Auf der Halbinsel Reykjanes kam es erneut zu einem Vulkanausbruch. Mehrere Häuser im Fischerdorf Grindavik fingen Feuer – alle Bewohner wurden evakuiert.
Zum ersten Mal seit mehr als fünfzig Jahren wurde in Island eine Siedlung von einem Lavastrom erfasst und mehrere Häuser zerstört. Betroffen ist das Fischerdorf Grindavik auf der Halbinsel Reykjanes im Südwesten des Landes, das bereits vor knapp vier Wochen wegen eines Ausbruches geräumt werden musste.
Die Einwohner von Grindavik wurden noch in der Nacht von Samstag auf Sonntag evakuiert, als eine Serie von Erdbeben den Ausbruch im Vulkansystem von Svartsengi angekündigt hatte. Kurz vor 8 Uhr morgens begann die erste Eruption, nur wenige hundert Meter vom Dorf entfernt. Es bildete sich ein Lavameer, das glutrot in der Morgendämmerung leuchtete. Laut der isländischen Wetterbehörde Vedurstofa ist der Erdriss 900 Meter lang.
Der Lavastrom bewegte sich in Richtung des bewohnten Gebiets, konnte jedoch dank den Schutzwällen zunächst abgeleitet werden. Diese wurden in den Wochen nach dem Vulkanausbruch am 18. Dezember errichtet. Damals fand die Eruption mehrere Kilometer entfernt statt, und die Lava floss in die entgegengesetzte Richtung, vom Dorf weg, ab.
Lavastrom umgeht Schutzwall
Am Mittag bildete sich jedoch ein weiterer Riss. Dieser ist gut hundert Meter lang und befindet sich unmittelbar am nördlichen Rand von Grindavik, innerhalb des Schutzwalls. Von dort bahnte sich die Lava langsam und unaufhaltsam ihren Weg in Richtung des bebauten Gebiets. Die orange Masse erreichte dann kurz vor 14 Uhr das erste Haus. Es fing an zu brennen. Kurz darauf standen mindestens zwei weitere Häuser in Flammen.
Es ist das erste Mal seit einem Ausbruch im Jahr 1973, dass ein Lavastrom eine Siedlung erreicht. Damals wurden Teile einer Stadt mit etwa 5000 Einwohnern auf den Westmännerinseln vor der Südküste des Landes unter Lava begraben.
«Heute ist ein schwarzer Tag für Grindavik, und heute ist ein schwarzer Tag für ganz Island. Aber die Sonne wird wieder aufgehen», sagte Ministerpräsidentin Katrin Jakobsdottir am Sonntagabend an einer Medienkonferenz des Zivilschutzes. «Zusammen werden wir diesen Schock und alles, was kommen mag, bewältigen.» Der Zivilschutzchef Vidir Reynisson sprach davon, dass die Ereignisse vom Sonntag noch lange in Erinnerung bleiben würden und man vermutlich erst den Beginn einer Kette solcher Ereignisse sehe.
Da die Bewohner zuvor evakuiert worden waren, bestand für Menschenleben keine Gefahr. An der Infrastruktur entstand jedoch laut der Zivilschutzbehörde erheblicher Schaden. Das Dorf ist ohne heisses Wasser und Strom, die Hauptverkehrsverbindung nach Grindavik wurde durch den Lavastrom unterbrochen.
Für die rund 4000 Bewohner von Grindavik ist die Situation ein Albtraum. Viele von ihnen sind über die Feiertage in ihre Häuser zurückgekehrt, da sich die Situation nach dem Ausbruch im Dezember scheinbar beruhigt hatte. Die erneute Evakuierung in der Nacht auf Sonntag musste rasch ablaufen, viele von ihnen konnten nur die Kleider mitnehmen, die sie anhatten. Derzeit ist unklar, ob die Bewohner jemals zurück in ihre Häuser können.
Die Nacht auf Montag sei ruhig verlaufen, teilte die isländische Zivilschutzbehörde mit. Laut dem Geophysiker Benedikt Ofeigsson vom isländischen Amt für Meteorologie ist es jedoch schwierig abzuschätzen, wie viel Zerstörung Grindavik droht. «Das hängt von der Dauer des Ausbruchs ab», sagte er der Nachrichtenagentur Bloomberg. Messungen deuteten zwar auf eine nachlassende Aktivität hin, der Grad der Unsicherheit bliebe aber hoch.
Tiefe Risse in den Strassen
Schon bei der letzten Eruption wurde das Dorf stark in Mitleidenschaft gezogen. Damals jedoch nicht durch Lava, sondern durch die zahlreichen Erdbeben, die den Ausbruch begleitet hatten. Diese hinterliessen Schäden an der Infrastruktur und sorgten für tiefe Risse in den Strassen. Vor wenigen Tagen fiel laut isländischen Medienberichten ein Arbeiter in eine dieser Spalten und wird seither vermisst. Die Suche nach ihm wurde eingestellt. Das nahe gelegene und bei Touristen beliebte Geothermalbad Blaue Lagune ist seit Sonntag geschlossen, wie es auf der Website heisst.
Islands Präsident Gudni Johannesson rief seine Landsleute in einer abendlichen Rede an die Nation auf, den Bewohnern von Grindavik beizustehen und sie zu unterstützen. «Wir Isländer tun das gemeinsam. Wir werden nicht aufgeben», sagte er.
Grindavik liegt rund vierzig Kilometer südwestlich der Hauptstadt Reykjavik. Island selbst liegt auf dem Mittelatlantischen Rücken, der die Grenze zwischen der eurasischen und der nordamerikanischen tektonischen Platte markiert. Diese driften auseinander, wobei sich die Erdkruste jährlich um etwa zwei bis drei Zentimeter öffnet. Island zählt 33 aktive Vulkansysteme.
Die Halbinsel Reykjanes, auf der das Dorf Grindavik liegt, befindet sich direkt über einer solchen Zone. Die Eruption vom Sonntag war die fünfte, die sich in der Region seit dem Jahr 2021 ereignete. Davor war es in der Gegend für rund 800 Jahre ruhig geblieben.
Mit Agenturmaterial.