Chun In Bum erklärt, wie die Staatskrise in Südkorea die geopolitische Lage in Asien destabilisiert – und welche Auswirkungen sie auf das Militär hat.
Südkorea befindet sich in einer schweren politischen Krise, nachdem Präsident Yoon Suk Yeol Anfang Dezember überraschend das Kriegsrecht verhängt hatte. Das Parlament hat inzwischen beschlossen, den Präsidenten des Amtes zu entheben, doch das Land könnte vor weiteren Verwerfungen stehen. Bisher hat sich Yoon unkooperativ gezeigt. Er folgte auch der zweiten Vorladung der Staatsanwalt nicht, die gegen den nun suspendierten Präsidenten ermittelt.
Der frühere Generalleutnant Chun In Bum beobachtet das Geschehen in seinem Land. Er wurde für Einsätze im Irak und in Afghanistan ausgezeichnet und leitete das südkoreanische Special Warfare Command. Chun sagt, die Krise offenbare tieferliegende Probleme in der südkoreanischen Demokratie.
Die politische Instabilität Südkoreas hat auch geopolitische Folgen: Sie belastet das Bündnis mit den USA und gefährdet die von Yoon vorangetriebene Verbesserung der Beziehungen zu Japan. Gleichzeitig werden China, Nordkorea und Russland die Unsicherheit zu nutzen versuchen.
Herr Generalleutnant Chun, das südkoreanische Parlament will Präsident Yoon Suk Yeol wegen der Verhängung des Kriegsrechts anklagen. Wird dieser Schritt die Spannungen beruhigen?
Wenn er die Anklage oder die damit verbundenen Vorwürfe nicht akzeptiert, was er anscheinend nicht tun wird, ist das eine echte Gefahr. Er wird versuchen, seine Unterstützer zu mobilisieren, die vielleicht zehn bis fünfzehn Prozent der Bevölkerung ausmachen. Dies könnte zu einer längeren Phase des Chaos und der Verwirrung in Südkorea führen.
Wo waren Sie eigentlich, als Yoon Suk Yeol das Kriegsrecht verkündete?
Es war am 3. Dezember gegen 22 Uhr 20, ich war zu Hause und las. Ich lasse immer den Nachrichtensender eingeschaltet. Er war wie immer stumm geschaltet, und plötzlich konnte ich sehen, dass dort Kriegsrecht stand. Ich konnte es nicht glauben.
Wie würden Sie Ihre ersten Gefühle und Gedanken beschreiben?
Es war eine Mischung aus Überraschung, Schock und Angst. Ich habe schon einmal in einer Diktatur gelebt und wusste, was das für Korea bedeuten könnte. Ich hatte Angst um das koreanische Volk.
Wie bewerten Sie das Verhalten des Militärs?
Die Soldaten haben sich wie Soldaten verhalten. Sie hatten einen Auftrag erhalten und befolgten die Befehle, aber die Befehle waren so vage und schlecht vorbereitet, dass sie nicht wussten, was sie tun sollten. Da sie nicht wussten, was sie tun sollten, handelten sie instinktiv, setzten ihre Waffen nicht ein, sondern taten das, was sie als ihre übergeordnete Aufgabe betrachteten, nämlich die Zivilbevölkerung zu schützen. Sie hielten sich also zurück.
Und ihre Befehlshaber?
Die meisten von ihnen wurden erst ein paar Stunden vor der Mission von der militärischen Führungsspitze informiert. Ihnen wurde befohlen, zur Nationalversammlung zu gehen, sie zu besetzen und niemanden hineinzulassen. Sie dachten wahrscheinlich, dass nachts niemand dort sein würde. Stattdessen waren dort Hunderte von Zivilisten und Politikern. Sie begannen also, Fragen zu stellen, und zögerten, ihre Mission aktiv fortzusetzen. Politiker konnten daher in das Gebäude gelangen. Das gab dem Verfassungssystem die Möglichkeit zu funktionieren. Das besagt, dass der Präsident das Kriegsrecht aufheben muss, wenn die Nationalversammlung dagegen stimmt. Und genau das ist passiert.
