Gelernt hat Schifrin bei Daniel Barenboims Vater, später schuf er Musik für Klavier und Big Band. Dann ging er nach Hollywood. Nun ist er im Alter von 93 Jahren verstorben.
Lalo Schifrin akzeptierte keine musikalischen Grenzen. Das war die Voraussetzung für seinen Erfolg als Komponist in Hollywood. Früh schon war er ein grosser Kinofan. Aber dabei konzentrierte er sich auf den Sound nicht weniger als auf die Bilder. Oft schaute er einen Film mehrfach, nur damit er die Musik nochmals hören konnte. Er begann sich bald die Namen seiner liebsten Filmkomponisten zu merken: Bernard Herrmann, Max Steiner, Franz Waxman.
Geboren wurde Boris Claudio «Lalo» Schifrin am 21. Juni 1932 in Buenos Aires, wo sein Vater als Konzertmeister beim Philharmonischen Orchester agierte. Als Kind genoss Lalo Klavierunterricht bei Daniel Barenboims Vater. Die musikalischen Studien führte er später mit dem Komponisten Juan Carlos Paz weiter, einem Schönberg-Schüler, der ihn in die Arbeiten von Anton Webern und Alban Berg einführte.
Jazz und Klassik
Mit 20 Jahren bekam Lalo Schifrin ein Stipendium zugesprochen, welches es ihm erlaubte, im Konservatorium von Paris unter Charles Koechlin und Olivier Messiaen Komposition, Arrangement und Klavier zu studieren. Froh, dem diktatorischen Klima unter Präsident Juan Perón zu entkommen, genoss er die Freiheiten seiner neuen Umgebung in vollen Zügen. Die Tage verbrachte er im Konservatorium, abends tummelte er sich in den Jazzklubs: «Die Jazzleute hielten die Klassikleute für altmodisch, die Klassikleute meinten, Jazz sei keine rechte Musik», erzählte er später. «Die Antipathie habe ich nie verstanden. Gute Musik ist gute Musik.»
Das Heimweh, der Sturz von Perón und ein Angebot, die staatliche Radio- und TV-Big-Band zu führen, lockten Schifrin vier Jahre später in die Heimat zurück. Anlässlich eines Dinners zu Ehren des Jazztrompeters Dizzy Gillespie zeigte sich dieser so beeindruckt vom Auftritt der argentinischen Band und insbesondere des Bandleaders, dass er Schifrin spontan aufforderte, ihm nach Amerika zu folgen.
Zwei Jahre dauerte es, bis das Visum für die Reise nach New York organisiert war. Mit «Gillespiana», einer von Schifrin komponierten Suite für Trompete und Blasorchester, trug die Zusammenarbeit bald Früchte. Das Album erschien Ende 1960 und wurde zum Bestseller. Damit war Schifrins Ruf als Arrangeur und Pianist auch in den USA gesichert.
Während der nächsten fünf Jahre spielte Schifrin in diversen Gillespie-Formationen, fand aber auch Zeit, als Pianist, Komponist oder Dirigent neue Alben, unter anderem mit Count Basie, Stan Getz, Quincy Jones, Eddie Harris, Eric Dolphy und Jimmy Smith, aufzunehmen. Dann zog er nach Hollywood.
Die Motivation war künstlerischer Art. Es war ihm aufgefallen, dass Filmmusiker wie Henry Mancini und André Previn Jazz und Klassik auf ähnliche Weise kombinierten wie er. Schon mit «Cincinnati Kid» (1965) gelang ihm ein stilbildender Wurf, der ihn als Meister seines Faches etablierte. Für die Titelmelodie vereinte er Ray Charles mit einem jazzig angehauchten Symphonieorchester. Ein Hahnenkampf wurde von einer dissonanten Karambolage von Bluegrass-Banjo und Orchester untermalt. Es folgten weitere gewichtige Scores für «Dirty Harry», «Cool Hand Luke» und «Enter the Dragon».
Radikale Experimente und zarte Saiten
«Jeder Film sollte einen Sound haben, und jeder Film braucht einen Rhythmus», sagte Schifrin. «Es ist die Mission des Komponisten, diesen Sound und diesen Rhythmus zu finden.» Schifrin profitierte enorm von der Aufbruchstimmung in den sechziger und siebziger Jahren. Das Kinopublikum liess sich nun von Dissonanzen und eigenartigen Rhythmen nicht mehr erschrecken. Sein wohl radikalstes Experiment im Bereich von Atonalität ist der grossartige Soundtrack von «The Amityville Horror» (1979). Dass er aber auch zarte Saiten aufziehen konnte, hatte er mit der kammermusikhaften Untermalung von «The Fox» (1967) gezeigt.
Weit über einhundert Soundtracks hat Lalo Schifrin komponiert. Nicht zuletzt stammt von ihm die Titelmelodie zu «Mission: Impossible». Das Stück im Fünfvierteltakt, das dank den Filmen mit Tom Cruise berühmt geworden ist, kreierte Schifrin allerdings schon 1966 für die gleichnamige TV-Serie. Zu seinen interessantesten Spätwerken gehören die Musik für den Film «The Bridge of San Luis Rey» mit Robert De Niro, wo er sich mit der peruanischen Musik des 17. Jahrhunderts auseinandersetzte, und «Tango» von Carlos Saura. Vier Grammys hat Schifrin gewonnen, 2018 wurde ihm für sein Lebenswerk überdies ein Ehren-Oscar überreicht.
Soundtrack für Kino und Fernsehen bildeten indes nur einen Teil seines kreativen Lebens. Daneben nahm er bis ins Alter Kommissionen für Jazzkompositionen und klassische Werke an und zeichnete für unzählige Orchester-Arrangements verantwortlich, etwa für die Auftritte der Drei Tenöre.
In West Hollywood wohnte er mit seiner Frau Donna in einer Villa, die früher Groucho Marx gehört hatte. Umgeben von seiner legendären Sammlung von Tabakpfeifen, schrieb er seine Musik an einem Stehtisch in einem Pavillon in seinem Garten. Am 26. Juni ist Lalo Schifrin 93-jährig gestorben.