Die Schweiz und ihre Grenzen: Der Euro-Airport ist der einzige Flughafen, der zwei Staaten gehört. Beim Fluglärm denkt jeder nur an sich. Ein Spaziergang durch das geplagte Allschwil.
In Allschwil reihen sich schmucke Fachwerkhäuser aneinander. Die Käserei heisst hier noch «Milchhüsli», die Restaurants tragen Namen wie «Jägerstübli» oder «Landhus». Doch ein dröhnendes Geräusch stört die Idylle. Ein Flugzeug überfliegt das Dorf, von unten sieht es aus wie ein riesiger Kranich.
Allschwil liegt an der französischen Grenze zwischen Basel-Stadt und dem Euro-Airport Basel-Mülhausen. Es ist eines der Baselbieter Dörfer, die besonders stark unter Fluglärm leiden.
Am Strassenrand steht Katrin Joos Reimer, 65 Jahre alt, Fluglärmaktivistin. Sie blickt in den wolkenverhangenen Himmel, kneift die Augen zusammen, schaut dem Flugzeug nach.
Sie sagt: «Ein Airbus A320. Das sind die angenehmsten. Die B378 sind lauter, die A306 noch schlimmer.»
Wenn Katrin Joos Reimer spricht, klingt sie wie eine Aviatikerin. Sie kennt Flugzeugtypen, Flugrouten, Landeverfahren. Als Lokalpolitikerin der Grünen und Präsidentin des Baselbieter Schutzverbandes kämpft sie gegen den Fluglärm des Euro-Airports.
Frankreich schiebe den Fluglärm auf die Schweiz ab, sagt sie. Und die Schweiz höre nur zu.
Ein Streit darum, wer den Lärm erhält
Der Euro-Airport liegt in der französischen Gemeinde Saint-Louis, vier Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt. Er ist einer der drei Landesflughäfen der Schweiz und einer der wichtigsten Regionalflughäfen in Frankreich. Die Schweiz und Frankreich haben den Flughafen im Jahr 1946 erbaut, 1949 besiegelte ein Staatsvertrag die Zusammenarbeit. Die damalige Vereinbarung: Frankreich stellt das Gelände zur Verfügung, die Schweiz bezahlt den Ausbau des Flughafens.
Dass zwei Staaten zusammen einen Flughafen führen, ist weltweit einzigartig. Aber auch: kompliziert und intransparent.
Der Flughafen ist in einen Schweizer und einen französischen Sektor geteilt. Im Schweizer Bereich bezahlt man in Franken, im französischen in Euro. Im Verwaltungsrat des Euro-Airports sitzen Mitglieder aus beiden Ländern. Der Flughafendirektor ist normalerweise ein Schweizer, der Verwaltungsratspräsident ein Franzose. Die Hälfte der Passagiere reist aus der Schweiz an, für Frankreich ist der Euro-Airport ein wichtiger regionaler Arbeitgeber.
Für Fluglärmgegner ist es noch schwieriger als sonst, ihre Forderungen durchzusetzen. Die Zuständigkeiten sind häufig unklar – ist nun Frankreich, die Schweiz oder der Verwaltungsrat des Euro-Airports verantwortlich?
Es gibt einen Schweizer Lärmschutzverein und einen französischen. Gemeinsam versucht man, Forderungen wie das Einhalten der Nachtsperre durchzusetzen. Gleichzeitig ist es für die Vereine ein Kampf darum, wer mehr Lärm ertragen muss. Navigieren die Flugzeuge über die Schweiz, wird es in Frankreich ruhiger – und umgekehrt.
Franzosen wie Schweizer behaupten, dass es bei ihnen lauter sei. Und dass die anderen wirtschaftlich stärker vom Flughafen profitieren würden.
Das Problem: Südstarts, Südlandungen, Nachtstarts
In Allschwil ist es kurz nach 11 Uhr. Schon wieder dröhnt und brummt es über dem Dorf. Joos Reimer sagt: «Ein Südstart. Wieder ein A320.» Das Flugzeug überfliegt Allschwil und wendet dann nach Westen, Richtung Frankreich.
Die Messstation auf dem Schulhausdach wird später 78 Dezibel anzeigen. Joos Reimer sagt: «Ab 70 Dezibel nervt es, ab 80 wird es richtig schlimm.»
Das Problem von Allschwil ist: Wenn die Flugzeuge in Frankreich starten und in Richtung Schweiz fliegen, wenden sie über Allschwil. Man spricht hier von den sogenannten Südstarts.
In den siebziger Jahren hat Basel-Stadt den Ausbau der Piste des Euro-Airports finanziert. Man hoffte, dass die Flugzeuge am Ende der Piste starten würden, also möglichst weit weg von der Schweiz. So würden sie früher abheben und vor der Schweizer Grenze wenden.
Heute ist es aber so, dass noch immer viele Flugzeuge in der Mitte der Piste starten, nur fünf Kilometer von der Schweiz entfernt. Der Euro-Airport schreibt, der Startpunkt des Flugzeugs sei für die Flughöhe unwichtig.
Die Gemeinden Allschwil, Binningen, Bottmingen, Dornach, Duggingen, Metzerlen-Mariastein und Reinach haben sich dem Baselbieter Schutzverband angeschlossen. Sie beschweren sich über die Südstarts – und ebenso die Südlandungen. Auch bei diesen wird Schweizer Territorium in geringer Distanz überflogen.
