Der Stromnetzbetreiber investiert Milliarden in den Ausbau der Infrastruktur. Das belastet auch den Gewinn pro Aktie. Anleger können mit dem Konzern dennoch profitieren.
Die Schwergewichte im deutschen Leitindex Dax lieferten oft genug epochale Abstürze. Bekannte Unternehmen wie Deutsche Telekom, Deutsche Bank und Allianz laufen trotz zuletzt nachhaltiger Kurserholung ihren früheren Höchstkursen hinterher.
Mit in der Reihe befindet sich auch das lange Zeit wertvollste Energieunternehmen des Landes, das auf dem Zenit mit einem Börsenwert von mehr als 100 Mrd. € gar zeitweise zum wertvollsten deutschen Börsenkonzern aufgestiegen war: Eon. Mehr als 16 Jahre ist das her – und es erscheint in jeder Hinsicht wie eine Episode aus einer anderen Epoche.
Es war die Zeit der jungen Merkel-Ära – vor allem jedoch: eine Zeit vor dem grossen Erdbeben in Japan.
2000 aus der Fusion der Mischkonzerne Veba und Viag und der Übernahme von Ruhrgas entstanden, sah sich Eon in den 2010er-Jahren plötzlich mit geopolitischen Herausforderungen konfrontiert, die das Geschäftsmodell auf den Kopf stellten.
Wendepunkt Fukushima
Das Erdbeben und der folgende Tsunami in Japan im Jahr 2011 hatten schliesslich in kürzester Zeit weitreichende Folgen. Die Regierung Merkel beschloss in der vielleicht bemerkenswertesten 180-Grad-Wende ihrer Amtszeit den Ausstieg aus der Kernenergie. Eon wurde gezwungen, die Geschäftsstrategie umzukrempeln.
Die Energiewende des Konzerns gipfelte im Verzicht auf fossile Energien: 2016 spaltete Eon das Kraftwerksgeschäft ab, daraus entstand die börsenkotierte Uniper. Der Name steht für «Unique Performance». Die Entwicklung geriet wirklich einzigartig: Wegen der Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen musste das Unternehmen Ende 2022 verstaatlicht werden.
Eon stürzte an der Börse ab. In den vergangenen zwanzig Jahren büsste die Aktie zeitweise zwei Drittel ihres Werts ein und liegt beim Kurs immer noch um mehr als ein Viertel im Minus. Knapp die Hälfte dieser Zeit, von 2008 bis 2016, sass Werner Wenning im Kontrollgremium, ab 2011 als Aufsichtsratsvorsitzender. Nach seinem Rücktritt bei Eon konzentrierte er sich auf seinen Aufsichtsratsvorsitz beim Pharma- und Chemiekonzern Bayer, wo er bereits seit einiger Zeit die noch 2016 angekündigte Übernahme von Monsanto betrieben hatte, die Bayer in eine schwere und anhaltende Krise stürzen sollte.
Neuaufstellung durch eine günstige Gelegenheit
2019 gelang dem damaligen Eon-Chef Johannes Teyssen dann allerdings ein Coup, der das Unternehmen bis heute prägt. Mit dem Management von RWE vereinbarte er den Kauf und die Zerschlagung der RWE-Tochter Innogy. Diese war nach einer Gewinnwarnung und dem Abgang von CEO Peter Terium angeschlagen. Seitdem stammen rund 75% des Vorsteuergewinns bei Eon aus regulierten Strom- und Gasnetzen. Der Staat legt bei diesen Geschäften die Rendite fest. Zwei Drittel der regulierten Netz-Assets liegen in Deutschland. Die übrigen 25% des Vorsteuergewinns stammen aus dem Segment «Kundenlösungen», also vor allem aus dem Vertrieb von Strom und Gas. Ein kleinerer Teil dort sind Infrastrukturangebote wie E-Auto-Ladestationen.
Die seit 2021 von Leonhard Birnbaum geführte Eon von heute ist entsprechend ein ganz anderer Konzern als der Dax-Champion von Ex-Chef Wulf Bernotat, der vergebens um die grosse europäische Energieübernahme (Endesa) rang.
