Beim Zürcher Obergericht ist eine Beschwerde gegen Einstellung des Verfahrens eingereicht worden.
Bloss zu Beginn läuft alles wie geplant. Es ist Mittwoch, 6. April 2022, abends um 19 Uhr 50, als schwerbewaffnete Einsatzkräfte der Polizei in heikler Mission ausrücken: Sie sollen einen 38-jährigen Deutschen festnehmen, der sechs Tage davor den Schweizer Impfchef Christoph Berger entführt hatte.
In einem Wald richtete der Entführer eine Waffe auf Berger und forderte von dem damaligen Präsidenten der nationalen Impfkommission und der zentralen Figur der Schweizer Corona-Politik 300 000 Franken.
Die Einsatzkräfte wollen die Festnahme in Wallisellen vornehmen. Bei einer Neubausiedlung mit Penthousewohnung, in welcher der Verdächtige und seine Partnerin leben. Die Einsatzkräfte wissen, dass der Mann Schusswaffen und Munition besitzt.
Dann überschlagen sich die Ereignisse: Als der Entführer in seinem BMW und mit seiner Freundin auf dem Beifahrersitz vorfährt, versucht die Spezialeinheit, ihn zu stoppen. Die Polizisten nehmen das Auto in die Zange. Als der Deutsche merkt, was gerade passiert, versucht er, rückwärts wegzufahren.
Doch dann geschieht etwas, womit die Einsatzkräfte wohl nicht gerechnet hatten: Der 38-Jährige richtet eine Schusswaffe gegen den Kopf seiner Freundin und drückt ab. Dann eröffnet er das Feuer gegen die Polizisten. Diese schiessen ebenfalls.
Am Ende ist der 38-jährige Kidnapper tot, ebenso seine zehn Jahre jüngere Freundin.
Staatsanwaltschaft hielt Schüsse für gerechtfertigt
Haben die am Einsatz beteiligten Polizisten korrekt gehandelt? Oder tragen sie eine Mitschuld daran, dass eine junge Frau im Auto eines verzweifelten und gefährlichen Mannes ihr Leben verlor?
Diese Fragen musste die Staatsanwaltschaft nach den Schüssen klären. Das entspricht dem standardmässigen Vorgehen in solchen Fällen.
Generell ist der Schusswaffeneinsatz nur dann erlaubt, wenn Polizisten selbst an Leib und Leben bedroht sind, wenn sie also aus Notwehr handeln. Die Pistole kann auch zum Einsatz kommen, wenn Dritte an Leib und Leben bedroht sind und die Polizei somit für andere Notwehrhilfe leistet. Dass Polizisten im Einsatz zur Waffe greifen, kommt entsprechend selten vor.
Beim Einsatz in Wallisellen kam eine Untersuchung der Zürcher Staatsanwaltschaft zu dem Schluss: Alles lief korrekt ab. Die Staatsanwaltschaft liess den Vorwurf der vorsätzlichen Tötung fallen und stellte das Strafverfahren gegen vier beteiligte Polizisten im Alter zwischen 34 und 41 Jahren Mitte Dezember 2024 ein.
Sowohl die Einsatzplanung als auch der Schusswaffengebrauch seien verhältnismässig gewesen, hielt die Staatsanwaltschaft in einer Mitteilung fest.
Beschwerde beim Obergericht eingereicht
Doch nun soll die Staatsanwaltschaft gezwungen werden, die Rolle der vier Polizisten nochmals zu untersuchen. Gegen die Einstellungsverfügungen in ihrem Fall ist eine Beschwerde am Zürcher Obergericht erhoben worden. Auf Anfrage bestätigt Marc Bodenmann, Sprecher des Obergerichts, den Eingang der Beschwerde. Weitere Auskünfte über das laufende Verfahren könne man nicht erteilen.
Es ist deshalb vorläufig unklar, was konkret in der Beschwerde beanstandet wird. Ebenso, wer die Beschwerde eingereicht hat.
Bis jetzt bekannt ist über den damaligen Polizeieinsatz vor allem, was im Untersuchungsbericht zur Person des Entführers im Januar 2024 veröffentlicht wurde. So holte der 38-jährige Deutsche eine Pistole aus der Mittelkonsole und schoss seiner Lebenspartnerin in den Kopf. Die Einsatzkräfte erwiderten daraufhin das Feuer und zogen dann die beiden aus dem Auto. Die Frau blutete am Kopf, der Mann im Brustbereich. Die Pistole hielt Müller noch in seiner rechten Hand.
Die Einsatzkräfte zogen ihnen Handschellen an, dann versuchten sie vergeblich, die beiden wiederzubeleben. Die 28-jährige Brasilianerin kam durch eine Kugel aus Müllers Waffe um, der Deutsche durch Schüsse von zwei Polizisten.
Für die Staatsanwaltschaft war das Vorgehen nicht anders möglich: Die angetroffene Gefährdungssituation habe eine umgehende Reaktion der Polizisten erfordert, um die vom Entführer ausgehende Gefahr für Leib und Leben zu neutralisieren. Die Einsatzkräfte hätten in rechtfertigender Notwehr gehandelt. Auch bei der vorangehenden Einsatzplanung sei es zu keinen Pflichtverletzungen durch die Einsatzkräfte gekommen. Ob diese Argumentation aufrechterhalten werden kann, muss nun das Obergericht entscheiden.