Die Baloch Liberation Army ist zur ernsten Bedrohung für die pakistanische Regierung geworden. Mit einer Geiselnahme in einem Passagierzug sorgte die Separatistengruppe auch international für Schlagzeilen. Was sind die Gründe ihrer Stärke?
Einen solchen Terrorangriff hat auch Pakistan noch nicht erlebt: Mehr als 36 Stunden lieferte sich eine Gruppe Terroristen einen Nervenkrieg mit der Armee, nachdem sie in einer entlegenen Bergregion einen Passagierzug in ihre Gewalt gebracht hatte. Die Angreifer drohten, alle Geiseln umzubringen, wenn die Regierung nicht einwillige, sie gegen inhaftierte Gesinnungsgenossen auszutauschen. Als es der Armee schliesslich gelang, die Geiselnahme zu beenden, waren neben den Angreifern auch mehr als dreissig Passagiere tot.
Zu dem Angriff auf den Jaffar Express in Belutschistan bekannte sich die separatistische Rebellengruppe Baloch Liberation Army (BLA). Sie ist die grösste bewaffnete Gruppe in der Provinz an der Grenze zu Iran und Afghanistan. Im vergangenen Jahr hat sie die Zahl ihrer Angriffe mehr als verdoppelt. Neben der islamistischen Terrorgruppe Taliban-e-Tehreek Pakistan (TTP) ist sie heute die grösste Bedrohung für den pakistanischen Staat. Wie hat es so weit kommen können?
Seit der Geiselnahme am 11. und 12. März diskutiert Pakistan darüber, wie der Staat der Bedrohung Herr werden kann. Viele Medien fordern, dass die Regierung endlich die politischen und wirtschaftlichen Probleme angehe, die den Aufstand befeuern. Die Führung scheint aber entschlossen, an ihrer militärischen Strategie festzuhalten. So sagte Präsident Asif Ali Zardari am 20. März bei einem Besuch in der Region, die Terroristen würden besiegt, egal was es koste.
Die Angriffe der Aufständischen werden immer komplexer
Ob diese repressive Strategie zum Erfolg führt, ist allerdings zweifelhaft. Die BLA habe ihre Aktivitäten in den vergangenen vier Jahren ständig verstärkt, sagt der Experte Fahad Nabeel von der Beratungsfirma Geopolitical Insights in Islamabad. Die Gruppe verübe immer komplexere Angriffe, bei denen sie die Sicherheitskräfte in längere Gefechte verwickle. Sie suche gezielt nach symbolträchtigen Angriffszielen, die auch international Aufsehen erzeugten. Dies zeuge von mehr Ressourcen und einer besseren Planung.
Die Gruppe setze zudem verstärkt auf urbane Kriegsführung, ergänzt der Journalist und Forscher Imtiaz Baloch, der selbst aus Belutschistan stammt und die gesellschaftlichen Strukturen dort gut kennt. Die BLA habe ihre Propaganda in den sozialen Netzwerken deutlich ausgeweitet. Ihre Kämpfer rekrutiere sie nicht länger nur unter der traditionellen Stammesbevölkerung auf dem Land, sondern auch unter der jungen, gebildeten Mittelschicht an den Universitäten.
Beide Beobachter sind sich einig, dass der Staat den Aufstand durch sein repressives Vorgehen nur weiter angefacht habe. Insbesondere das Verschwindenlassen von Tausenden Aktivisten habe viele Studenten in Belutschistan dem Staat entfremdet. Viele Kämpfer der BLA seien zuvor in legalen politischen Gruppen aktiv gewesen, sagt Nabeel. Die gewaltsame Reaktion des Staates habe sie jedoch zum Schluss gebracht, dass politischer Aktivismus allein nicht zum Ziel führe.
Der Aufstand in Belutschistan schwelt schon seit 1947
Die Forderung nach mehr Autonomie in Belutschistan ist nicht neu. Die weitläufige, dünn besiedelte Wüstenregion an der Grenze zu Iran und Afghanistan ist die grösste Provinz Pakistans. Sie ist zwar reich an Öl, Gas und anderen Rohstoffen, jedoch nur schwach entwickelt. Schon seit 1948, als Belutschistan dem neugegründeten Staat Pakistan angeschlossen wurde, gärt es in der Bevölkerung. 1958, 1962 und 1973 gab es Aufstände unter Führung der lokalen Stammesgruppen, doch wurden sie von der Zentralregierung blutig niedergeschlagen.