Welche Auswirkungen wird die Krise auf das Militär haben?
Die vorherrschenden Kräfte kamen von unseren Spezialeinheiten. Diese Männer sind Profis, keine Wehrpflichtigen. Ihre Moral, die Würde und die Ehre der Spezialeinheiten wurden beschädigt. Die Hälfte ihrer Kommandeure wurde inzwischen suspendiert, verhaftet, oder es wird gegen sie ermittelt. Zu allem Überfluss haben einige dieser Kommandeure in der Öffentlichkeit geweint. Das macht keinen guten Eindruck.
Hat dies auch Auswirkungen auf die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte im Falle eines Notfalls an der Grenze zu Nordkorea?
Ich denke, sie halten die Stellung. Die Armee selbst, die für den Schutz der Grenzen zu Nordkorea verantwortlich ist, scheint sich sehr auf ihre Mission zu konzentrieren. Ausserdem scheint Nordkorea sich Zeit zu nehmen, um herauszufinden, was hier vor sich geht. Die dortige Führung hält sich bis jetzt bedeckt.
Südkorea steht vor einer mühsamen innenpolitischen Aufarbeitung der Staatskrise.
Südkorea hatte also Glück, dass das Militär Präsident Yoon nicht voll unterstützt hat. Aber war die Erklärung gerechtfertigt, wie Präsident Yoon immer noch behauptet?
Das ist eine heikle Frage. Obwohl dies die elfte Verhängung des Kriegsrechts in der koreanischen Geschichte ist, liegt das letzte Mal 45 Jahre zurück. Zu dieser Zeit gab es in Korea viele soziale Unruhen. Gibt es jetzt soziale Unruhe? Ja. Sind sie mit Gewalt verbunden? Nein. Leben wir in einer Diktatur? Nein. Können wir also unter demokratischen Grundsätzen das Kriegsrecht verhängen? Das ist wirklich eine Grenzüberschreitung.
Was waren dann die Gründe für diese Eskalation?
Wir Koreaner müssen tief in uns gehen. Es geht nicht nur um einen dummen Präsidenten, mit unserem System stimmt etwas nicht. Wir erleben eine scharfe Spaltung, in der keine Seite mehr Kompromisse sucht. Die Opposition ist sicher nicht unschuldig.
Können Sie das erläutern?
Stimmt es, dass die oppositionelle Demokratische Partei mit ihrer Mehrheit in der Nationalversammlung einseitige Massnahmen ergreift, um die Regierung zu blockieren, wie Präsident Yoon meint? Ja, es stimmt. Das grenzt an eine Diktatur. Statt den Dialog zu suchen, haben sie Yoon seit ihrem Sieg bei den Parlamentswahlen im April zunehmend blockiert, 24 Amtsenthebungsverfahren gegen Regierungsmitglieder angestrengt und kurz vor Yoons Putschversuch sogar einen abgespeckten Haushalt ohne Gespräche mit der Regierung durchgedrückt. Aber das ist kein Grund, das Kriegsrecht zu verhängen. Man löst keine politischen Probleme mit militärischen Mitteln.
Präsident Yoon hatte nicht einmal den Oberkommandierenden der US-Streitkräfte in Südkorea informiert, dass er das Kriegsrecht ausrufen werde. Was bedeutet das für das Bündnis mit den USA?
Das Bündnis wird dadurch mit Sicherheit belastet werden. Wir werden das Vertrauen, das wir hatten, wieder aufbauen müssen. Eine der Herausforderungen besteht darin, dass wir möglicherweise eine neue Regierung unter der Führung von Donald Trump haben, die einer südkoreanischen Regierung unter der Führung von Progressiven gegenübersteht. Die haben einige wirklich verrückte Ideen, die ich absolut ablehne.
Können Sie Beispiele für diese Ideen nennen?
