Der Puy du Fou ist ein riesiger Besuchermagnet – und feiert eine Vergangenheit ohne Muslime, Protestanten und Napoleon.
Die Römerarena bebt. Tausende fiebern mit der Gallierin Soline und ihrem Beschützer mit, dem Zenturio Damien. Beide sind Christen, beiden droht der Märtyrertod. Der heidnische Gouverneur, der Christen hasst, hat Damien vor schwere Prüfungen gestellt. Wird der Held sie bestehen? Und dadurch seine Geliebte Soline und weitere Glaubensgenossen retten?
Willkommen im Puy du Fou, einem Erlebnispark in der Vendée im Westen Frankreichs. Mehr als zwei Millionen Menschen pilgern Jahr für Jahr hierher, nur Disneyland in Paris zieht von den französischen Freizeitparks noch mehr Besucher an. Dass der Park dennoch ausserhalb des Landes kaum bekannt ist, liegt an seinem Programm: Er richtet sich vorwiegend an den Stolz der Einheimischen. Und überwältigt sie mit spektakulären Shows.
Ein Wunder rettet die Christen
In der Römerarena mit ihren 7000 Plätzen wähnt man sich in einem Sandalenfilm aus den fünfziger Jahren. Damien muss, ganz Ben Hur, mit einem Streitwagen ein Rennen gegen drei andere Viergespanne gewinnen – und vier Gladiatoren besiegen. Aus der Insel in der Mitte des Stadions wird plötzlich eine Galeere, die sich dreht und von der aus Legionäre brennende Pfeile auf die Christen schiessen.
Aber deren Gebete werden erhört. Gott schickt ein Wunder, Wasserfontänen löschen die Feuer. Die Römer ergeben sich, und der gestürzte Gouverneur rennt in Unterhosen durch die Arena, unter dem Gejohle des Publikums.
In der Show, die im 4. Jahrhundert nach Christus angesiedelt ist, wimmelt es von historischen Fehlern und Klischees. Die Gallier tragen zottelige Kleider, Pelze und Schnurrbärte, als ob sie einem Asterix-Buch entstiegen wären. Dabei waren sie zu diesem Zeitpunkt längst romanisiert und glatt rasiert. Auch das Stadion ist architektonisch eine reine Fiktion, eine Mischung aus Amphitheater und römischem Zirkus.
Der «Park der Fälschung»
Aber es sind nicht diese Mängel, die dafür sorgen, dass es bisweilen laute Kritik am Puy du Fou gibt. Es geht dabei vielmehr um das Geschichtsbild, das der Park vermittelt. Besonders genau seziert haben es vier Historiker. Die Experten für unterschiedliche historische Epochen besuchten den Puy du Fou und schrieben darüber 2022 ein vielbeachtetes Buch. Es heisst nicht «Puy du Fou», Hügel der Rotbuche. Sondern «Puy du Faux», Hügel der Fälschung.
Die Historiker werfen den Parkgründern vor, die Vergangenheit absichtlich zu verfälschen und für politische Zwecke zu instrumentalisieren. Transportiert werde das Geschichtsbild der extremen Rechten, nämlich die Betonung eines Frankreich als heilige katholische Nation, deren Wurzeln 1700 Jahre zurückreichten.
Das christliche Motiv taucht in den verschiedensten Darbietungen auf, auch da, wo es vom Storytelling her überhaupt nicht nötig wäre. Berserker in schwarzen Gewändern greifen im Freiluftspektakel «Les Vikings» die frommen und fröhlichen Bewohner eines Dorfes an. Doch als ein toter Bischof aus seinem Sarg steigt, werfen sie die Waffen weg und geloben, von nun an immer friedfertig zu sein.
In einer aufwendig gemachten Anlage erleben die Besucher die fürchterliche Realität in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs. Der Boden in den engen Gängen zittert, der Gefechtslärm tobt, verletzte Soldaten schreien bei der Amputation. Doch die Schlussszene zeigt ausgerechnet den «Weihnachtsfrieden» von 1914, als an manchen Frontabschnitten für kurze Zeit die Waffen schwiegen. «Stille Nacht» erklingt, ein deutscher und ein französischer Soldat reichen sich die Hand. Wieder ein Wunder, Gott sei Dank!
