Ein Schweizer hat mit einer Waffe auf Inlineskater und Polizisten gezielt. Zwei Frauen griff er aus dem Nichts an. Darüber hinaus verletzte er ein 21 Monate altes Kind. Nun steht er vor Gericht.
Am 25. Juni 2024, um die Mittagszeit, spaziert eine Grossmutter in Winterthur auf einem Fussweg der Eulach entlang. Sie schiebt einen Kinderwagen mit ihrem 21 Monate alten Enkel vor sich her. Unvermittelt wird sie von einem Fremden von hinten angegriffen. Er verpasst ihr einen heftigen Schlag gegen den Rücken. Sie stolpert in ein Gebüsch.
Der Fremde packt den Kinderwagen und stösst ihn zwei- bis dreimal in Richtung des Bachs. Die Frau rappelt sich wieder auf und versucht den Kinderwagen mit aller Kraft festzuhalten, um zu verhindern, dass er in die Eulach rollt.
Es kommt zu einem Gerangel, in dessen Verlauf die Frau am Kragen gepackt wird und der Kinderwagen kippt. Das Kleinkind, das angeschnallt ist, schlägt den Kopf an, es erleidet eine Beule und eine Schürfwunde.
Der Täter ist ein bärtiger Mann mit langen Haaren, der spezielle Kleidung trägt und im Quartier schon früher aufgefallen ist.
Laut ihrem Anwalt machte der Vorfall auf die Frau einen derart negativen Eindruck, dass sie sich seither nicht mehr getraut, ihr Enkelkind zu hüten, und Angst hat, allein aus dem Haus zu gehen.
Mit Revolver auf Polizisten gezielt
Ein Jahr zuvor war derselbe Mann negativ aufgefallen, weil er am Strassenrand mit einem Revolver herumfuchtelte, als am 26. Juni 2023 rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des City-Skate Winterthur mit ihren Inlineskates an ihm vorbeifuhren. Er zielte im Dunkeln mit der Waffe auf die Inlineskater. Der Notruf wurde alarmiert, und eine Streife der Stadtpolizei Winterthur begab sich zum Rychenbergpark, wohin der Mann mit der Waffe gegangen war.
Schon beim Aussteigen nahmen die Polizisten Klickgeräusche wahr, die wie das Betätigen des Abzugs einer Waffe klangen. Sie leuchteten mit einer Taschenlampe den Bereich aus und blickten in den Lauf einer Waffe, mit welcher der Mann auf sie zielte. Laut einer Anklageschrift wurden die beiden Polizisten dadurch massiv in Schrecken versetzt. Der Revolver entpuppte sich allerdings als Chäpsli-Spielzeugpistole, die der Mann im Franz Carl Weber gekauft hatte. Sie sah jedoch wie ein echter Revolver aus, wovon sich die Anwesenden im Gerichtssaal überzeugen können.
Der 32-jährige Schweizer Sozialhilfebezüger sitzt nun als Beschuldigter vor dem Bezirksgericht Winterthur. Es ist auch noch ein dritter Vorfall angeklagt: Am 19. Juni 2014 verpasste er einer ihn kreuzenden Fussgängerin auf einem Trottoir unvermittelt einen Schlag gegen den Hals. Der Mann war barfuss in einer braunen Kutte unterwegs, die mit einem Seil an der Hüfte zusammengebunden war. Die Frau gab später zu Protokoll, sie habe zuerst geglaubt, er sei von einem Theater. Er habe wie «ein Höhlenmensch» ausgesehen.
Vor Gericht gibt der Beschuldigte an, sich an die beiden Angriffe gegen die Frauen nicht erinnern zu können. Beim Vorfall am City-Skate habe er nur «Wilder Westen» spielen wollen. Es stimme nicht, dass er in Kauf genommen habe, dass die Waffe täuschend echt aussehe, sagt er und beteuert mehrfach: «Ich habe keine böse Absicht gehabt.»
Seit dem 15. Oktober 2024 sitzt er im Gefängnis. Der psychiatrische Gutachter hat eine Schizophrenie «schweren Ausmasses» diagnostiziert. Der Mann sei aber trotzdem immer noch schuldfähig. Die Schuldfähigkeit sei allerdings in schwerem Mass eingeschränkt gewesen.
Der Mann war vor seiner Verhaftung arbeitslos, er lebte in einem vom Sozialamt zur Verfügung gestellten Zimmer und bekam vom Sozialamt 180 Franken Sackgeld pro Woche. Er hat keine Bezugspersonen, keine Partnerin, keine Kinder, keine Freunde und keinen Kontakt zu seiner Herkunftsfamilie. Im Gefängnis erhielt er nie Besuch. Als Hobbys gibt er an: «Migros, Spielen und Fernseh schauen».
Er war polizeilich auch schon aufgefallen, weil er in Winterthur mit einem Pfeilbogen unterwegs war. Bei der Hausdurchsuchung wurden mehrere «umgebaute» Messer beschlagnahmt.
Grossmutter erhält 5000 Franken Genugtuung
Die Staatsanwältin beantragt eine vollziehbare Freiheitsstrafe von 9 Monaten und eine Busse von 800 Franken wegen versuchter schwerer Körperverletzung (des Kleinkinds), mehrfacher einfacher Körperverletzung (der beiden Frauen), Schreckung der Bevölkerung und Gewalt und Drohung gegen Beamte. Die Freiheitsstrafe sei zugunsten einer stationären Massnahme zur Behandlung psychischer Störungen (Art. 59 Abs, 1 StGB) aufzuschieben.
Der Verteidiger plädiert auf eine Freiheitsstrafe von 7 Monaten. Von einer stationären Massnahme sei abzusehen, da der Mann nicht therapiewillig sei.
Das Bezirksgericht Winterthur spricht den Beschuldigten vom Vorwurf der versuchten schweren Körperverletzung frei und bezüglicher aller anderen Straftatbestände schuldig. Er erhält eine unbedingte Freiheitsstrafe von 7 Monaten. Die stationäre Massnahme wird angeordnet. Ohne die schwer verminderte Schuldfähigkeit wäre die Freiheitsstrafe viermal so hoch ausgefallen, erklärt der Vorsitzende Richter. Der angegriffenen Grossmutter wird eine Genugtuung von 5000 Franken zugesprochen.
Der Richter betont unter anderem, dass die Situation mit den Polizisten auch für den Beschuldigten selbst sehr gefährlich gewesen sei. Er habe ja damit rechnen müssen, dass die Polizisten zurückschössen. Die stationäre Massnahme sei verhältnismässig und könne auch Erfolg haben, obwohl der Beschuldigte wegen fehlender Krankheitseinsicht ihre Notwendigkeit nicht einsehe.
Urteil DG240045 vom 16. 4. 2025, noch nicht rechtskräftig.