Toscani warb mit nackten Models und Aidskranken für Kleider. In Zürich liess er sich zum Fotografen ausbilden. Mit dem Medium der Fotografie provozierte er, engagierte sich aber auch gegen Diskriminierung und gesellschaftliche Ungleichheiten.
Es gibt eigentlich nur einen wirklich grossen Skandal: den Tod. Und Oliviero Toscani hat sich den Tod immer wieder zu Diensten gemacht. Als Fotograf hat er mit Bildern Werbung geschaffen, wie dies kaum noch denkbar wäre. Seine Fotografien, gezeigt im öffentlichen Raum in Weltformat, würden heute einen Skandal auslösen. Oder vielmehr käme es gar nicht erst dazu. Toscanis Fotos würden wohl gecancelt.
Der Tod aber lässt sich nicht canceln. Oliviero Toscani war todkrank in den letzten Monaten. Und schlug auch daraus Kapital. «Der Tod gehört zum Leben, basta!», sagte er noch vor Wochen. Damit wollte er wohl nicht nur sein Lebenswerk verteidigen. Der 82-jährige Fotograf litt an einer seltenen, unheilbaren Gewebekrankheit. Nun ist er daran gestorben. In Erinnerung bleibt er als der Schöpfer von ikonischen Fotografien und Werbekampagnen, die immer wieder Debatten auslösten.
So seine Kampagne für das Modelabel Benetton, für die er nicht einmal selber zur Fotokamera griff, sondern einfach ein Foto des an Aids erkrankten David Kirby aus dem Magazin «Life» verwendete. Mit der Familie abgesprochen, zeigte er in der Kampagne den Sterbenden im Spitalbett, umringt von seinen Angehörigen. Das hatte nichts mit Mode zu tun. Aber es funktionierte. Dem Modekonzern von Luciano Benetton war die Aufmerksamkeit sicher.
Dieser hatte Toscani als seinen wichtigsten Werbefotografen angeworben. Und es war Toscani, der den Brand in «United Colors of Benetton» umtaufte. Dafür fotografierte er Models aus allen Kontinenten: die Menschheit zu einer einzigen Familie vereint. Aber auch das musste in den Augen Toscanis nicht zwangsläufig einen Bezug zur Mode haben. Kleider kamen auf diesen Fotos nicht vor. Seine Models aus Afrika, Europa, Amerika und Asien zeigte er lieber nackt.
Schwarze Models
«Provokation ist etwas Gutes» war Toscanis lebenslanges Credo. Mit seiner Fotografie hat er vor allem an den Tabuthemen Tod und Sexualität gekratzt. Und damit kühne Werbebilder geschaffen. Den zärtlichen Kuss etwa einer Nonne in Weiss und eines Paters in Schwarz. Oder die kopulierenden Pferde – auch sie kontrastreich inszeniert als Schimmel und Rappe. Beides waren Werbeplakate für United Colors of Benetton. Und waren erst kürzlich zu sehen im Museum für Gestaltung.
Die Zürcher Institution richtete Toscani im vergangenen Jahr eine grosse Retrospektive aus. Schliesslich war er ein Zögling der Zürcher Kunstgewerbeschule. 1961 erhielt er als 19-Jähriger einen der raren Studienplätze. Dabei sprach der gebürtige Mailänder kein Wort Deutsch. Dafür brachte er viel Talent mit. Und startete durch. Als Student gewann er gleich einen international ausgeschriebenen Wettbewerb der Fluggesellschaft Pan Am. Was ihn in den frühen siebziger Jahren als junges Greenhorn der Fotografie nach New York brachte.
Dort fotografierte er Celebritys wie Patti Smith, Lou Reed, Andy Warhol oder Robert Rauschenberg. Und in den einschlägigen Klubs von Manhattan die sich exzentrisch inszenierenden Homosexuellen. Für «L’Uomo Vogue» machte er als Erster Aufnahmen von schwarzen Models. Das war revolutionär. Mit der Ausgabe schrieb das Magazin ein Stück Modegeschichte.
Viele Feinde
Toscani stammte aus einer begabten Foto-Familie. Sein Vater war Fotoreporter bei der Tageszeitung «Corriere della Sera». Seine ältere Schwester Marirosa Toscani Ballo führte zusammen mit Aldo Ballo das legendäre Mailänder Fotostudio Ballo + Ballo. Oliviero Toscani selber wurde Modefotograf.
Zuerst für die internationale Modezeitschrift «Elle». Als Enfant terrible der Werbefotografie sollte er erstmals mit seiner Kampagne für die Jeansmarke Jesus Jeans auffallen. Er zeigte das Hinterteil des Models Donna Jordan in einer kurzen, engen Jeanshose und versah es mit dem Schriftzug «Chi mi ama mi segua». Die Plakate mit dem Bibelzitat «Wer mich liebt, folgt mir» sorgten 1973 in Italien für viel Aufregung.
Plumpe Provokation war aber nicht, was Toscani suchte. Er vertrat durch das Medium der Fotografie eine politische Haltung, setzte sich gegen Krieg, Rassendiskriminierung und gesellschaftliche Ungleichheiten ein. Mit Werbeplakaten farbiger Kondome engagierte er sich etwa für die Aufklärung rund um das lange verdrängte Thema Aids.
Toscani hat nie ein Blatt vor den Mund genommen. Kurz vor seinem Tod sah er sich noch mit einer Klage konfrontiert, weil er die Ministerpräsidentin Giorgia Meloni im Fernsehen als Faschistin bezeichnet hatte. Von Silvio Berlusconi sagte er in einem Interview, dieser habe Italien ruiniert.
Nicht nur mit seiner Fotografie, sondern auch mit seinen Kommentaren und Urteilen hat sich Toscani immer wieder Feinde geschaffen. Seine Kampagnen für Benetton beschäftigten zahllose Anwälte. Als Toscani für das Modelabel Fotos von zum Tode verurteilten Straftätern in amerikanischen Gefängnissen machte, formierte sich massiver Protest von Opfervertretungen. Darauf mussten sämtliche Benetton-Filialen in den USA schliessen. Als sich Luciano Benetton öffentlich entschuldigte, empfand dies Toscani als Verrat und beendete die Zusammenarbeit.
Toscani schonte auch sich selber nicht. Für ein Interview im «Corriere della Sera» liess er sich letztes Jahr sichtlich gezeichnet von seiner Krankheit abbilden. Das Bild hätte aus einer seiner eigenen Kampagnen stammen können.