Seit zwei Jahren schwankt die deutsche Wirtschaft zwischen Stagnation und Rezession. Jetzt zeigen Frühindikatoren erste Erholungssignale. Das hat jedoch vor allem einen Grund.
Der Übergang vom Winter zum Frühling ist oft sehr graduell. Manchmal bedeckt sogar noch Schnee die ersten Knospen. Mit der Konjunktur ist es häufig genauso wie mit Mutter Natur. Die ersten Anzeichen einer Erholung können sehr verhalten aussehen. Deshalb achten Ökonomen besonders auf einschlägige konjunkturelle Frühindikatoren.
Die Commerzbank berechnet für Deutschland einen sogenannten Early-Bird-Indikator. Dieser steigt seit einem Jahr und notiert seit vier Monaten wieder im positiven Bereich. Steht Deutschland nach zwei Jahren Stagnation endlich vor einer wirtschaftlichen Erholung?
Stimulierung durch sinkende Zinsen
Der Indikator setzt sich aus drei Komponenten zusammen: der Geldpolitik, dem weltwirtschaftlichen Umfeld und der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Der Treiber hinter der jüngsten positiven Entwicklung war allerdings nahezu allein die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB).
Die EZB hatte im Juni die Zinswende eingeleitet, weil die Inflation im Euro-Raum stark zurückgegangen war. Inzwischen hat sie die Leitzinsen um insgesamt einen Prozentpunkt gesenkt. Entsprechend ist der kurzfristige Realzins, also der Zinssatz nach Abzug der Inflation, deutlich niedriger als vor einem Jahr. Marktteilnehmer erwarten bis zum Sommer zudem eine weitere Zinsreduktion der EZB um einen Prozentpunkt.
Dann dürften die Leitzinsen ein Niveau erreicht haben, das für die Wirtschaftsentwicklung neutral ist oder diese sogar forciert. Allerdings dauert es schätzungsweise 12 bis 18 Monate, bis sinkende Zinsen ihre vollständige Wirkung entfalten. Die beiden anderen Komponenten des Early Bird haben sich dagegen in den vergangenen Monaten kaum bewegt. Die weltwirtschaftliche Entwicklung ist weiterhin schwach und die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft liegt ungefähr auf dem gleichen Niveau wie im Vorjahr.
Düstere Aussichten für die Industrie
Auch andere Frühindikatoren zeichnen ein positives Bild. So zeigte der Index des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) für die Konjunkturerwartungen wieder nach oben, wobei die derzeitige Lage von den befragten Experten unverändert schlecht eingeschätzt wird.
ZEW-Präsident Achim Wambach meinte, die vorgezogene Neuwahl in Deutschland mit der damit einhergehenden Erwartung einer investitionsfreundlicheren Wirtschaftspolitik und die Aussicht auf weitere Zinssenkungen sorgten für einen verbesserten wirtschaftlichen Ausblick. Düster sind die Einschätzungen aber weiter für die Branchen Automobil- und Maschinenbau sowie den Metall- und Stahlsektor. Am besten sieht es für die IT, Dienstleistungen und Telekommunikation aus.
Wie schlecht die Lage in Deutschland war und ist zeigen ferner die Einkaufsmanager-Indizes für das verarbeitende Gewerbe und die Dienstleistungen, die ebenfalls Frühindikatoren sind. Die Industrie befindet sich seit Jahren in einer massiven Rezession, weswegen immer wieder das Schlagwort der Deindustrialisierung die Runde macht.
Zwar hat sich der Index für das verarbeitende Gewerbe zuletzt auf 43 Punkte geringfügig erholt. Er liegt damit aber immer noch weit unter 50 Punkten. Werte über dieser Schwelle signalisieren eine konjunkturelle Expansion, während Werte darunter auf eine schrumpfende Wirtschaft hindeuten. Etwas besser ist der Index für den Dienstleistungssektor, der seit vier Jahren zwischen 55 und 45 Punkten schwankt, zuletzt aber immerhin wieder bei 54 Zählern notierte.
Sinkende Standortqualität
Belastend für die Wirtschaft sind die blutleere Weltkonjunktur und vor allem das flaue Wachstum in China. Darunter leiden exportorientierte Volkswirtschaften wie jene von Deutschland oder auch die von Italien besonders. Zugleich ist die Standortqualität in den vergangenen zehn Jahren massiv gesunken, das betrifft die jeweils hohen Arbeitskosten, Energiepreise und Steuern sowie die ausufernde Bürokratie.
Entsprechend bleiben die deutschen Unternehmen mit grosser Mehrheit pessimistisch. In einer Umfrage des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) bewerteten 31 von 49 befragten Wirtschaftsverbände die aktuelle Lage schlechter als vor einem Jahr. Nur vier Verbände haben eine Verbesserung der Situation in den vergangenen 12 Monaten festgestellt.
Für 2025 gehen 20 der 49 Verbände von einer rückläufigen Produktion in ihrer Branche aus. Auch dies zeigt den herrschenden Pessimismus, wenngleich er zumindest etwas nachgelassen hat. Aus Sicht des IW liefert die aktuelle Umfrage dennoch keinen Beleg für eine nennenswerte konjunkturelle Wende im kommenden Jahr.
Verhaltene Wachstumsaussichten
Vieles hängt international von der Entwicklung der Weltwirtschaft sowie national vom Ausgang der Bundestagswahl im Februar ab. Sollte US-Präsident Donald Trump seine Ankündigungen wahr machen und einen Zollkrieg anzetteln, würde dies Unternehmen weiter belasten. In Deutschland könnte dagegen eine neue Regierung den wirtschaftlichen Kurs positiv verändern und möglicherweise die Schuldenbremse aufweichen, um mehr staatliche Investitionen zu ermöglichen.
Die meisten führenden Bankökonomen rechnen für 2025 allerdings nur mit einem geringen Wirtschaftswachstum von 0,2 bis 0,7 Prozent. Sollte es eher bei 0,7 Prozent liegen, würde immerhin der konjunkturelle Winter der vergangenen zwei Jahre endlich zu Ende gehen und es könnten sich erste Frühlingsgefühle entwickeln.
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