Im Jahr 2000 formierte sich dann mit der BLA eine neue Gruppe, die sich die Unabhängigkeit der Provinz auf die Fahnen schrieb. Trotz mehreren Abspaltungen ist sie heute die grösste separatistische Rebellengruppe in Belutschistan. Nachdem mehrere ihrer Anführer ins Exil gezwungen oder getötet worden sind, ist die Struktur der BLA stark dezentralisiert. Nur ein Teil der Mitglieder der Führung sei heute öffentlich bekannt, sagt der Forscher Imtiaz Baloch. Viele Anführer blieben im Verborgenen.
Die Gruppe finanziert sich massgeblich durch illegale Aktivitäten wie Schmuggel, Entführung und Erpressung. So ist sie am Schmuggel von Drogen, Benzin und anderen Waren beteiligt, der in der Wüste in dem Dreiländereck zwischen Afghanistan, Iran und Pakistan floriert. Die BLA zwinge zudem Bergbaukonzerne zur Zahlung von Schutzgeld, sagt Nabeel. Ausserdem entführe sie Soldaten und Vertreter der Regierung, um sie gegen eigene inhaftierte Kämpfer auszutauschen.
Die Festnahme eines indischen Spions sorgte für Aufregung
Schon seit den siebziger Jahren wirft Pakistan den Nachbarn Indien, Iran und Afghanistan vor, die Separatisten in Belutschistan zu unterstützen, um das Land zu spalten. Die drei Nachbarländer bestreiten zwar, sich in Pakistans innere Konflikte einzumischen. Es gibt aber seit langem Hinweise, dass ihre Geheimdienste die Unruhen in Belutschistan und der nördlichen Grenzprovinz Khyber-Pakhtunkhwa schüren.
Die BLA soll heute mit Duldung des Taliban-Regimes Rückzugslager im Grenzgebiet in Afghanistan unterhalten. Auch ist bekannt, dass verletzte Separatisten wiederholt zur Behandlung nach Indien gereist sind. 2016 sorgte zudem die Festnahme des früheren indischen Marineoffiziers Kulbushan Jadhav in Belutschistan für einen diplomatischen Eklat. Pakistan warf ihm vor, im Auftrag des indischen Geheimdiensts RAW belutschische Separatisten unterstützt zu haben.
Auch nach dem Überfall auf den Jaffar Express behauptete die pakistanische Armee, der Erzfeind Indien stecke hinter dem Angriff. Zudem sollen die Angreifer während der Geiselnahme über Satellitentelefon Kontakt mit den Hintermännern in Afghanistan gehalten haben. Von der Hand zu weisen sind solche Vorwürfe nicht. Die meisten Beobachter sind sich allerdings darin einig, dass die Gründe für den Aufstand weniger in der ausländischen Unterstützung als in den Missständen vor Ort zu suchen sind.
Die Belutschen fühlen sich vom Staat vernachlässigt
Der Staat müsse die strukturellen Faktoren angehen, welche die Jugend in die Arme der Separatisten trieben, sagt der Forscher Fahad Nabeel. Die Belutschen klagen schon lange, dass sie nicht ausreichend an den Erlösen aus den Öl- und Gasvorkommen beteiligt würden. Trotz ihrem natürlichen Reichtum hinkt die Provinz bei der Entwicklung deutlich hinterher. Die Bevölkerung ist ärmer, weniger gebildet und hat eine höhere Mütter- und Kindersterblichkeit als der Rest des Landes.
Dass China im Rahmen seiner Seidenstrassen-Initiative Milliarden in den Hafen von Gwadar investiert, hat an der Rückständigkeit der Provinz wenig geändert. Pekings Investitionen in die Infrastruktur haben eher noch das Gefühl der Vernachlässigung und die Wut unter den Belutschen verstärkt. Denn die meisten Arbeitsplätze gehen an Chinesen und pakistanische Migranten aus anderen Provinzen. Die BLA verübt daher immer wieder Anschläge auf Chinesen und Gastarbeiter.
Die Belutschen hätten das Gefühl, dass sie in ihrer eigenen Heimat nichts zu sagen hätten, betont Fahad Nabeel. Viele fühlten sich durch die etablierten Parteien nicht vertreten. Die Fortsetzung der Anti-Terror-Operation bedeute, weiter Öl ins Feuer zu giessen. Auch Imtiaz Baloch ist überzeugt, dass der Staat zunächst das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen müsse, wenn er den Konflikt lösen wolle. Es brauche einen Dialog unter Vermittlung der Uno. Doch der Staat lehnt Verhandlungen mit den Separatisten ab und setzt auf eine militärische Lösung. Damit erscheint eine weitere Eskalation programmiert.