Die Grönländerinnen und Grönländer haben ein neues Parlament gewählt. Dabei spielte noch ein anderes Thema eine Rolle als die Unabhängigkeit.
Es war ein Erdrutschsieg. Die wirtschaftsliberale Partei Demokraatit holt bei den Wahlen in Grönland 29,9 Prozent der Stimmen und überholt damit die traditionell grössten Parteien Inuit Ataqatigiit und Siumut, die Grönland bisher regierten.
Das wichtigste Thema im Wahlkampf war wie in den Jahren zuvor die Unabhängigkeit Grönlands von Dänemark. Die Demokraten sprechen sich für einen langsamen Prozess aus. An zweiter Stelle kommt die populistische Partei Naleraq. Sie möchte so schnell wie möglich mit den Verhandlungen mit Dänemark beginnen. Damit stehen die grössten politischen Kräfte an beiden Enden des Spektrums, wenn es darum geht, in welchem Tempo Grönland die Unabhängigkeit anstreben soll.
Ausgeschlossen ist es dennoch nicht, dass Demokraatit und Naleraq gemeinsam in die Regierung ziehen. Der Parteivorsitzende der Demokraten, Jens-Frederik Nielsen, sagte gegenüber dem grönländischen Sender KNR, dass er mit allen Parteien Verhandlungen führen wolle. Die politischen Kräfte in Grönland sind es gewohnt, in unterschiedlichen Konstellationen zusammenzuarbeiten.
Von ausländischen Medien aufgeblasen
Der Besuch von Donald Trump junior und die Aussagen des US-Präsidenten haben Hunderte Journalisten aus aller Welt in die grönländische Hauptstadt gelockt. Das gesteigerte Interesse aus dem Ausland führte dazu, dass Grönlands Regierung die Wahlen sogar um einen Monat vorverlegen liess. Fast zeitgleich mit der Verschiebung des Wahltermins hat das grönländische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das es den Parteien verbietet, finanzielle Zuwendungen von ausländischen oder anonymen Geldgebern anzunehmen.
Durch die internationale Berichterstattung wurde teilweise der Eindruck erweckt, dass die Grönländerinnen und Grönländer über die Unabhängigkeit von Dänemark oder die Angliederung an die USA abstimmten. Zugleich wurde das Bild einer polarisierten Gesellschaft gezeichnet. Beides ist falsch.
In Grönland sind sich alle Parteien einig darüber, dass die Insel ein souveräner Staat werden soll. Ebenso klar ist für die Grönländerinnen und Grönländer, dass sie keine Amerikaner sein wollen. Das Wahlergebnis bedeutet für Grönlands Status jedoch zunächst nichts.
Die Insel diskutiert bereits seit den siebziger Jahren über die Unabhängigkeit. Der Prozess ist lang und kompliziert. Es geht nicht nur um die Staatsgründung. Entscheidend ist auch die Frage, ob Grönland, dessen Wirtschaft sich heute einseitig auf die Fischerei abstützt, finanziell eigenständig bestehen kann.
Haben die Fischer die Wahl entschieden?
Tatsächlich war es am Ende vielleicht die wichtigste Branche der Insel, die die Wahlen entschieden hat. Ein neues Fischereigesetz, das Inuit Ataqatigiit und Siumut während ihrer Regierungszeit durchgesetzt hatten, sorgt auf der Insel für Unmut. Es umfasst individuell handelbare Quoten für Heilbutt und Krabben. Die Fischerei soll damit nachhaltiger werden. Demokraatit hat das Gesetz jedoch von Anfang an kritisiert. Es mache die Fischerei ineffizient und koste Arbeitsplätze. Die Partei strebt eine progressivere Wirtschaftspolitik an als die bisherige Regierung.
Vor den Wahlen traf die NZZ einige Fischer am Hafen von Nuuk. Stärker als Trump oder Dänemark beschäftigt sie die Zukunft ihres Wirtschaftszweiges. «Es wäre gut, wenn wir nicht nur mit Dänemark handeln würden», sagt etwa der Fischer Nukaaraq Lund Serritzlev. Über 80 Prozent der grönländischen Fischexporte gehen noch heute nach Dänemark. Dort werden die Fische und Krustentiere verarbeitet und mit Gewinn in die ganze Welt weiterverkauft.
Die Regierungsverhandlungen stellen die Parteien vor die Huhn-Ei-Frage: Während Demokraatit, Inuit Ataqatigiit und Siumut der Ansicht sind, dass die Wirtschaft gesichert werden müsse, bevor Grönland unabhängig werden könne, argumentiert Naleraq, dass die Wirtschaft gestärkt würde, wenn Grönland unabhängig wäre.