1986 waren Bruns Autos die schnellsten in der Sportwagen-WM. Doch als Teamchef in der Formel 1 verliess den Innerschweizer «Flipperkönig» das Glück.
Am Wochenende in Imola wird Walter Brun wieder einmal in die Formel 1 eintauchen. In jene Glamourwelt, die den bunten Vogel einst noch bekannter machte – aber auch in den finanziellen Ruin trieb. Am Rande des Grand Prix der Emilia-Romagna findet ein Treffen von Legenden des Motorsports statt.
Brun wollte zunächst fernbleiben. Doch ihm kam in den Sinn, dass er am Gardasee noch ein paar Kartons Valpolicella-Wein abholen muss. Und von da seien es ja nur noch knapp zweihundert Kilometer bis nach Imola, sagt Brun. Ein Klacks für einen, der einen schnittigen Jeep fährt.
Brun ist mit 82 Jahren umtriebig wie je. Er empfängt in seinem Restaurant Allmendhuisli in Stans, Nidwalden. Und sagt, er sei praktisch jeden Tag hier, Ferien mache er keine. «Arbeiten ist gesund, ich bin der Beweis dafür. Ich habe noch nie in meinem Leben eine Tablette geschluckt.» Wenn er einmal fort sei, schauten seine Lebenspartnerin und sein Sohn zum Rechten. Oder sein Schäferhund.
Das «Allmendhuisli» ist das, was man gerne eine «Büezerbeiz» nennt. Auf vielen Tellern liegt ein deftiges Stück Fleisch, das Menu mit Suppe und Salat gibt es für unter zwanzig Franken, und der Coupe zum Dessert ist mit einem gehörigen Schuss Amarettolikör übergossen. Der Chef ist mit allen Gästen per Du, auch mit einkehrenden SVP-Altbundesräten, für sie ist er ganz einfach «dr Walti». Der Parkplatz vor dem Haus ist bis auf den letzten Platz gefüllt.
Wurst-Käse-Salat am 24-Stunden-Rennen
Brun erzählt aus seinem Leben, das man, wie er es formuliert, «als nicht normal» bezeichnen darf. Er brachte es mit wenig zu Reichtum. Er handelte mit Champagner, kaufte Immobilien, betrieb Ausgehlokale und stellte überall seine Musik- und Spielautomaten auf. Sein Spitzname war «Flipperkönig».
Er häufte 20 Millionen Franken Schulden an, die er gemäss eigener Aussage beglichen hat. Er musste sich wegen angeblicher Beteiligung an einem Callgirl-Ring vor Gericht verantworten – und wurde in allen Hauptanklagepunkten freigesprochen. In der U-Haft sass er mit einem Strolch in der Zelle, der seine Automaten geknackt hatte. Brun, der Katholik, trat eine Weile mit zwei blonden Lebensgefährtinnen an seiner Seite auf. Er überlebte fürchterliche Unfälle. Doch vor allem prägte Brun den Schweizer Autorennsport wie kaum ein anderer.
Als Fahrer machte er sich einen Namen bei Berg- und Langstreckenrennen, allein an den berühmten «24 Stunden von Le Mans» nahm er vierzehn Mal teil, zuletzt im Alter von sechzig Jahren. Am liebsten fuhr er dort in der Nacht. Zu seinem Ritual in den Pausen wurde, dass er einen Wurst-Käse-Salat und ein Bier verdrückte.
Als Rennstallbesitzer gewann Brun 1986 die Teamwertung in der Sportwagen-WM. Stolz macht ihn, dass sich sein privates Unternehmen gegen Mannschaften durchsetzte, die eine grosse Marke im Hintergrund wussten. Brun hatte seine Autos zwar auch von Porsche, funktionierte aber eigenständig. Beim Bau des Chassis experimentierte er mit Kevlar anstelle von Aluminium. Und drei Jahre lang war er Teamchef in der Formel 1 – wobei sich dieses Engagement als Flop herausstellte.
Mit Peter Sauber schaffte es kurz nach ihm ein weiterer Schweizer auf diesem Posten in die Königsklasse. Er galt als nüchterner, kühl kalkulierender Saubermann. Brun war der Gegenentwurf dazu. Obschon häufig in Anzug und Krawatte unterwegs, haftete ihm etwas Verruchtes an, er suchte das Wagnis. «Im Vergleich mit Peter bin ich einfacher gestrickt», sagt Brun, «vielleicht bin ich deshalb etwas nahbarer.»
Der Tod des Supertalents Bellof
In einem Buch über Bruns Lebenswerk bezeichnet ihn der deutsche Journalist Eckhard Schimpf als «aufbrausend, grosszügig und unkonventionell». Zu seinem früheren Äusseren ist notiert: «Gross, schlank, mit pechschwarzen Haaren und einem hauchdünnen Oberlippenbärtchen hätte er in einen Seeräuberfilm gepasst oder in einen Western.» Mit seiner Erscheinung erinnerte Brun an den Schauspieler Errol Flynn.
