Neue Kardinäle, Regeln für sein Begräbnis, zahllose Interviews – und jetzt noch eine Autobiografie: Franziskus ist daran, seine Hinterlassenschaft zu regeln. Und seine Sicht der Dinge festzuhalten.
Der Imperativ ist wenig geläufig und verwirrt zunächst: «Hoffe». Es ist der Titel der Autobiografie von Papst Franziskus, die am Dienstag weltweit in mehr als achtzig Ländern in den Handel kommt. Seit März 2019 hat Franziskus zusammen mit dem Co-Autor Carlo Musso an dem Buch gearbeitet. Es hätte eigentlich erst nach Franziskus’ Tod erscheinen sollen, «aber das für 2025 angekündigte Jubiläum und die Erfordernisse der Zeit», so Musso in seinem Nachwort, «haben den Papst bewogen, dieses kostbare Vermächtnis jetzt zu veröffentlichen».
Offensichtlich ist der 88-jährige Franziskus daran, sein Haus zu bestellen und gleichzeitig seinen spirituellen Nachlass zu regeln. Erst im letzten Dezember hat er 21 neue Kardinäle «kreiert», wie man diesen Vorgang hier nennt, womit der Anteil der von Franziskus ernannten wahlberechtigten Kardinäle am nächsten Konklave bei fast achtzig Prozent liegt. Die nächste Papstwahl wird damit indirekt stark vom amtierenden Papst geprägt sein.
Ausserdem hat er neue Regeln für künftige Papstbegräbnisse erlassen. Das Zeremoniell soll einfacher und bescheidener werden. Franziskus hat für sich bereits entschieden, dass er nicht im oder unter dem Petersdom zur letzten Ruhe gebettet werden soll, sondern in der Basilika Santa Maria Maggiore, einer der Papstbasiliken von Rom. «Der Vatikan ist mein letzter Arbeitsplatz auf Erden, aber nicht der Wohnort für die Ewigkeit», heisst es dazu in der Autobiografie.
Schliesslich hat der argentinische Pontifex vor drei Wochen die Heilige Pforte im Petersdom aufgesperrt und damit das Heilige Jahr 2025 eröffnet, das ganz von ihm geprägt sein wird. «Pilger der Hoffnung» lautet dessen Leitmotiv – was wiederum den Titel des Buches erklärt.
Eine Umbuchung als Glück
Dieses setzt ein mit der Auswanderung der Bergoglios, der Vorfahren des Papstes, aus Piemont nach Argentinien. Glückliche Umstände führen dazu, dass die Grosseltern nicht wie geplant auf der «Principessa Mafalda» über den Atlantik reisen. Die «Mafalda» erleidet vor der brasilianischen Küste Schiffbruch, man nennt das Schiff die «italienische Titanic». Die Bergoglios aber müssen umbuchen und reisen später nach Argentinien. «Aus diesem Grund bin ich heute hier», stellt Franziskus fest.
Die Schilderungen des Familienlebens in Argentinien gehören zu den lesenswertesten Passagen des Buches. Anschaulich erzählen die Autoren vom wachsenden Wohlstand der Familie, von Rückschlägen nach der Wirtschaftskrise von 1929, später vom Leben im Migrantenquartier Flores in Buenos Aires, wo Juden, Muslime, aber auch Revuetänzerinnen und Mittelständler leben, neben- und miteinander. «Im Herzen bin ich ein Städter», schreibt Franziskus über diese Zeit. In der Familie wird spanisch und piemontesisch gesprochen, die italienischen Wurzeln und die Kultur Italiens bleiben lebendig.
Er erlernt den Beruf des Chemietechnikers, doch fühlt er sich, beeinflusst durch charismatische Patres, zur Kirche hingezogen. Schliesslich entscheidet er sich für den Eintritt in den Jesuitenorden, studiert Philosophie und Theologie und arbeitet unter anderem als Lehrer. Früh wird er Provinzial der argentinischen Jesuiten.
