem Credo folgen, «Frieden durch Dialog» zu erreichen, dazu die wichtigsten Akteure zusammenbringen und ihnen die Möglichkeit geben, vertrauliche Gespräche zu führen. Die Gästeliste zeigt, dass zumindest die personellen Voraussetzungen dafür durchaus gegeben sind.
So haben etwa der israelische Staatspräsident Yitzhak Herzog sowie die Regierungschefs Libanons, des Iraks, Katars und der Präsident Jemens, ausserdem der jordanische König Abdullah und die Aussenminister Saudiarabiens und Omans zugesagt. Sie alle sind wichtig, um Gespräche über eine Lösung des Nahostkonflikts in Gang zu bringen. Heusgen zeigte sich jedoch skeptisch, ob es gelinge, sie gemeinsam auf ein Panel zu bekommen. Dazu gebe es bei einigen zu viele «Berührungsängste», sie wollten keinesfalls mit der anderen Seite gesehen werden, sagte er. Er hoffe aber, dass bilaterale Gespräche hinter den Kulissen zustande kämen, um den «Konflikt zu einem Ende zu bringen».
Einladung erst, wenn Putin die Regierung in Kiew anerkennt
Wenn die Sicherheitskonferenz Frieden durch Dialog erreichen will, dann scheitert sie zumindest beim grössten Konflikt dieser Tage auch in diesem Jahr wieder an ihrem Credo. Erst müsse Präsident Wladimir Putin die ukrainische Regierung anerkennen, dann könnten «sicher auch wieder offizielle Vertreter Russlands nach München eingeladen werden», sagte Heusgen in Anspielung auf seine Entscheidung, erneut keine Vertreter der Regierung in Moskau einzuladen.
Doch dass die Frage, wie Gespräche der Kriegsparteien in der Ukraine in Gang zu bringen sind, ein Thema auf der Konferenz sein könnte, deutete Heusgen zumindest an. Auf die entsprechende Frage sagte er, das hänge auch davon ab, ob der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski der Einladung nach München folge.
Selenski träfe immerhin auf zahlreiche auch für ihn wichtige Gesprächspartner. Aus den USA etwa kommen Vizepräsidentin Kamala Harris und Aussenminister Antony Blinken. Deutschland ist mit dem halben Kabinett von Kanzler Olaf Scholz vertreten, unter ihnen Vizekanzler Robert Habeck und Verteidigungsminister Boris Pistorius.
Wie kriege man Putin dazu, Verhandlungen zuzustimmen, die Aussicht auf Erfolg haben sollen, fragte der Konferenzchef Heusgen rhetorisch und lieferte die Antwort gleich hinterher. Das gehe nur, wenn er sehe, dass er den Krieg nicht gewinnen könne. Dafür seien fortgesetzte Waffen- und Munitionslieferungen an die Ukraine unabdingbar.
Zugleich aber müsse Putin spüren, dass die Sanktionen für ihn und sein Land immer schmerzhafter würden. Hier kämen zwei weitere Gäste der Konferenz ins Spiel. Der chinesische Aussenminister Wang Yi und der indische Aussenminister Subrahmanyam Jaishankar stehen für zwei Staaten, die trotz dem Krieg in der Ukraine nach wie vor enge wirtschaftliche Beziehungen zu Russland pflegen. Heusgen sagte, mit ihnen müsse man dann eben auch über die Sanktionen gegen Moskau reden.
Westliche Gesellschaften sehen sich als Verlierer
Allerdings dürfte das mühsam werden. Sowohl für China als auch für Indien läuft es derzeit – geopolitisch betrachtet – gut. Sie profitieren etwa vom niedrigen Preis, zu dem Russland seit dem Ende der Geschäftsbeziehungen mit dem Westen nun Öl und Gas an sie verkaufen muss. Wie eine Befragung im Rahmen des «Munich Security Report 2024», einer Umfrage in den G-7- sowie den BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika; anstelle Russlands wurde in diesem Jahr die Ukraine in die Befragung aufgenommen; Anm. d. Red.) zu gesellschaftlichen Risikowahrnehmungen, ergab, sehen sich dort breite Teile der Gesellschaft als Gewinner der weltpolitischen Entwicklungen. Auf die Frage, ob sie glauben, durch eine fortgesetzte internationale Kooperation in zehn Jahren sicherer und wohlhabender zu leben, zeigten sich grosse Teile der Gesellschaften zuversichtlich, während sich die Bürger in den westlichen Demokratien grösstenteils auf der Verliererseite sehen.
Die Autoren des Sicherheitsreports schreiben, im Zuge wachsender geopolitischer Spannungen und zunehmender wirtschaftlicher Unsicherheit schätzten viele Regierungen weltweit nicht mehr die absoluten Vorteile internationaler Kooperation. Sie befürchteten vielmehr, weniger von der Zusammenarbeit zu profitieren als andere. Dieser zunehmende Fokus auf den geopolitischen Wettbewerb ende in einem Teufelskreis, bei dem es nur noch um die Frage gehe, wer weniger verliere. Regionale Krisen und Konflikte seien immer stärker von dieser «Nullsummendynamik» geprägt. Dies erschwere eine Lösung der Konflikte, auch und gerade weil die Grossmächte immer weniger an einem Strang zögen. Dies drohe am Ende alle zu Verlierern zu machen.