Im hitzigen Fernsehduell der Präsidentschaftskandidaten dominiert Kamala Harris klar – wie sie die Wirtschaft des Landes vorwärtsbringen will, bleibt nebulös.
Vom ersten Moment an machte Kamala Harris klar, dass sie in die Offensive geht. Sie betrat die Bühne, schritt zu Donald Trump hinüber, streckte ihre Hand aus und stellte sich vor: Kamala Harris. Trump konnte nicht anders, als ihr die Hand zu schütteln, wortlos und überrascht.
Das war der Auftakt zu einem Schauspiel, das für Trump-Anhänger wohl schwer zu ertragen war. Kamala Harris verfolgte klar das Ziel, Donald Trump aus dem Gleichgewicht zu bringen, und nach 26 Minuten gelang es ihr. Es lohnt sich, diesen Moment genauer anzuschauen. Es ging thematisch um die Migration, ein gefährliches Terrain für Kamala Harris und eigentlich eine Chance für Trump, die Vizepräsidentin für die Zunahme der Migration unter der Biden-Regierung verantwortlich zu machen. Doch Harris lenkt in ihrer Antwort ab und beginnt davon zu reden, dass Trumps Wahlkampfveranstaltungen schlecht besucht seien und das Publikum offensichtlich gelangweilt sei.
Trump, der bekanntlich eine Obsession mit der Grösse seiner Veranstaltungen hat, schluckt den Köder. Er beginnt, wirr zurückzuschlagen, sagt, dass Harris ihr Publikum mit Bussen herankarre, dass das Land sowieso am Ende sei, dass Migranten amerikanische Hauskatzen essen würden, und beendet den Ausbruch mit der Feststellung, Kamala Harris sei wie der kommunistische Maduro auf Steroiden. Später spricht er von Wahlbetrug und verharmlost den Sturm auf das Capitol vom 6. Januar 2021. Hat Trump den richtigen Charakter, um zu regieren? Quod erat demonstrandum.
Harris schlägt Trump mit seinen Waffen
Harris lehnt sich zurück und lächelt. Nicht nur hat sie von einer ihrer grössten politischen Schwächen abgelenkt, sie hat Trump dazu gebracht, sich von der schlimmsten Seite zu zeigen, seinen Narzissmus und seinen Hang zu fremdenfeindlichen Verschwörungstheorien. Genau davor haben ihn seine Berater gewarnt: Bleib bei der Politik, bei der Migration, der Inflation, all den Schwächen der Biden-Regierung, hämmerten sie ihm ein. Doch Trumps Reflexe sind stärker als taktische Vernunft. Kamala Harris hingegen setzte die gut studierten Angriffe präzis um. Teilweise klang sie wie Trump, wenn sie ihn als schwach oder als Blamage bezeichnete oder sagte: «Putin würde dich zum Mittagessen verspeisen.»
Dabei gab es durchaus Momente, in welchen Trump argumentativ punkten konnte. Etwa, als er sagte, die Biden-Regierung habe keine Ahnung von Wirtschaftspolitik. Tatsächlich wirken die Ideen von Kamala Harris, eine «Chancenwirtschaft» zu bauen, kaum überzeugend. Mit Steueranreizen für Startups, Subventionen für die grüne Energie, Kindergeld und Wohnbauförderung lässt sich eine Volkswirtschaft nicht ankurbeln und die Inflation nicht bekämpfen – und auch nicht, indem man den Plan ohne die grossen wirtschaftlichen Akteure macht. «Sie hat keinen Plan, es ist Bidens Plan», sagte Trump und konnte damit in den ersten Minuten der Debatte punkten. Aber das war, bevor er die Fassung verlor.
Trump verpasst seine Chancen
Kontrastreich war der aussenpolitische Teil der Debatte. Während Harris eine Kontinuität der Ukraine-Politik Bidens versprach und die Leistung herausstrich, eine breite Koalition gegen Russland gebaut zu haben, bekräftigte Trump, dass er den Krieg sofort mit einem Deal mit Putin beenden würde, ohne jedoch zu sagen, wie dieser genau aussehen würde. Joe Biden und Kamala Harris warf er vor, dass sie nicht die richtigen Worte gefunden hätten, um Putin im Vorfeld des Angriffs auf die Ukraine zu bremsen. Ebenso prangerte er die chaotischen Umstände des Rückzugs aus Afghanistan an. Es war einer seiner Höhepunkte in der Debatte. Doch dann nannte er Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban ein vorbildliches, starkes Staatsoberhaupt, was für den Ex-Präsidenten einer Weltmacht unangebracht wirkt.
Eine amerikanische Fernsehdebatte ist nicht ein politisches Seminar, sondern eine ruppige Kampfsportart. Es gewinnt, wer den Gegner in die Defensive drängt, ob mit Argumenten, physischen Machtdemonstrationen oder Schlagfertigkeit. In dieser Runde – das räumen sogar republikanische Kommentatoren ein – hat Kamala Harris klar nach Punkten gesiegt. Für die in weiten Bereichen des Landes unbekannte Politikerin war es ein wichtiger Moment. Sie konnte beweisen, dass sie fähig ist, einem gewieften Gegner wie Trump Paroli zu bieten. Nun steigt sie gestärkt in die heisse Phase des Wahlkampfs, der in allen Ecken des Landes ausgetragen wird. Bereits hat ihre Kampagnenleitung zu einem zweiten TV-Duell aufgefordert. Es wird interessant sein, ob Trump den Fehdehandschuh aufhebt.
«Jetzt rede ich», sagt Trump, als er sich in die Ecke gedrängt fühlte. «Vielleicht weisst du ja, was ich meine.» Tatsächlich musste sich Kamala Harris früher auch schon so das Wort erkämpfen. Die Dynamik hat sich geändert.