Seit zwanzig Jahren durchbricht sie gläserne Decken in der amerikanischen Politik, nun will Kamala Harris die erste Präsidentin der USA werden. Ihre politische Karriere ist gespickt mit wenig bekannten Episoden.
Nicht nur Trump verspricht «Recht und Ordnung»: Mit diesem Schlagwort begann auch Kamala Harris ihre Karriere
San Francisco im Jahr 2002, es herrschen Missstände im städtischen Justizwesen: Der Bezirksstaatsanwalt gilt als schlampig und zu nachgiebig gegenüber Kriminellen. Die Verurteilungsrate in seinem Bezirk ist mit 50 Prozent die niedrigste in ganz Kalifornien. Kamala Harris, die Jahre zuvor noch für den besagten Magistraten gearbeitet hatte, sieht ihre Chance, in die Politik einzusteigen, und kandidiert für das Amt.
Harris positioniert sich im Wahlkampf rechts der Mitte und verspricht den Wählern, wieder Ordnung herzustellen. In Umfragen liegt sie zunächst zurück, doch dann spricht die Lokalzeitung «San Francisco Chronicle» eine Wahlempfehlung für sie aus. «Kamala Harris, für Recht und Ordnung» (law and order), lautet die Überschrift. Es ist das gleiche Motto, mit dem Jahre später Donald Trump im Präsidentschaftswahlkampf 2016 auf sich aufmerksam machen wird.
Tatsächlich besiegt Harris den Amtsinhaber mit 56,5 Prozent der Stimmen. In den folgenden Jahren als Bezirksstaatsanwältin geht sie mit harter Hand gegen Straftäter vor: Die Verurteilungsrate steigt von 52 auf 71 Prozent. Das liegt auch daran, dass sie entschieden gegen geringfügige Vergehen wie Marihuana-Besitz vorgeht. Dafür erntet sie Kritik von vielen Demokraten.
Umstritten ist auch ihr Vorgehen gegen Schulschwänzer – oder deren Eltern. Mithilfe der Schulbehörden macht Harris Kinder ausfindig, die regelmässig der Schule fernbleiben, und schickt deren Eltern Warnbriefe. Allein im Jahr 2008 erhebt ihre Behörde Klage gegen zwanzig Eltern. Harris tut dies, weil sie einen Zusammenhang zwischen regelmässigem Schulschwänzen und öffentlicher Sicherheit sieht. 75 Prozent solcher Kinder brächen irgendwann die Schule ganz ab, steht in einer Broschüre, die ihr Büro verteilt. «Und zwei Drittel aller Gefängnisinsassen in den USA haben die Schule abgebrochen.»
Umgekehrt ist sie jedoch nachsichtig, als ein Polizist im Dienst erschossen wird: Überraschend fordert sie als Staatsanwältin nicht die Todesstrafe für den Täter, sondern beschränkt sich auf eine lebenslange Haftstrafe. Die Demokratin Dianne Feinstein kritisiert sie dafür scharf an der Beerdigung des Polizisten.
Ihre Ansätze zur Strafverfolgung fasst Harris 2009 in einem Buch namens «Smart on Crime» zusammen. Darin fordert sie Strafrechtsreformen und räumt mit Stereotypen auf – etwa dass afroamerikanische Gemeinden grundsätzlich polizeifeindlich eingestellt seien.
Harris wurde von einem kalifornischen Spitzenpolitiker gefördert
Willie Brown, heute 90 Jahre alt, ist ein Urgestein der kalifornischen Politik. Jahrelang war er Speaker des gliedstaatlichen Parlaments und dann Bürgermeister von San Francisco. Er sei der mächtigste Lokalpolitiker in den USA, schrieb die «New York Times» einmal über ihn. Mit Brown hatte Harris eine einjährige Beziehung, als sie 29 Jahre alt und Assistentin des Staatsanwalts in Oakland war. Brown war damals 60, Speaker in Sacramento und lebte von seiner Frau getrennt.
Bis heute sagen böse Zungen Harris nach, dass sie ihre politische Karriere dieser Beziehung zu verdanken habe. Harris redet nicht gerne darüber, in ihrer Autobiografie erwähnt sie Brown mit keinem Wort. Tatsache ist, dass Brown Harris für zwei Positionen in politischen Aufsichtsgremien vermittelt hatte, dem California Unemployment Insurance Appeals Board und der Medical Assistance Commission. Dies brachte ihr Zusatzeinnahmen von etwa 80 000 Dollar im Jahr ein.
Doch Harris’ Karriere ist nicht die einzige, die Brown unterstützt hat. Ob Gouverneur Gavin Newsom oder die frühere Speakerin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi – es gebe kaum einen erfolgreichen kalifornischen Politiker, den er nicht gefördert habe, rühmt sich Brown bis heute. Harris sei jedoch die Einzige, die ihn nach ihrem Sieg per E-Mail gewarnt habe: Als neue Bezirksstaatsanwältin werde sie ihn «ins Gefängnis stecken, nur schon wenn er bei Rot über die Ampel» gehe.
Hinzu kommt, dass Harris die Beziehung zu Brown Jahre vor ihrem ersten Wahlkampf beendet hatte. «Sie kam zu dem Schluss, dass es keine langfristige Zukunft für uns gab», sagte Brown, «und sie hatte damit absolut recht.»
Kamala Harris lebte als Teenager jahrelang in Kanada
In Oakland geboren, in Berkeley aufgewachsen, in San Francisco zur Staatsanwältin geworden, in Los Angeles verheiratet: Kamala Harris ist ein Gewächs Kaliforniens. Wenig bekannt ist, dass sie als Teenager sechs Jahre lang in Kanada gelebt hat.
