David Furnish hat einen Film über seinen Lebenspartner Elton John gedreht. «Never Too Late» zeigt den extravaganten Rockstar als nüchterne Privatperson in reiferem Alter.
Wer trägt die buntesten Klamotten? Elton John. Wer hat den teuersten Coiffeur? Elton John. Und wer blickt durch die verrücktesten Brillen? Elton John hat sich sein Publikum mit Hits erobert. Aber er fesselte die Fans auch durch Eskapaden und schrille Selbstinszenierung. Davon profitierten 2019 insbesondere auch die witzige Autobiografie «Me» sowie das Biopic «Rocketman». Beide schilderten Elton Johns Musikerleben mit forcierter Ironie und grotesker Übertreibung.
Man kann sich fragen, weshalb fünf Jahre später bereits eine nächste Filmbiografie erscheint: «Elton John. Never Too Late». Gewiss geht es zum einen um Promotion. Pop-Musiker, die gerade keine neuen Songs im Angebot haben, versuchen das Interesse heute immer öfter durch Filme oder Serien wachzuhalten. Die Öffentlichkeit soll so zum Streaming ihres Repertoires animiert werden.
Philosophie und Lebensweisheit
Zum andern scheint es, als habe Elton John sein Image im neuen Film durch mehr Sachlichkeit und Klugheit korrigieren wollen. Bei dem Film handelt es sich um die gemeinsame Regiearbeit von dem amerikanischen Dokumentarfilmer R. J. Cutler und David Furnish – Elton Johns Lebenspartner. Die beiden setzten den Musiker als gereiften Mann in Szene, der nüchtern über Leben und Tod philosophiert und etwas indigniert in die Abgründe seiner Karriere zurückschaut.
«Never Too Late» basiert zunächst auf alten Tonbandaufnahmen eines Gesprächs, das Elton John mit dem Journalisten Alexis Petridis geführt hatte, um es als Basis seiner Memoiren zu nutzen. Dieses Interview wird illustriert durch einen Wust von älteren und neueren Dokumenten – Konzertaufnahmen, Animes, Interviews, Proben, Studiosessions, Agendaeinträgen, Partyfotos.
So generiert der Rückblick zwar eine kaleidoskopische Vielfalt. Er behält aber stets eine gleichsam therapeutische Tendenz. Die wechselnde Verfasstheit des Künstlers soll seine Erfolge und Krisen erklären. In Elton Johns Leben erschienen sie bisweilen allerdings in enger Umarmung. Gleich zu Beginn blickt der Film auf das Jahr 1975. Elton tritt im ausverkauften Dodger Stadium in Los Angeles auf, vor ihm die Rekordkulisse von 110 000 Fans. Aber während er das Publikum mit gesanglichem und pianistischem Ungestüm begeisterte, sei er selbst unglücklich gewesen. Leer und verbraucht habe er sich damals gefühlt, so erinnert sich der müde Altstar.
Das Dodger Stadium sollte später nochmals zu einer Wegmarke seiner Karriere werden. Hier verabschiedete sich Elton John im November 2022 von der Bühne. «Never Too Late» protokolliert den Vorlauf zu diesem Ereignis und begleitet den Rockpionier auf den letzten zehn Monaten seiner Abschiedstournee. Damit ist für eine erzählerische Struktur gesorgt, die dem Film mit dem konzertanten Farewell ein dramatisches Finale beschert.
Es bleibt aber Zeit genug für biografische Anekdoten, die Elton John oft in erstaunlich dumpfem Tonfall erzählt. Liegt es an schweren Erinnerungen, wenn er wie ein müder Dickhäuter wirkt? Etwa an seiner traurigen Kindheit, in der er sich oft einsam fühlte und die Eltern oft stritten? Später liessen sie sich kaum beeindrucken von seinen musikalischen Fähigkeiten. Insbesondere der Vater hielt nichts von Rock’n’Roll.
Aufstieg und Absturz
Durch die Musik jedoch konnte sich Elton John von seinem tristen Umfeld befreien. Dem klassischen Klavierunterricht verdankte er ein Können, das er als Halbwüchsiger bereits in die Pop-Musik investierte. Angetan von der Boogie-Woogie-Virtuosin Winifred Atwell ebenso wie von den Rock’n’Roll-Pianisten Little Richard und Jerry Lee Lewis, trat er in Pubs und Klubs auf, um in England bald schon internationale R’n’B-Stars wie Patti LaBelle zu begleiten.
Seinen eigenen Erfolg im Musikbusiness, findet Elton John, verdanke er letztlich seiner Bekanntschaft mit dem Texter Bernie Taupin. Zufällig lernten sich die beiden in einem Musikverlag kennen – und verstanden sich gleich bestens. Elton John spricht gar von einer platonischen Liebe. Jedenfalls habe er zu Taupins Lyrics immer gleich die passende Melodie gefunden.
Für den konkreten Durchbruch des britischen Rockmusikers gibt es ein Datum: Im August 1970 trat er im «The Troubadour» in L. A. vor nicht mehr als zweihundert Zuhörerinnen und Zuhörern auf. Die gute Presse, die seinen Auftritt quittierte, machte ihn in den USA zum Shootingstar.
Jetzt ging es jahrelang so weit aufwärts, dass sich die Abstürze umso schmerzlicher ausnahmen. Offen und ungerührt spricht Elton John deshalb über seine Alkohol- und Kokainsucht, über seine Einsamkeit als Homosexueller, über Depressionen und innere Leere und über die prekäre Beziehung zu seinem damaligen Manager und Lover John Reid, der zu Gewaltausbrüchen neigte.
Eine Musikerfreundschaft
Bevor «Never Too Late» in die letzte Runde kommt, um im Tournee-Abschluss auszuklingen, erreicht der Film seinen eigentlichen Höhepunkt. Detailliert und anrührend wird Elton Johns kurze, aber intensive Freundschaft zu John Lennon gezeigt. Als er 1974 im «Madison Square Garden» New York auftritt, kommt der Ex-Beatle, vom Publikum euphorisch gefeiert, für einen Cameo auf die Bühne. Die beiden Stars intonieren gemeinsam «Whatever Gets You Thru the Night» und «I Saw Her Standing There». Es handelt sich um Lennons letzte Live-Performance.
Elton Johns Duett mit Dua Lipa im Dodger Stadium im November 2022, das die Popularität des Silberrückens bei der Pop-Jugend demonstrieren sollte, nimmt sich im Vergleich dann etwas angestrengt aus. Der Film kulminiert ohnehin nicht im konzertanten Ausklang. Die Stärke von «Never Too Late» liegt nicht in den musikalischen Dokumenten, sondern in der Direktheit und Nähe, aus der einem der Musiker gezeigt wird.
Das bringt freilich auch gewisse Risiken mit sich. Der Star scheint bisweilen entzaubert. Aha, sagt man sich, auch ein Rocksänger erzählt manchmal halt Banalitäten, auch eine lustige Brille garantiert nicht ewig für Witz. Wahrscheinlich ist es gut, dass sich Elton John, der in letzter Zeit von Augenleiden geplagt wird, aus dem Scheinwerferlicht zurückzieht. Er wolle sich nun ganz seinem Privatleben widmen, sagt er im Film.
Elton John. Never Too Late (Disney+).