Der Kapitän Silvan Paganini und sein Verein kommen bei der Bergung des Wracks der Säntis aus dem Bodensee kaum voran. Sie suchen ein leichtes Projekt, um zu überbrücken. Und finden eines, das menschlich so viel schwerer wiegt als jenes der Säntis.
Der Schweizer Schiffsbergeverein hat sich, wie der Name schon vermuten lässt, eigentlich ganz der Bergung eines Schiffes verschrieben. Seit fast zwei Jahren versucht eine Gruppe Freiwilliger, das 133 Jahre alte Dampfschiff Säntis aus dem Bodensee zu bergen. Zweimal hat der Verein im vergangenen Sommer eine Bergung versucht, zweimal ist er gescheitert. Ein dritter Versuch soll folgen. Möglichst bald.
Das Problem: Das gesammelte Geld wird knapp, Bewilligungen laufen aus. Und der Schlauch- und Leinensalat, den der zweite Bergungsversuch hinterlassen hat, ist noch nicht ganz entwirrt. Solange die Finanzierung unklar ist, gilt es, mit einem neuen Versuch abzuwarten. In der Zwischenzeit kümmert sich der Verein um «Nebenprojekte», wie es Vereinspräsident Silvan Paganini nennt.
Paganini, der als technischer Betriebsleiter bei der Schweizerischen Bodensee-Schifffahrt AG tätig ist, beschäftigt sich beruflich ausschliesslich mit Schiffen auf dem Wasser und hobbymässig mit Schiffen am Seegrund. Solange das Wrack der Säntis ungeborgen bleibt, prüfen Paganini und seine Kollegen ihre Fähigkeiten und ihr Material auch an anderen gesunkenen Gefährten.
Kürzlich halfen sie den Behörden im Tessin, einen Jetski aus dem Comersee zu bergen. Und als nächstes steht die Bergung eines Flugzeug-Motors an, der seit Jahrzehnten auf dem Grund des Bodensees und nur wenige Kilometer von der Säntis entfernt liegt.
Die Bergung der Flugzeugtrümmer sei technisch leicht, sagt Paganini. Zum Vergleich: Die Säntis wiegt 200 Tonnen, die Trümmer des Flugzeugs mehrere hundert Kilogramm. Unterschätzt hat Paganini zunächst jedoch die menschliche Komponente. Anders als beim Untergang der Säntis, die bewusst versenkt worden war, kamen beim Absturz des Swissair-Flugzeugs alle neun Insassen ums Leben.
Ein Testflug endete im Absturz
Die Swissair-Maschine des Typs Douglas DC-3 war 1957 über dem Bodensee verunfallt. An Bord waren mehrere angehende Piloten und Ingenieure. Es wird vermutet, dass die Pilotenanwärter trainieren sollten, wie bei einem Ausfall einer der Motoren zu reagieren sei. Die Ingenieure waren für Messungen der Flugleistung aufgeboten worden. Doch das Training ging schief.
Um 10 Uhr 20 geriet das Flugzeug über dem Bodensee zwischen Romanshorn und Arbon ins Schlingern. Es begann zu sinken, und sich um die eigene Achse zu drehen. Und stürzte ab. Seither liegt es auf dem Grund des Sees. Grosse Teile des Wracks wurden geborgen. Sie sind nun im Verkehrshaus Luzern ausgestellt. Doch vier der neun Opfer bleiben bis heute verschollen. Und auch die Unfallursache ist nicht abschliessend geklärt.
Verein entdeckt menschliche Überreste
Der Verein wollte den Motor des Swissair-Flugzeugs bergen. Unter anderem, um diesen vor den invasiven Quagga-Muscheln zu retten und damit den Opfern ein Denkmal zu schaffen. Aber auch, um Zögerern und Kritikern mit Blick auf die anstehende Schiffbergung ihr Können zu demonstrieren. Denn Ende Monat läuft das Crowdfunding für den dritten Bergungsversuch der Säntis aus – und noch fehlt ein Grossteil des Betrags.
Als der Verein Mitte Januar seinen Tauchroboter Richtung Wrack steuerte, stiess er dort allerdings neben den Trümmerteilen des Flugzeugs auf Überreste, die er nicht dem Flieger zuordnen konnte. «Als Laien mussten wir davon ausgehen, dass es sich um menschliche Überreste handelt», sagt Paganini. Die Bundesanwaltschaft hat eine Probe untersucht. Am Montag wurden die Ergebnisse der Untersuchung bekannt.
Es handle sich um einen Teil eines menschlichen Knochen, schreibt die Bundesanwaltschaft auf Anfrage. Aufgrund des Fundorts werde vermutet, dass es sich um die Überreste einer der vier vermissten Personen handele. Nun werde abgeklärt, ob eine Identifizierung der Person anhand des Knochens möglich sei. Ermittlungen würden hingegen keine aufgenommen. Alle infrage kommenden Straftatbestände seien bereits verjährt.
Für den Schiffsbergeverein bedeutet das: Er darf den Motor heben. «Wir wollen beim weiteren Vorgehen die Wünsche der Angehörigen der Opfer respektieren», betont Paganini. Der Verein hoffe, mit der Bergung des Motors auch etwas zur Klärung der Unfallursache beitragen zu können.
Die Zeit läuft dem Verein davon
Auch wenn die Bergung des Flugzeugmotors gelingt – der gewünschte Effekt auf die Finanzierung des Säntis-Projekts bleibt aus. Die Zeit läuft dem Verein davon, in wenigen Tagen läuft die Frist ab. Und noch fehlen mehr als 800 000 Franken, um die Säntis bergen und konservieren zu können. «Wenn das Geld bis Ende Monat nicht zusammenkommt, dann ist es das gewesen», sagt Paganini.
Für den ersten Versuch wurde eine Viertelmillion gesammelt, im Nachhinein laut Paganini viel zu wenig. Und in einem Jahr sei die Bergung, wie der Verein sie jetzt aufzugleisen versucht, bereits nicht mehr umsetzbar. Die Fähren, die es zur Bergung braucht, das Personal, der Platz in der Werft für die Sanierung des Schiffs, alles müsste neu organisiert werden. Paganini sagt: «Wenn das Crowdfunding scheitert, dann fangen wir wieder fast bei null an.»
Dass Paganini das Projekt endgültig begraben kann, mag man ihm kaum glauben. Zu oft hat er das Projekt für beendet erklärt, um sich dann doch wieder von seinen Mitstreitern umstimmen zu lassen. Vermutlich wagt der Verein einen weiteren Versuch an der Säntis, vielleicht entdeckt er weitere mutmassliche Artefakte am Grund, die es unbedingt zu bergen gilt. Paganini sagt nur: «Die Arbeit wird unserem Verein nicht ausgehen.»
Es scheint, als könnte Silvan Paganini erst ruhen, wenn der Grund des Bodensees von allem womöglich Historischen leer geräumt ist.