Die Staatsanwaltschaft hatte den AfD-Politiker angeklagt, weil er bei einem Stammtisch seiner Partei eine verbotene SA-Parole angestimmt haben soll. Seine Wählbarkeit, was politische Ämter angeht, behält er.
Björn Höcke hat richtig vermutet: Er muss erneut eine Geldstrafe zahlen, weil er die verbotene Parole «Alles für Deutschland» in einer Rede genutzt hat. Am ersten Verhandlungstag dieses zweiten Prozesses, genau eine Woche zuvor, hatte er vorausgesagt: «Leider erwarte ich einen weiteren Schuldspruch.» Schon das erste Urteil sei falsch gewesen. Er sei unschuldig. Diesmal ist die Strafe sogar höher: 130 Tagessätze zu je 130 Euro werden fällig, beim ersten Urteil am 14. Mai waren es 100 Tagessätze. Beide Male ging es um «Alles für Deutschland».
Die Staatsanwaltschaft am Landgericht Halle an der Saale hatte den AfD-Politiker angeklagt, weil er bei einem Stammtisch seiner Partei mit rund 350 Teilnehmern im thüringischen Gera im vergangenen Dezember die verbotene SA-Parole angestimmt haben soll. Er sprach die ersten beiden Worte und animierte laut Anklage durch Gesten das Publikum, den Spruch zu vervollständigen.
Als Angeklagter hatte Höcke das letzte Wort. Er nannte den Paragrafen, nach dem er verurteilt wurde, eine «Falle», in die jeder hineinlaufen könne. Selbst ein rechtstreuer Bürger, selbst jemand, der mit wissenschaftlicher Redlichkeit herauszufinden versuchte, was nach dieser Norm strafbar sei, müsse scheitern. Der Paragraf erfülle nicht die Anforderungen an die Klarheit eines Strafgesetzes.
Ob jemand die Parole kannte, ist egal
Es geht dabei um Paragraf 86a Strafgesetzbuch und das Verwenden von Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation. Die Frage, ob die Parole «Alles für Deutschland» ein solches Kennzeichen ist, war zentral an den drei Verhandlungstagen.
Die Verteidigung hatte zahlreiche Anträge gestellt, mit denen bewiesen werden sollte, dass es sich um eine Allerweltsparole handele, die gerade nicht speziell der SA zuzuordnen sei. Dazu wollte sie Bücher und historische Schriften verlesen lassen, Sachverständige hören und den Leni-Riefenstahl-Film «Triumph des Willens» im Saal schauen.
Doch dies verfing beim Gericht nicht. Es lehnte am Montagmorgen die letzten acht Anträge ab. Die SA sei eine verfassungswidrige Organisation, daran bestehe kein Zweifel, und sie habe die Parole auf ihre Dolche geprägt und sie sich damit zu eigen gemacht. Das mache «Alles für Deutschland» zum Kennzeichen, und es sei egal, ob dies jemand gewusst habe oder nicht.
Der Staatsanwalt wollte sogar die Wählbarkeit aberkennen
Höcke habe auch vorsätzlich gehandelt, so der Vorsitzende Richter Jan Stengel. Nicht nur habe er gewusst, dass wegen des Spruchs bereits eine Anklage gegen ihn vorliegt, sondern auch, dass seine Immunität aufgehoben war. Er habe es trotzdem getan und auch nicht ablehnend reagiert, als die Menge den Spruch vollendete. Höcke hatte nämlich – nach seinen Angaben eigens, um einer Strafbarkeit zu entgehen – nur die Worte «Alles für» gerufen.
Staatsanwalt Benedikt Bernzen ging diesmal härter an die Sache heran. Er forderte acht Monate Haft und den Verlust der Fähigkeit, politische Ämter zu bekleiden, für zwei Jahre. Zudem eine Zahlung von 10 000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung, etwa die KZ-Gedenkstätte Buchenwald. Höcke habe die Parole anlasslos erneut verwendet, obwohl er deren Strafbarkeit kannte, und dabei noch Dritte einbezogen, was strafschärfend zu werten sei.
Ausserdem warf Bernzen dem Angeklagten eine Missachtung der Justiz vor, weil Höcke «Säuberungen» in der Justiz für den Fall angekündigt habe, dass er an die Macht kommt. Dies hatte Höcke am Mittwoch schon als «infam» zurückgewiesen. Er habe lediglich angekündigt, die Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft aufzuheben und Prozesse wie den seinen untersuchen zu lassen, und dies wiederholte er in seinem «letzten Wort».
«Pathologische Vergangenheitsbewältigung»
Höckes Verteidiger Ralf Hornemann hatte einen Playmobil-Fussballspieler mit der Rückennummer 4 dabei – just jene 4, die irgendwem wie eine Siegrune der SS vorgekommen war, was zu medialer Aufregung und zum Einstampfen der neuen Trikots der Nationalmannschaft geführt hatte. Hornemann wollte damit zeigen, welche aus seiner Sicht absurden Blüten die «geradezu pathologische Vergangenheitsbewältigung» inzwischen treibt, weswegen auch jemand, der am 1. August Geburtstag hat, kein Wunschkennzeichen mehr fürs Auto bekomme. Die Zahlenkombination 18 gilt als Chiffre für Adolf Hitler.
Schliesslich musste sich Höcke vom Gericht noch eine kurze Standpauke gefallen lassen, weil er eine «politische Justiz» angeprangert hatte. Er mache das seit über dreissig Jahren in zwei Strafkammern und prüfe seit dieser Zeit auch alte DDR-Urteile auf Rechtsstaatswidrigkeit, sagte Richter Stengel. Da habe jemand einen Witz über Walter Ulbricht gemacht und dafür sechs Monate Gefängnis bekommen, und der Witz sei nirgends zu lesen gewesen. Oder ein Sportler, der nicht mehr für die DDR antreten wollte, dem man dann ein Strafverfahren angehängt habe, mit falschen Zeugen und allem: «Das sind politische Verfahren.» Dagegen gehe hier alles rechtsstaatlich zu.
Die Verwendung der Parole «Alles für Deutschland» wurde in Deutschland bisher nur einmal bestraft. Im Jahr 2006 verurteilte das Oberlandesgericht Hamm einen jungen Neonazi zu sechs Monaten Haft ohne Bewährung, weil er die Parole gerufen hatte. Allerdings hatte der Mann zusätzlich eine Körperverletzung begangen, indem er eine 16-Jährige schlug, und zuvor schon einen Dauerarrest wegen Volksverhetzung abgesessen. Das Amtsgericht als Vorinstanz hatte die Parole als Kennzeichen einer verbotenen verfassungswidrigen Organisation eingestuft.
Gegen Höcke steht noch ein Prozess wegen Volksverhetzung am Landgericht im thüringischen Mühlhausen an. Hierfür steht nach Auskunft eines Gerichtssprechers noch kein Termin fest. Inhaltlich geht es um einen Post auf Telegram, in dem Höcke sinngemäss den Islam als Volkskrankheit und die Migration als «alltäglichen Verdrängungskrieg» bezeichnet und Muslimen unterstellt, ihre ungläubigen Gastgeber für «lebensunwertes Leben» zu halten.
Höcke ist Spitzenkandidat der AfD in Thüringen für die Landtagswahl am 1. September und strebt das Amt des Ministerpräsidenten an. Sein Landesverband wird vom Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft.