Die deutsche Bundeswehr will Soldaten mit einer posttraumatischen Belastungsstörung besser helfen. Dazu hat sie in Berlin eine neue Kampagne vorgestellt, die sich vor allem an Angehörige wendet.
Jana ist eine bemerkenswerte Frau. Ihr Ehemann ist Soldat und traumatisiert. Er leidet unter den Erlebnissen, die er während eines Auslandseinsatzes erlitten hat. Er sitzt mit ihr an einem Tisch, dazu die Kinder, und sie sagt, ihr Mann sei nicht mehr da, er sei gestorben, als er mit der Bundeswehr fort gewesen sei. Nun sei sie nicht nur eine alleinerziehende Mutter, sondern auch die pflegende Angehörige eines Mannes, der sich völlig verändert habe. «Aber ich liebe ihn und habe mich für ihn entschieden.»
Jana ist die Frau eines Hauptfeldwebels der deutschen Bundeswehr. Wo und wann der Soldat im Einsatz war, wird nicht klar. Aber in dem Video der beiden spricht sie offen darüber, wie sehr sie die psychische Erkrankung ihres Mannes belastet und wie sie damit umgeht. Das allein ist schon mutig und ungewöhnlich. Noch aussergewöhnlicher aber wird das Video von Jana und ihrem Mann durch die Tatsache, dass es seit kurzem auf der Website der deutschen Bundeswehr steht. Im Kampf gegen die posttraumatische Belastungsstörung, kurz PTBS, gehen die deutschen Streitkräfte neue Wege.
Anfang der neunziger Jahre schickte der Bundestag erstmals eine grössere Anzahl von Soldaten in Krisenregionen. Seitdem waren Hunderttausende überwiegend junge Männer in Ländern wie Somalia, Kambodscha, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Afghanistan, dem Irak und Mali. In einer Studie kommt die Bundeswehr zu dem Ergebnis, dass etwa drei Prozent aller Soldaten im Einsatz eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten haben.
Drei Prozent aller Einsatzsoldaten sind traumatisiert
Das Problem allerdings ist, dass nur etwa die Hälfte von ihnen eine entsprechende Diagnose erhält und behandelt wird. Das betrifft einerseits Soldaten, die in einem Kampfeinsatz gestanden haben. Ein solches Erlebnis werde häufig als persönliche Bedrohung wahrgenommen und könne traumatisierend sein, heisst es bei der Bundeswehr. Andererseits wüchsen sich bei vielen Soldaten aber auch moralisch belastende Situationen wie das Erleben von Armut, Bürgerkriegen oder Greueltaten zu einer psychischen Erkrankung aus.
Wie gross die Zahl der Soldaten mit einer posttraumatischen Belastungsstörung ist, gibt die Bundeswehr nicht an. Man kann sie aber ungefähr berechnen. Nach wiederholten Angaben des Verteidigungsministeriums waren seit Anfang der neunziger Jahre etwa 400 000 Soldaten in einem Einsatz. Da viele von ihnen mehrmals entsandt wurden, reduziert sich die Zahl der einzelnen Personen auf gut 300 000. Drei Prozent davon ergeben gut 9000 Soldaten, die demnach an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden.
Das wären deutlich mehr, als bis anhin offiziell bekannt sind. Die Bundeswehr hat auf ihrer Website zwar nur die Zahl der Neuerkrankungen von 2019 bis 2023 eingestellt: gut 200 pro Jahr. Doch aus Publikationen und Gesprächen der Vergangenheit geht hervor, dass die offizielle Zahl der an PTBS erkrankten Soldaten seit Beginn der Erhebung im Jahr 2006 bei etwas mehr als 3000 liegt. Das würde bedeuten, dass es eine Dunkelziffer von gut 6000 Soldaten gibt.
Das Martyrium der Frau eines KSK-Soldaten
Mutmasslich ist das einer der Gründe, weshalb die Bundeswehr nun eine Kampagne gestartet hat, die Angehörigen von Soldaten helfen soll, eine posttraumatische Belastungsstörung besser zu erkennen. Vom Moment der psychischen Verletzung bis zum Ausbruch und zur Diagnose können mitunter viele Jahre vergehen. Viele Partner, Eltern oder Kinder stellen zuvor schon längere Zeit starke Veränderungen fest, können sie sich aber nicht erklären.
Die Bundeswehr schildert auf ihrer Website nicht nur das Beispiel von Jana und ihrem Ehemann. Eindrücklich ist auch die Geschichte von Angelika, der Frau eines Soldaten aus dem Kommando Spezialkräfte, dem KSK. Diese Eliteeinheit führt ihre Einsätze in der Regel verdeckt, etwa bei der Befreiung von Geiseln. Angelikas Geschichte zeigt, wie sehr nicht nur der Soldat selbst, sondern auch die Angehörigen von der Erkrankung betroffen sein können.
Offen berichtet Angelika, dass sie sich von ihrem Mann immer mehr zurückgestossen, nicht mehr als Ehefrau angenommen, nicht mehr als Teil von ihm gefühlt habe. Bis heute ringe sie mit Selbstzweifeln, während sich ihr Mann in Arbeit und Sport hineingesteigert habe, sich den Kopf frei gelaufen habe, um unerwünschte Gedanken von sich fernzuhalten. Für ihn gebe es keine Grenzen, weder emotionaler noch körperlicher Art, habe er immer wieder erklärt.