Seine Zornausbrüche, schreibt Schimpf, seien gefürchtet gewesen. Und er habe sich durch unerschütterliches Selbstvertrauen ausgezeichnet, auch was seine Fahrkünste betroffen habe. Von Brun ist der Satz überliefert: «Ich bin der billigste, aber nicht der langsamste Brun-Pilot.» Gute Leistungen stützten diese Meinung. 1990 wäre er in Le Mans aufs Podest gestiegen, hätte nicht der Motor seines Autos kurz vor Schluss den Geist aufgegeben.
Schimpf erinnerte sich auch an die Weltmeisterparty von 1986 im Casino Luzern: «Der Champagner floss in Strömen, und irgendwann morgens warf Walti das weisse Dinnerjackett in die Ecke und hämmerte stundenlang auf dem Klavier herum: ‹When the Saints Go Marching In› und ‹New York, New York›.»
Die Feier war auch deshalb emotional, weil das Team in der Saison zuvor einen schweren Schock hatte verwinden müssen. Stefan Bellof, das bis dahin wohl grösste deutsche Rennfahrertalent der Nachkriegszeit, war mit einem Brun-Porsche im 1000-Kilometer-Rennen in Spa-Francorchamps tödlich verunglückt – auf Bruns Lieblingsstrecke. Bellof war mit Jacky Ickx kollidiert, nachdem sich die beiden zuvor im gleichen Team psychologisch bekriegt hatten.
Bis heute ranken sich Diskussionen um die Tragödie: Hat der aufstrebende Bellof zu viel riskiert? Oder hat ihm der routinierte Belgier Ickx, der als König von Spa galt, in der berüchtigten Eau-Rouge-Kurve zu wenig Platz gelassen?
Bellof wäre in der Saison danach für Ferrari in der Formel 1 angetreten. Walter Brun sagt: «Ich bin überzeugt, dass Michael Schumacher danach nicht so oft Weltmeister geworden wäre, wäre Stefan noch da gewesen.» Nach Bellofs Ableben gab Brun dessen Freundin einen Job in seinem Firmenimperium.
Das Glück, das Bellof fehlte, war Brun beschieden. Seinen heftigsten Unfall erlitt er 1983 auf der Nordschleife am Nürburgring, als sein aus Peter Saubers Werkstatt stammender Sportwagen mit 300 Kilometer pro Stunde abhob und 900 Meter auf dem Dach über die Strecke schlitterte. Niemand wollte ihn zunächst aus dem Wrack bergen, weil ihn alle für tot hielten. Dabei war er nur bewusstlos. Sieben Stunden später wachte er im Spital auf und war bereits wieder zu Spässen aufgelegt.
Eine Geschichte erzählt Brun besonders gern, um seinen Humor zu erklären: Einmal habe ihm ein Fahrerkollege tote Mäuse ins Bett gelegt. Was ihm, dem Bauernsohn, nichts habe anhaben können. Er habe sich seinerseits in einem Zoo lebende Mäuse besorgt, um sie ins Zimmer jenes Kollegen zu schleusen. Dessen Frau habe einen ordentlichen Schrecken gekriegt.
Mit einem Koffer voller Geld zu Ecclestone
Dass aus Walter Brun ein Tausendsassa mit Benzin im Blut würde, hatte sich abgezeichnet. Als Jugendlicher wurde er «der schnellste Entlebucher» genannt. Er fuhr bereits mit zwölf Jahren Auto und hatte den Schneid, direkt neben dem Polizeiposten zu parkieren. Die Mütter aus der Umgebung baten ihn, dem Temporausch auf der Rennstrecke zu frönen, seinetwegen müssten sie immer die Kinder ins Haus holen.
Bruns Eltern führten in Escholzmatt einen Bauernhof, eine Wirtschaft, eine Kegelbahn, ein Lädeli und eine Poststelle. Und Klein Walti musste mit anpacken. Eigentlich hätte er eine Karriere bei der Post einschlagen sollen. Doch das liess sich schlecht vereinbaren mit einer weiteren Leidenschaft: Brun spielte Tanzmusik, bis in die Morgenstunden, und schon wenig später sollte er jeweils wieder im Postbüro stehen.
Als er einmal auf dem Arbeitsweg wegen eines Sekundenschlafs verunfallte, hatte er genug. Zudem wollte er selbständig sein. «Ich lasse mich nicht gern herumkommandieren oder in ein Schema pressen», sagt Brun. Also baute er etwas Eigenes auf.