Ein Abkommen zwischen Frankreich und der Schweiz hält fest, dass maximal 8 Prozent der Landungen Südlandungen sein dürfen, ab 10 Prozent müssten Massnahmen geprüft werden. Doch häufig liegt der Anteil deutlich höher. Im Mai 2023 waren gar ein Drittel der Landungen Südlandungen. Der Flughafen rechtfertigt die Überschreitung mit der «überdurchschnittlich häufigen Bisenlage».
So weit, so kompliziert.
Ein weiterer Streitpunkt sind die Nachtstarts. Gesellschaften, deren Flugzeuge nach 23 Uhr gestartet sind, müssen eine Busse bezahlen. 2023 waren es 1,5 Millionen Euro. Die Bussgelder flossen in die französische Staatskasse.
«Die Franzosen machen, was sie wollen»
Katrin Joos Reimer wohnt seit 1998 in Reinach, wenige Kilometer von Allschwil entfernt. Früher sei es noch leiser gewesen, sagt sie. Heute sitzt sie nur noch selten im Garten, morgens wacht sie um 5 Uhr auf. Sie erzählt von Freunden und Bekannten, die wegen des Lärms weggezogen sind.
Das Gehirn nimmt andauernde Geräusche als Gefahrenquelle wahr und schüttet Stresshormone aus. Studien deuten darauf hin, dass Fluglärm Schlafstörungen verursacht, die schulische Leistung von Kindern beeinträchtigt, das Risiko von Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Krankheiten und Diabetes erhöht.
Joos Reimer sagt: «Fluglärm ist bedrohlicher als Strassenlärm, er kommt von oben, man kann ihm nicht entfliehen.»
Von der Schweiz ist Joos Reimer enttäuscht. Dem Bund fehle der politische Wille, etwas für die Bevölkerung rund um den Euro-Airport zu machen. Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) müsste bei den französischen Behörden Druck machen. Doch das geschehe nicht.
Das Bazl teilt mit, man pflege mit den französischen Zivilluftfahrtbehörden eine gute Zusammenarbeit. Ein Sprecher bestätigt, dass in den vergangenen Jahren der Schwellenwert der Südlandungen überschritten wurde. Man sei deshalb in Kontakt mit den französischen Behörden, suche nach Lösungen. Doch weder die französischen noch die Schweizer Behörden könnten die Windrichtung ändern.
Joos Reimer sagt, die Franzosen machten, was sie wollten. Und die Schweiz lasse das geschehen. 2016 mussten Swisscom und Sunrise ihre Mobilfunkversorgung im Flughafen abstellen, heute gibt es nur noch französisches Netz. Und im Jahr 2020 entschied ein Gericht in Paris, dass in beiden Sektoren des Euro-Airports französisches Arbeitsrecht anwendbar ist.
Auf die Frage, ob der Euro-Airport immer französischer werde, antwortet Joos Reimer: «Die Schweizer sind die Einzigen, die noch an den binationalen Charakter des Flughafens glauben. Frankreich hat ein anderes Selbstverständnis: ‹Es ist französischer Boden, also bestimmen wir.›»
Sie kämpft weiter
Joos Reimer könnte zynisch werden, stattdessen sammelt sie Daten, wertet Flugrouten und Lärmwerte aus. Sie ist Biologin, geht wissenschaftlich vor, für jede Behauptung will sie einen Beweis, manchmal recherchiert sie stundenlang.
Sie findet eine mögliche Erklärung für die Tatenlosigkeit der Schweizer Behörden in den Akten des Bundesrates. In einem Bericht aus dem Jahr 2004 steht, die Zusammenarbeit mit den Franzosen beim Euro-Airport sei «anspruchsvoll». Die Schweiz sei beim Betrieb des Flughafens Genf «auf die uneingeschränkte Kooperationsbereitschaft Frankreichs angewiesen».
Anders formuliert: Weil Frankreich beim Flughafen Genf Kompromisse eingeht, tut dies die Schweiz beim Euro-Airport.
In Allschwil macht sich Resignation breit. In der Bäckerei verkauft eine Frau Gipfeli, Erdbeertörtchen, Sandwiches. Sie sagt mit krächzender Stimme: «Der Lärm ist furchtbar. Allschwil, Neuwiller, Hagenau, Blotzheim, es ist überall das Gleiche. Es ist nicht zu stoppen.»
Vor der Bäckerei steht ein Bauer mit Einkaufstrolley. Der Fluglärm? Eine Katastrophe sei das, aber gegen das Fliegen sei man chancenlos, sagt er. «Die Leute, die heute fluchen, fliegen morgen mit dem Flugzeug über uns», sagt er. Er sei in Allschwil aufgewachsen, habe mitten im Dorf seinen Bauernhof, könne nicht von hier weg. Die Pferde würden wegen des Lärms zusammenzucken. «Der Mensch gewöhnt sich an alles», sagt der Bauer, «ist es aber einmal ruhig, erschrecke ich beinahe.»
Katrin Joos Reimer kämpft weiter. Sie hat 2023 beim Kanton Basel-Landschaft eine Petition eingereicht, die verlangt, dass sich die Baselbieter Regierung beim Euro-Airport und beim Bundesamt für Zivilluftfahrt für eine Reduktion des Fluglärms einsetzt. Der Baselbieter Landrat hat die Petition an den Regierungsrat überwiesen.
Joos Reimer freut sich über den kleinen Erfolg. Aber Ruhe wird sie erst geben, wenn es still ist.