Ihre Mutter hatte an der Universität in Berkeley als Brustkrebsforscherin gearbeitet und nebenbei Harris und ihre Schwester alleine grossgezogen. Mitte der siebziger Jahre war an der Universität eine Professorenstelle offen, der Mutter war die Stelle versprochen worden – doch dann brach ihr Vorgesetzter sein Wort und berief einen männlichen Kollegen für die Position. Die Mutter war ausser sich. Als kurz darauf eine renommierte kanadische Universität ihr eine Stelle anbot, folgte die Familie dem Ruf in die französischsprachige Provinz Quebec.
Von ihrem zwölften bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr wuchs Harris in Montreal auf. Sie redet selten über diese Zeit, weil es für sie keine gute war. Sie habe die kalifornische Sonne vermisst und ihre Freunde. Zudem setzte ihr die französische Sprache zu. «Ich machte Witze, dass ich mich wie ein Entchen fühlte, weil ich an der neuen Schule den ganzen Tag lang nur ‹Quoi? Quoi? Quoi?› sagte», schreibt sie in ihrer Autobiografie. Sie wollte so schnell wie möglich in die USA zurückkehren und tat dies nach dem Highschool-Abschluss auch.
Harris flog durchs juristische Staatsexamen
Kamala Harris’ Lebenslauf ist geprägt von Disziplin und Ehrgeiz – umso mehr springt eine Episode des Scheiterns hervor. Im Sommer 1988, etwa ein Jahr vor dem Ende ihres Jurastudiums, macht Harris ein Praktikum in der Bezirksstaatsanwaltschaft des Alameda County, zu dem auch ihre Geburtsstadt Oakland gehört. Harris schlägt sich dort so gut, dass sie eine Stelle als Assistentin des Staatsanwalts angeboten bekommt. Voraussetzung ist jedoch, dass sie ihr Studium mit dem Staatsexamen abschliesst.
Harris unterzeichnet das Angebot, beendet ihr Studium, legt die Prüfung ab und beginnt noch vor Eintreffen der Resultate ihre neue Tätigkeit. Doch dann kommt der grosse Knall: Harris erfährt, dass sie durch die Prüfung gefallen ist. Damit ist sie in guter Gesellschaft: Laut der State Bar of California fallen in jenem Sommer mehr als 40 Prozent der Prüflinge durch das juristische Staatsexamen. Generell gilt die Prüfung in Kalifornien als die schwerste unter allen Gliedstaaten.
Doch für die bisherige Überfliegerin Harris ist das Ergebnis eine Niederlage. Noch heute scheint sie sich dafür zu schämen. «Ich fühlte mich elendig», schreibt sie in ihrer Autobiografie. Ihre Mutter habe ihr eingetrichtert, nichts im Leben nur halb zu machen. Aber «beim Lernen für das Staatsexamen habe ich so halbherzig wie für nichts anderes in meinem Leben gelernt». Statt in der Staatsanwaltschaft arbeitet sie vorübergehend tagsüber in der Verwaltung, abends lernt sie, und drei Monate später absolviert sie ein zweites Mal die Prüfung – und besteht.
Ihre Nichte versuchte aus ihrer Verwandtschaft Profit zu schlagen
Harris’ hat eine drei Jahre jüngere Schwester namens Maya. Diese wurde im letzten Jahr der Highschool, mit 17 Jahren, schwanger. Über den Vater ist bis heute nichts öffentlich bekannt. Kamala Harris und ihre Mutter halfen ihr, das Baby grosszuziehen.
Harris pflegt eine enge Verbindung zu ihrer 20 Jahre jüngeren Nichte Meena, die beiden haben auch am gleichen Tag Geburtstag. Meena Harris wiederum versteht es, mit der politischen Karriere ihrer Tante Aufmerksamkeit zu erzeugen: Im Zuge von Harris’ Senatskandidatur 2016 gründete sie eine Kleiderfirma namens «Phenomenal Woman». Deren Markenzeichen sind auf T-Shirts und Pullover gedruckte Sprüche, mit denen man Frauen und Minderheiten unterstützt. Teile des Erlöses spendet die Firma an Wohltätigkeitsorganisationen.
Im Zuge des Präsidentschaftswahlkampfs 2020 lancierte Meena Harris eine Kleiderserie mit der Aufschrift «Vice President Auntie», also «Tante Vizepräsidentin». Zudem druckte sie «Jetzt rede ich» (I’m speaking) auf T-Shirts – jenen Ausdruck, den Harris in einer Fernsehdebatte immer wieder gebracht hatte. Mit einer Hardware-Firma entwarf Meena Harris zudem eine Sonderedition von Kopfhörern, auf denen ein weiterer bekannter Spruch ihrer Tante steht: «Die Erste, aber nicht die Letzte». Just am Tag vor der Vereidigung der neuen Regierung Biden-Harris im Januar 2021 brachte sie zudem ein Kinderbuch auf den Markt: «Ehrgeiziges Mädchen». Es landete prompt auf den Bestsellerlisten.
Das Verhalten der Nichte ist auch deswegen bemerkenswert, weil Joe Biden und Kamala Harris im Wahlkampf gelobt hatten, mit der Vetternwirtschaft Donald Trumps im Weissen Haus zu brechen. Anwälte des Weissen Hauses forderten deswegen Meena Harris auf, Produkte mit Bezug zu Kamala Harris nicht mehr zu vertreiben. Daran scheint sie sich bis heute zu halten.