Brun hatte eine grosse Qualität: Er konnte Leute überzeugen. Und während die anderen schliefen, ging er seinen Geschäften nach. Seine einarmigen Banditen standen auch an der Zürcher Langstrasse. Zu den besten Zeiten hatte Brun rund 600 Leute, die auf irgendeine Art in seinen Diensten standen. Seine Firmen führte er von Stans aus. Für seine Aktivitäten im Motorsport unterhielt er Garagen in der Innerschweiz, in Süddeutschland, Italien, Japan und den USA.
Brun erwarb sich einen Ruf als geschickter Verhandler. Manchmal flog er mit der Concorde-Maschine, die später abstürzte, für einen Tag nach New York in der Hoffnung, Geldgeber zu akquirieren.
Als Investoren 1988 den Brabham-Rennstall erwarben, schickten sie Brun mit einem Koffer voller Banknoten zum gewieften Verkäufer Bernie Ecclestone. Als dieser dann zum Zampano der Formel 1 aufstieg, kam es zum nächsten Handel der zwei Alphatiere. Ein Sportwagen Bruns ging in Montreal in Flammen auf, weil sich auf der Piste ein Gullydeckel gelöst hatte. Und gleichenorts stand in der Königsklasse der Grand Prix von Kanada an. Brun stellte die Sicherheit des Formel-1-Rennens infrage. Und forderte von Ecclestone eine Million Franken, damit sein Schaden beglichen sei. Der Brite soll eingelenkt haben.
Wenn sich ein Fahrer für ein Cockpit einkaufen wollte, aber nicht pünktlich bezahlte, kannte Brun kein Pardon, auch nicht beim Sohn des Schauspielers Jean-Paul Belmondo. Brun war es egal, dass er damit die französischen Medien in Aufruhr versetzte.
Doch wieso ging das Abenteuer in der Formel 1 schief?
Null Punkte in der Königsklasse
Brun sagt, berauscht vom Sportwagen-WM-Titel, hätten seine Sponsoren auf die nächsthöhere Stufe gedrängt, unter ihnen die Firma, die den Jägermeister-Schnaps herstellt. Er habe es probieren wollen. Aber er konnte für sein EuroBrun Racing Team weder genug Geld noch einen guten Motor auftreiben. Im Herbst 1990, zum Ende der dritten Saison, gab er auf – ohne dass seine Fahrer einen WM-Punkt errungen hatten. Für das beste Resultat war Stefano Modena 1988 mit Rang elf in Ungarn besorgt.
Erfolge waren höchstens die medienwirksamen Inszenierungen: wie Brun den Rennwagen in Luzern für ein Fotoshooting vor dem Château Gütsch positionierte oder wie er den Vertrag mit dem Zürcher Piloten Gregor Foitek in der TV-Sendung «Sportpanorama» unterzeichnete.
In der Sendung «Time Out» musste Brun dann desillusioniert den Vergleich ziehen: «Wir haben ein Jahresbudget von 5 Millionen Franken und ein Auto mit 570 PS, Konkurrenten haben 100 Millionen und fast 700 PS.»
Brun sprach damals lange von einer erheblichen Finanzspritze aus dem arabischen Raum, die ihm versprochen sei; aber das Geld ist nie eingetroffen. Wegbegleiter sagten, Brun habe zu sehr an den Sportwagen gehangen und sich zu wenig um das Formel-1-Projekt gekümmert. In der Königsklasse sei er den falschen Ratschlägen gefolgt. Und zu optimistisch gewesen.
Um entstandene Verbindlichkeiten zu begleichen, veräusserte Brun Rennautos, Häuser und Weine (darunter einen Château Mouton Rothschild aus dem Jahr 1897). Er gab sich trotzdem gelassen: «Wegen eines Absturzes geht die Welt nicht unter.» Und begann als Geschäftsmann noch einmal von vorn.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten führt Brun das «Allmendhuisli». Er stellt immer noch Automaten auf, obwohl er dafür unterdessen wegen Verschärfungen im Geldspielgesetz härter kämpfen muss. «Und seit 55 Jahren bin ich glücklich geschieden.»
Heute sei er mit sich im Reinen, sagt Brun, «auch wenn meine Rennautos unterdessen den siebenfachen Wert vom damaligen Verkaufspreis hätten». Er schwimmt regelmässig, etwas, was er als junger Mann nicht gelernt hatte, «wir hatten ja im Entlebuch keinen See». Und einmal wöchentlich hat er einen Auftritt mit den Swinging Boys, einem Trio, das volkstümliche Musik und Evergreens spielt, mit Brun am Saxofon. Einer ihrer Songs: «Muesch doch hüt nöd truurig si». Brun war nie ein Kind von Traurigkeit.
Und was ist sein Lieblingslied? Sich an den Welthit der Blue Diamonds erinnernd, antwortet der alte Playboy wie aus der Pistole geschossen: «Ramona!»