Als Franziskus in Rom als möglicher Nachfolger des zurückgetretenen Papstes Benedikt XVI. genannt wird, machen Gerüchte über die vermeintlich laxe Haltung der Kirche und Bergoglios gegenüber der argentinischen Militärdiktatur die Runde. Auch in der Autobiografie wird diese Zeit gestreift. Franziskus stellt sich als Kirchenmann dar, der Regimekritikern zur Flucht verhilft, sie versteckt und auf ihrer Seite steht. Eine Messe, die er für die Familie des Generals Videla hält, nutzt er, um dem Diktator Fragen nach dem Verschwinden von zwei Jesuitenpatern zu stellen.
Franziskus ist in Rom bekannt dafür, dass er spontan und mitunter ohne Rücksprache mit den vatikanischen Kommunikationsdiensten Interviews gibt und dabei Dinge sagt, die man aus päpstlichem Munde nicht unbedingt erwarten würde. Vieles, was jetzt in seiner Autobiografie steht, ist aus diesem Grund schon auf anderen Kanälen publiziert worden und nicht mehr ganz neu, darunter die Darstellung des letzten Konklaves, das ihn zum Pontifex gemacht hat.
Einige nette Details enthält das Buch dennoch. So gibt er an, in keiner Art und Weise auf eine Wahl vorbereitet gewesen zu sein. Der Name Franziskus will ihm spontan eingefallen sein, die Wahl-Rede auf der Loggia des Petersdoms hält er ohne Manuskript und Vorbereitung. Ein mit Gold gearbeitetes Gewand will er nicht tragen, rote Schuhe lehnt er ab. «Rote Schuhe? Nein, ich muss ohnehin orthopädische Schuhe tragen. Ich habe leider leichte Plattfüsse», schreibt er dazu.
Dass er überhaupt ernsthaft zum Kreis der Kandidaten gezählt wird, wird ihm erst klar, als ihn ein Kardinal beim Mittagessen im Refektorium fragt: «Eminenz, fehlt Ihnen nicht ein Lungenflügel?» Erst da habe er angefangen zu begreifen, dass es ernst gelte. Offenbar habe man vor seiner Wahl sämtliche Risiken ausschliessen wollen, auch solche gesundheitlicher Art. Franziskus konnte den besorgten Kollegen beruhigen. Man habe ihm zu einem früheren Zeitpunkt lediglich den oberen Teil eines Lungenflügels entfernt, weil er dort Zysten hatte.
Nicht der «Militärgeistliche des Abendlandes»
Im zweiten Teil des Buches fehlen derart detaillierte Schilderungen leider. Hier kommt vielmehr das zur Darstellung, was der Co-Autor Musso wohl mit den «Erfordernissen der Zeit» gemeint hat. Es sind Antworten auf aktuelle kirchliche und politische Fragen, die das Pontifikat Franziskus’ prägen: zum Umgang mit Themen wie Homosexualität und Gender, Stellung der Frauen oder Synodalität der Kirche und mit kriegerischen Schauplätzen wie Gaza oder Ukraine.
Es macht den Eindruck, als ob es Franziskus ein Anliegen sei, Missverständnisse zu klären – die er mitunter selbst verursacht hat. In letzter Zeit wurde nämlich immer unklarer, wie sich der Papst in zentralen Fragen positioniert. Nun hält er mit Blick auf die Ukraine und Gaza fest: «Wir verwechseln nicht Angreifer und Angegriffene. Wir leugnen auch nicht das Recht auf Selbstverteidigung: Doch wir sind davon überzeugt, dass Krieg niemals unvermeidlich und dass Frieden immer möglich ist.» Er verstehe sich nicht als «Militärgeistlichen des Abendlandes», sondern als Hirte einer universellen Kirche.
Das täuscht freilich nicht darüber hinweg, dass der Heilige Stuhl weder in der Ukraine noch in Gaza derzeit ein Player ist, der zwischen den Konfliktparteien wirksam vermitteln könnte. Auch davon legt das Buch – ungewollt – Zeugnis ab. In beiden Fällen hat sich Franziskus durch ungeschickte Äusserungen selbst ins Abseits gestellt – etwa als er einmal indirekt forderte, die Ukraine solle die weisse Fahne hissen. Aber auch das gehört wohl zum Vermächtnis dieses Papstes.