Der Kampf gegen die Selbstzweifel
Das sind antrainierte Verhaltensweisen, die für einen KSK-Soldaten erforderlich sind, um seinen Auftrag erfüllen zu können. Doch auch privat habe Angelikas Mann diese Konditionierung nicht ablegen können. Es sei ihm nicht beigebracht worden, dass es auch einen Rückweg gebe, dass er die Konditionierung irgendwann auch wieder umdrehen müsse, um auf die eigene Gesundheit zu achten, berichtet er. Beide Ehepartner hätten zunehmend für sich gekämpft: gegen ihre innere Zerrissenheit, gegen ihre Selbstzweifel, gegen die vielen dunklen Wolken.
Es habe nicht den einen Moment gegeben, in dem sie hätte sagen können, dass ihr Mann krank sei und Hilfe brauche, sagt Angelika. Dazu habe er erst zusammenbrechen müssen. Dieser Tag kam, als sie ihn in Embryostellung zusammengekauert mit starrem Blick im Wohnzimmer habe liegen sehen und er sich nicht mehr habe bewegen können. Seitdem ist er in Behandlung in einem Militärspital in Berlin.
Angelika aber fällt hinten runter. Sie sagt in dem Bericht, dass sie sich allein und verloren fühle, dass sie sich nicht wahrgenommen fühle und das Ausmass der Erkrankung ihres Mannes nicht verstehen könne. Tiefergehende Gespräche mit ihrem Partner seien kaum mehr möglich. Inzwischen sei sie selbst an einer Depression erkrankt, und sie frage sich, wie sie «die Kraft erhalte, das durchzustehen».
Die Bundeswehr will Angehörigen helfen
Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird Angelika nicht die einzige Partnerin eines Soldaten sein, der es so geht. Die Bundeswehr versucht mit ihrer Kampagne nun, Menschen wie ihr zu helfen. Dazu hat sie einen Fragebogen entwickelt und auf ihrer Website eingestellt.
In diesem Test wird nach generellen Veränderungen des Partners gefragt. Verschliesst er sich mehr, hat sich sein Wesen verändert, vermeidet er die Nähe zu nahestehenden Personen, ist er weniger belastbar, oder sprechen sie nur noch wenig über Probleme miteinander? Fragen wie diese sollen einen ersten Anhaltspunkt für eine posttraumatische Belastungsstörung geben. Dazu steht dann die Telefonnummer der Trauma-Hotline der Bundeswehr, an die sich auch Angehörige wenden können.
Bisher hatten die deutschen Streitkräfte vor allem auf den Kameradenkreis ihrer Soldaten gesetzt, um bei der Diagnose und der Therapie einer posttraumatischen Belastungsstörung zu helfen. Dahinter steht die Annahme, dass sich Soldaten untereinander am besten verstünden. Doch das ignoriert, dass viele Angehörige der Bundeswehr oft versetzt werden und alte Kameradenkreise zerbrechen. Ausserdem ist ein Grossteil der gut 300 000 Einsatzsoldaten heute längst aus dem Militär ausgeschieden.
Hohe Suizidraten unter Irak- und Afghanistan-Veteranen
Welche Folgen es haben kann, wenn Traumatisierungen bei Soldaten nicht erkannt und behandelt werden, lässt sich anhand vieler Beispiele sehen. In den USA leiden bis heute Hunderttausende Veteranen unter ihren Erlebnissen in Vietnam. Das gilt auch für Soldaten, die im Irak und in Afghanistan im Einsatz waren. Seit den Missionen in diesen beiden Ländern verzeichnet das US-Militär einen signifikanten Anstieg der Suizidraten unter aktiven Soldaten und Veteranen.
Auch der russische Krieg in der Ukraine generiert eine enorme Zahl traumatisierter Soldaten. Im Land der Invasoren schlägt das inzwischen auf die eigene Bevölkerung zurück. Die Kriminalität wächst, es gibt zahlreiche Berichte über Mord, Totschlag und Vergewaltigung durch Kriegsheimkehrer. Generell mangelt es in Russland an Psychologen, erst recht aber an solchen, die für Kriegstraumatisierte geeignet sind. Ein gewaltiges Problem, mit dem mutmasslich auch die Ukraine zu tun hat.
In Anbetracht der wahrscheinlich gewaltigen Menge traumatisierter Soldaten in Russland und der Ukraine muten die Zahlen in Deutschland vergleichsweise harmlos an. Doch wie schnell sich das ändern kann, darauf wies der evangelische Militärbischof Bernhard Felmberg am Dienstag an einer Veranstaltung in Berlin hin. Während der Vorstellung der Bundeswehr-Kampagne sagte er: «Möge es Gott verhüten, aber es könnte die Zeit kommen, in der die Belastungen der Soldaten ins Unermessliche steigen.»
Es ist anzunehmen, dass er damit einen Krieg in Europa meinte.