Sie denken, es ist besser, rot zu sein als tot. Ich wäre lieber tot als rot. Es könnte also zu einem Konflikt dieser Werte kommen.
Aber beim letzten Mal haben sich der progressive Präsident Moon und Präsident Trump doch relativ gut verstanden, oder nicht?
Sie haben nur nicht öffentlich gestritten.
Ein weiteres geopolitisch wichtiges Thema ist das Verhältnis zwischen Japan und Korea. Yoon hatte den Streit über Japans Eroberungsgeschichte nach hinten gedrängt, um die Beziehungen zu verbessern.
Die Verbesserung der Beziehungen zwischen Korea und den USA sowie zwischen Korea und Japan, insbesondere die trilaterale Zusammenarbeit der drei Länder, ist eine Initiative Yoons, die ich wirklich unterstütze. Das stärkt die Position Südkoreas in Asien. Ich bin besorgt, dass insbesondere die Beziehung zwischen Korea und Japan durch diesen ganzen Vorfall Schaden nehmen wird.
Warum?
Ein progressiver Präsident könnte versuchen, die Beziehungen zu untergraben, wie es Yoons Vorgänger Moon getan hat. Allerdings hätten die Japaner viel mehr tun können, um Yoon zu helfen. Er musste für seine Annäherung an Japan viel einstecken, bekam aber nicht viel dafür. Warum lagen seine Zustimmungswerte vor der aktuellen Krise bei etwa zwanzig Prozent? Ein wichtiger Grund dafür war, dass viele Menschen dachten, er habe sich einseitig Japan unterworfen. Wenn er solche Rückschläge einstecken kann, warum können dann japanische Politiker nicht vermeiden, den Yasukuni-Schrein zu besuchen?
Was hat ein Schrein mit Politik zu tun?
Für viele ist er ein Symbol des japanischen Imperialismus, weil er die Seelen der gefallenen Soldaten aller japanischen Kriege seit Beginn der Modernisierung beherbergt, unter ihnen auch einige, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Kriegsverbrecher verurteilt wurden. Wenn ich ein toter japanischer Soldat wäre, der in Yasukuni ruht, hätte ich meinen Söhnen und Enkeln gesagt: «Schaut, es ist okay. Ihr müsst dieses Jahr oder die nächsten Jahre nicht kommen, wenn es für die Zukunft eurer Enkel ist.»
Wie sehen Sie die Zukunft der innerkoreanischen Beziehungen und die Auswirkungen auf Ostasien?
Wir machen uns Sorgen um Nordkorea und China sowie in geringerem Masse um Russland. Wir Koreaner werden in den nächsten sechs bis zwölf Monaten eine gefährliche Zeit durchleben. Wenn die Progressiven wieder an die Macht kommen, weiss ich nicht, was passieren wird. Aber die Koreaner haben die letzten 5000 Jahre überlebt, und hoffentlich überleben wir auch dieses Mal. Allerdings bietet diese Instabilität nicht nur unseren Feinden Chancen, sondern auch unseren Freunden.
Wie meinen Sie das?
Unsere Freunde müssen erkennen, dass es in ihrem Interesse liegt, ein gesundes Korea zu haben – Japan ganz sicher, Deutschland ganz sicher und auch andere europäische Länder sowie die Vereinigten Staaten.
Wie können Deutschland und Europa in dieser Situation helfen?
Wir sind eine Demokratie im Aufbau. Geben Sie uns eine Chance, und versuchen Sie, mehr über uns zu erfahren. Ich glaube nicht, dass wir jetzt schon deutsche Leopard-Panzer brauchen, aber wir brauchen auf jeden Fall mehr Europäer, die etwas über Korea, Japan, China, Taiwan und den Rest Asiens verstehen und uns politisch unterstützen. Wenn man die Probleme in dieser Region zusammenzählt, wird einem klar, dass dies hier Probleme für die Welt sind – und für Europa.