Eon-Chef Birnbaum will «die grüne Transformation durch massive Investitionen in den Ausbau der europäischen Energienetze vorantreiben», wie er «manager magazin» 2023 zu seiner Strategie sagte, wobei er sein Unternehmen vom an der Börse erheblich erfolgreicheren Kraftwerksbetreiber RWE abgrenzt. «Kein Windrad, auch keines von RWE, ist eine volkswirtschaftlich sinnvolle Investition, wenn nicht gleichzeitig auch in die Netze investiert wird.»
Bei den Verteilnetzen sei Eon auf der höchsten Spannungsebene, dem 110-kV-Netz, besonders stark – und hier solle sich die Zahl der anzuschliessenden Anlagen verdreifachen. Das dauere mindestens zehn Jahre, schätzt Birnbaum, und hofft auf die Unterstützung der Politik. Seine Prognose: «Dem Kapitalmarkt wird das auf Dauer auch gefallen: ein Geschäft mit niedrigem Risikoprofil, einer regulierten Rendite und einer starken Wachstumsperspektive.»
Doch der Umbau verschlingt enorme Summen. Erst im März verkündeten die Essener bei Vorlage der Jahresbilanz von 2023 eine Erhöhung des Investitionsvolumens von 33 auf 42 Mrd. € für die Jahre 2024 bis 2028. Der Fokus liegt dabei auf Energienetzen und Energie-Infrastrukturlösungen in der Bundesrepublik (25 Mrd. €).
Leichte Kurserholung
An den Kapitalmärkten, an denen überbordende Investitionen seit jeher kritisch beäugt werden, erlebt Eon nichtsdestotrotz so etwas wie eine kleine Wiederentdeckung nach einer Dekade in der Versenkung. Bei knapp 13 € wird die Aktie wieder auf einem Niveau gehandelt, das sie fast ein Jahrzehnt nicht mehr erreicht hatte. Binnen eines Jahres gelang ein Plus von 11%. Auch in diesem Zeitraum entwickelte sich die Eon-Aktie etwas schlechter als der Dax-Kursindex, allerdings immerhin leicht besser als das Branchenbarometer Euro Stoxx Utilities.
Grund für Anlegereuphorie gibt es tatsächlich wenig, die Geschäftsentwicklung stagnierte zuletzt. Beim jüngsten Bericht für das erste Quartal Mitte Mai konnte CEO Birnbaum weitgehend den Erwartungen entsprechen. Das bereinigte operative Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) lag mit 2,7 Mrd. € ebenso wie der operative Gewinn von 1 Mrd. € marginal über dem Vorjahresniveau. Die Jahresprognose eines Ebitda von 8,8 bis 9 Mrd. € sowie eines bereinigten Konzerngewinns von 2,8 bis 3 Mrd. € im Geschäftsjahr 2024 wurden bestätigt, sie entsprechen jedoch einem Ergebnisrückgang im einstelligen Prozentbereich.
Dass der Aussenumsatz indes um 33% eingebrochen ist, liegt an Einmaleffekten im Bereich Energy Retail, in dem gesunkene Grosshandelspreise sowie der mildere Winter für einen Erlösrückgang von 11,4 Mrd. € sorgten. Die bei S&P Capital IQ erfassten Analysten rechnen im Geschäftsjahr 2024 mit einem Schrumpfen des Umsatzes von 95 Mrd. € auf nur noch rund 71 Mrd. €.
Der Preis des Wachstums
Dennoch sehen viele Bankhäuser weiteres Kurspotenzial und bekräftigten zuletzt ihre Kaufempfehlungen mit Kurszielen von 15 bis 17 €. Die Energiewende habe das Wachstum der regulierten Assets von 2 bis 4% (2019 bis 2022) für die kommenden Jahre auf 10% per annum gehievt, betont Analystin Wanda Serwinowska von der UBS.
Auch die Hamburger Privatbank Berenberg sieht Eon in «eine neue Phase verstärkten Wachstums» eintreten. «Wichtig ist, dass über 75% unseres prognostizierten bereinigten Ebitda-Wachstums bis 2028 auf den Ausbau der vorhersehbaren regulierten Netzwerkgeschäfte zurückzuführen sind, gestützt durch Upgrade-Anforderungen, wachsende Verbindungsanfragen, eine unterstützende Regulierung, verlässliche Erträge und politischen Willen», arbeiten die Analysten Andrew Fisher und Marc Ip Tat Kuen heraus.
