Mit angeblichen Flüchen und teuren Ritualen soll eine selbsternannte Schamanin ihre Opfer eingeschüchtert und betrogen haben. Ermittler durchsuchten ihre Wohnung in Österreich – neben Tarotkarten fanden sie Schmuck, Luxusuhren und grosse Geldbeträge.
Die Fahndungsseite der Landespolizeidirektion Niederösterreich wirkt wie das Inventar eines Verbrechersyndikats. 80 Fotografien zeigen die Beute: 4,1 Millionen Euro und 2,1 Millionen Franken in abgepackten Bündeln, diamantbesetzte Halsketten und Ringe, Goldbarren, 20 Luxusuhren – darunter Modelle von Rolex, Cartier, Patek Philippe.
Auch Münzsammlungen, eine über hundert Jahre alte Taschenuhr und zwei Verdienstorden der Republik Österreich gehören zu den gestohlenen Gegenständen. Alles, was die Opfern schätzten, landete früher oder später in der Sammlung der Diebin.
Bei der Verdächtigen handelt es sich laut der Landespolizeidirektion Niederösterreich um eine 44-jährige Frau, die sich als selbsternannte Schamanin ausgibt. Sie behauptete, sie besitze übernatürliche Kräfte und könne Flüche brechen. Die Ermittler vermuten, dass die Frau nicht nur in Österreich aktiv war. Unter dem Namen «Amela» soll sie auch Menschen in Deutschland und in der Schweiz betrogen haben.
Monatelange Ermittlungen führten das Landeskriminalamt (LKA) zur Wohnung der mutmasslichen Betrügerin. Die Beamten durchsuchten die Räume. Der 29-jährige Sohn der Verdächtigen, der als Eigentümer der Wohnung galt, wurde wegen Mittäterschaft festgenommen. Die Hauptverdächtige ist auf der Flucht, nach ihr wird mit einem europäischen Haftbefehl gefahndet.
Mehr als 2 Millionen Franken und 4 Millionen Euro konnten die Behörden in der Wohnung der Verdächtigen sicherstellen.
Einzelnes Opfer verlor 730 000 Euro
Das österreichische Bundesministerium für Inneres schildert im Communiqué einen konkreten Fall: Die Beschuldigte soll einem ihrer Opfer glaubhaft gemacht haben, eine nahe Angehörige sei «verflucht» und sie könne deren Tod vorhersehen. Einzig teure «Reinigungsrituale» könnten dieses Schicksal abwenden.
Das Opfer glaubte ihr und zahlte in mehreren Raten über 730 000 Euro. Nachdem das Geld überwiesen worden war, brach die Beschuldigte den Kontakt ab. Eine andere Frau rief das Opfer an und behauptete, die Schamanin sei nach den Ritualen in ein Koma gefallen.
Ein Ermittler des Landeskriminalamts Niederösterreich erklärte der Deutschen Presse-Agentur, dass die 44-jährige Verdächtige bereits in Deutschland polizeilich bekannt sei. Es bestehe der Verdacht, dass sie auch in Süddeutschland und im Raum Köln Opfer betrogen habe.
Um weitere Geschädigte zu identifizieren, veröffentlichte die Polizei Fotos der sichergestellten Wertgegenstände. Die Bilder zeigen Schmuck, Uhren, Münzen, Goldbarren und Bargeld – sogar in Sparstrümpfen versteckt. Darunter auch Geldumschläge der Schweizer Post und der Zürcher Kantonalbank, prall gefüllt mit Tausendernoten.
Die sichergestellten Millionenbeträge in Franken deuten darauf hin, dass die mutmassliche Betrügerin auch in der Schweiz aktiv war. Bisher gingen jedoch keine Anzeigen von Opfern aus der Schweiz ein, wie die Landespolizeidirektion Niederösterreich auf Anfrage der NZZ mitteilt. Das LKA arbeite aber eng mit den Schweizer Behörden zusammen und gehe weiteren Hinweisen nach.
Der Fall sorgt in Österreich für grosses Aufsehen. Selbst Innenminister Gerhard Karner äusserte sich dazu. «Die Ermittlungen des Landeskriminalamts sind ein erster Schritt zur Aufklärung eines der grössten Betrugsfälle», sagte er Anfang Woche bei einer Pressekonferenz und richtete einen dringenden Appell an die Bevölkerung: «Bleiben Sie wachsam. Misstrauen schützt vor Betrug. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.»