Ein bizarrer Zwischenfall fünf Kilometer von der Grenze zu Libanon entfernt wirft Fragen auf. Derzeit häufen sich Spekulationen über den Vorfall. Was bekannt ist.
Zeev Erlich war 71 Jahre alt, als er am Mittwochnachmittag in Libanon getötet wurde. Er war unterwegs mit Soldaten der israelischen Streitkräfte (IDF) in einem vermeintlich gesicherten Gebiet, als zwei Hizbullah-Kämpfer das Feuer eröffneten. Neben Erlich wurde auch ein Soldat der IDF getötet, zwei weitere wurden verletzt.
Zwar fordert der Krieg zwischen Israel und dem Hizbullah in Libanon jeden Tag Todesopfer, militärische wie zivile. Doch dass ein älterer, israelischer Zivilist im Kampfgebiet umkommt, ist ungewöhnlich – zumal er dieses offenbar unbefugt betreten hatte. Wer war Zeev Erlich, und was hatte er in Libanon zu suchen?
«Ein Pionier der Siedlerbewegung»
Erlich war vieles: Historiker, Archäologe, Reiseleiter, Dozent, IDF-Reservist im Rang eines Majors. Vor allem in der israelischen Siedlerbewegung und national-religiösen Kreisen war er eine prominente Figur. Davon zeugen Trauerbekundungen von Exponenten der Bewegung nach Erlichs Tod.
So würdigten etwa Bezalel Smotrich, Finanzminister und Vorsitzender der rechtsextremen Partei Religiöser Zionismus, und Amichai Eliyahu, Minister für kulturelles Erbe von der religiös-nationalistischen Partei Otzma Jehudit, den Getöteten. Israel Ganz, Leiter einer Regionalverwaltung mehrerer Siedlungen im Westjordanland, nannte ihn «einen Pionier der Siedlerbewegung».
Slain West Bank historian mourned as questions swirl around research trip into Lebanon https://t.co/J98Zv8TAcz
— The Times of Israel (@TimesofIsrael) November 21, 2024
Erlich war ein Gründungsmitglied und Bewohner der Siedlung Ofra im von Israel besetzten Westjordanland und hatte dort eine sogenannte Feldschule mit aufgebaut. Letztere befasst sich mit der Erforschung des «biblischen Kernlands Israels». Die Schule setzt dabei auf Exkursionen mit Schülern durch «Judäa und Samaria» – mit diesen biblischen Namen bezeichnet die Siedlerbewegung das Westjordanland.
Archäologie spielt im palästinensisch-israelischen Konflikt eine besondere Rolle. Mithilfe historischer Stätten und Artefakte, die es in der Region mit ihrer jahrtausendealten Geschichte en masse gibt, wird versucht, Gebietsansprüche zu legitimieren. Erlichs Forschungen hatten deshalb nicht zuletzt eine ideologische Komponente. Was genau das Ziel seines Besuches in Libanon war, ist indes offen.
Widersprüchliche Angaben von Armee und Familie
Laut israelischen Medienberichten wollte Erlich eine archäologische Stätte im libanesischen Dorf Chamaa untersuchen, 25 Kilometer südlich von Tyros. An dieser Stelle steht die Ruine einer alten Kreuzfahrer-Festung, der Legende nach soll sich dort zudem die Grabstätte eines Jüngers von Jesus befinden. Manche vermuten, dass Erlich dort nach Anzeichen jüdischer Geschichte suchte. Denn es gibt durchaus Exponenten der Siedlerbewegung, die auch eine Besiedlung des südlichen Libanon befürworten.
Der Forscher hatte am Mittwochmorgen die israelisch-libanesische Grenze überquert, ausgerüstet mit einer IDF-Uniform. Er wurde unter anderem von einem hochrangigen Offizier der IDF begleitet. Dieser soll den Ausflug des Archäologen ins Kampfgebiet genehmigt haben. Gemäss dem Pressebüro der IDF ist er dazu allerdings nicht befugt gewesen.
Laut der israelischen Zeitung «Haaretz» läuft derzeit eine Untersuchung des Vorfalls durch die Militärpolizei. Das israelische Onlineportal «Ynet» schreibt zudem, dass Berichte über weitere Reisen Erlichs nach Libanon in den vergangenen Wochen untersucht würden, ebenso die Frage, ob seine Anwesenheit Forschungs- oder operativen Zwecken gedient habe.
Erlichs Familie widerspricht den offiziellen Angaben der IDF, dass er als Zivilist in Libanon gewesen sei. Erlichs Bruder sagte zu «Ynet»: «Wir können bestätigen, dass er einberufen worden war und als Soldat im Einsatz stand.» In einem ungewöhnlichen Schritt erklärten die IDF Erlich postum zu einem gefallenen Soldaten im aktiven Reservedienst. Dadurch wird etwa eine militärische Bestattung ermöglicht.
Unesco setzt 34 historische Stätten unter erhöhten Schutz
Während die Umstände des tödlichen Vorfalls abgeklärt werden, steht eines fest: Der Krieg zwischen Israel und dem Hizbullah bedroht die zahlreichen historischen Stätten in Libanon.
Anfang Woche setzte die Unesco auf Drängen der libanesischen Behörden 34 historische Stätten unter erhöhten Schutz gegen militärische Angriffe. Die Nichteinhaltung des Schutzes, schreibt die Unesco, würde einen «schweren Verstoss» gegen das Haager Übereinkommen zum Schutz von Kulturgut und einen möglichen Grund für eine Strafverfolgung darstellen. Mit auf der Unesco-Liste: eine Festungsruine in Chamaa.