Positiv ist fraglos, dass der Regulator die Rendite für neue Investitionen auf 5,8% erhöht hat. Das ist schon in der Nähe des Doppelten jener 3,2% Rendite, die Eon auf bestehenden Assets verdienen darf.
Die Frage bleibt dennoch, wie profitabel Eons Wachstum ist und was die Aktionäre davon haben. Bis einschliesslich 2027 dürfte der Gewinn je Aktie wegen der anhaltend hohen Investitionen nicht an das Niveau von 2023 herankommen, in dem noch ein Gewinn pro Aktie von 1,18 € ausgewiesen wurde.
Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) bewegt sich demnach auf dem gegenwärtigen Kursniveau ziemlich stabil zwischen 11 und 12. Würden sich die von den Analysten ausgerufenen Kursziele bewahrheiten, würde das KGV in die Region von um die 15 klettern. Für einen Versorger ist das alles andere als günstig – das Kurspotenzial erscheint damit zumindest rechnerisch begrenzt.
Fazit: Reichen Dividende und charttechnischer Rückenwind?
Charttechnisch gibt es durchaus Impulse. Das Zwischenhoch von Anfang 2022 bei über 12.50 € hat die Eon-Aktie in den vergangenen Wochen überwunden. Kurse von über 13 €, die vor dem Dividendenabschlag in der vergangenen Woche aufleuchteten, hat das Papier seit 2015 nicht mehr gesehen. Entsprechend scheint die zermürbende Bodenbildungsphase abgeschlossen, die 2016 im Rekordtief bei 6 € ihren unrühmlichen Tiefpunkt fand. Wenn es den Anteilscheinen gelingt, nachhaltig die Marke von 13 € zu überwinden, könnte das Momentum in Richtung eines neuen Aufwärtstrends umspringen – zumindest aus Sicht der technischen Analyse.
Eon ist ein wenig konjunktursensibles Investment, das seine Qualitäten in einem unruhigeren Marktsentiment ausspielen könnte. Kursstützend wirkt auch die Dividende, die derzeit bei 0,53 € je Aktie liegt und Anfang der Woche an die Aktionäre ausgezahlt wurde. Binnen der nächsten vier Jahre hat der Energieriese ein jährliches Dividendenwachstum von bis zu 5% in Aussicht gestellt. Auf dem derzeitigen Kursniveau bei 12.70 € beträgt die Dividendenrendite ordentliche 4,2%.
Fundamental drängt sich ein Kauf wegen der begrenzten Wachstumsperspektiven bei gleichzeitig massiven Investitionskosten indes nicht auf. Die Energiewende ist ein Kraftakt, der sich über Dekaden zieht. Eon ist dabei durchaus gut positioniert, bei der Neuordnung des Energiemarkts in Mitteleuropa eine Schlüsselrolle zu spielen. Anleger brauchen hier sehr viel Geduld und vielleicht auch etwas idealistische Motivation, in Elektrifizierung und Klimawende investieren zu wollen.
Kurzfristig attraktiver wirken Eon-Anleihen mit einer Rendite von rund 3,3%, die im Januar 2018 fällig werden (ISIN: XS2574873266). Sie sind in einer Stückelung von 1000 € an der Börse erhältlich. Der Renditeaufschlag zu Bundesanleihen mit ähnlicher Laufzeit beträgt mehr als einen halben Prozentpunkt.
Ganz ohne Kursrisiko sind auch diese Anleihen nicht, falls Anleger vor der Rückzahlung durch Eon verkaufen möchten: Noch im Herbst rutschte der Kurs bis auf 97,55% ab, notiert aber derzeit wieder leicht über dem Rückzahlungswert. Als Entschädigung gibt es bis zur Endfälligkeit mehr Geld als heute bei den meisten Tagesgeldkonten. Wenn in dreieinhalb Jahren die Summe wieder auf dem Anlegerkonto eintrifft, wächst ja vielleicht auch bei Eon nicht nur das Stromnetz, sondern auch der Gewinn pro Aktie wieder stärker.