Besonders plakativ nimmt die Show über Chlodwig I. das Thema auf. Der König aus der Dynastie der Merowinger gilt als Gründer des christlichen Frankenreichs, zu dessen Hauptstadt er Paris machte. Geboren wurde er im Jahr 466 n. Chr. als Heide. Diese Phase seines Lebens wird im Spektakel dargestellt durch einen düsteren Raum mit keltischen Kulten, Skeletten, Blut, Feuer, Schreien. Es ist die Hölle, das Verderben.
Und aus dieser rettet sich Chlodwig ins Licht, mit seiner Bekehrung. Auf dem Wasservorhang, der sein Taufbecken umgibt, tauchen Lilien auf, obwohl diese erst 600 Jahre später zum Symbol der französischen Könige wurde. Es ist die Inszenierung von Chlodwigs Konversion als Geburtsstunde des heutigen Frankreich. Die Idee einer französischen Nation entstand laut Mediävisten indes erst im Hoch- und im Spätmittelalter.
Die Verführungskraft der nationalen Mythen
Der Puy du Fou steht in der Tradition des «roman national», der eine imaginierte Kontinuität von Vercingetorix über Karl den Grossen bis zu Louis XVI herstellt. Diese Geschichtserzählung von grossen Figuren kam im 19. Jahrhundert auf und diente mit ihrer grossen Verführungskraft dem Ziel, den nationalen Zusammenhalt zu fördern – ähnlich wie der Mythos der Abwehrschlacht gegen die Habsburger in der Eidgenossenschaft.
Dass dieses konservative Narrativ im Puy du Fou auf raffinierte Art allgegenwärtig ist, hat viel mit dem Mastermind des Parks zu tun. Philippe de Villiers, 75 Jahre alt, ist eine schillernde Figur. Er hat adlige Vorfahren, sass lange Jahre in der Nationalversammlung und im Europäischen Parlament, kandidierte zweimal für die Präsidentschaft und gründete seine eigene Partei, das Mouvement pour la France.
Vor allem aber inszeniert sich de Villiers als Kämpfer für seine Heimat. Die Vendée taucht in den französischen Geschichtsbüchern wegen der Bürgerkriege nach der Revolution von 1789 auf. Die königstreuen Bauern erhoben sich, die Republikaner schlugen die Aufstände blutig nieder. Obwohl diese Ereignisse mehr als 200 Jahre zurückliegen, ist das kollektive Trauma in der Vendée immer noch präsent.
Grossspektakel als Kern des Parks
1977 setzte sich der junge Philippe de Villiers dafür ein, dass das Departement Vendée die Ruinen des Renaissanceschlosses auf dem Puy du Fou kaufte, das Revolutionäre 1794 niedergebrannt hatten. De Villiers nutzt die Kulisse des Schlosses seither für das nächtliche Spektakel «Cinéscénie». Dieses erzählt mithilfe von mehreren tausend Laienschauspielern die fiktive Geschichte einer Familie aus der Vendée im Lauf der Jahrhunderte.
Um diesen Kern herum entstand ab 1989 der Park. Dort ist eines der aufwendigsten Spektakel ebenfalls dem Krieg in der Vendée gewidmet. Die 2400 Zuschauer sitzen in einem kreisrunden Theater. Die Tribüne dreht sich um die eigene Achse und ermöglicht dadurch den Blick auf die verschiedenen Akte – Hightech im Dienst der Geschichtsklitterung.
In der Show sind die Bannerträger der Revolution das personifizierte Böse. Sie schreien: «Wir müssen die rebellische Rasse ausrotten, die Vendée entvölkern.» Später sieht man ein Mädchen vor den Ruinen einer Kirche. Es erzählt, die Republikaner hätten ihre ganze Familie und den Rest der Dorfbevölkerung in der Kirche eingesperrt und diese dann niedergebrannt.
Diese Szene ist eine bewusste Anspielung auf das Massaker der SS an der Bevölkerung von Oradour-sur-Glane im Jahr 1944. Nazimörder und Revolutionäre: Es ist offenbar einerlei. Zwar wurde der Krieg in der Vendée äusserst brutal geführt, er forderte bis zu 250 000 Todesopfer. Doch dass es sich dabei um einen Genozid gehandelt hat, wie de Villiers behauptet, bestreiten die meisten Historiker.
Heile Welt
Der Puy du Fou feiert in den verschiedensten Facetten die vormoderne Dorfgemeinschaft, in der ritterliche Werte dominieren, in der es eine Personalunion von König und Nation gibt. Die noch unberührt ist von den Zumutungen der Industrialisierung und der Globalisierung. Doch finstere Eindringlinge gefährden diese heile Welt.
Hier sind es zwar Römer, alamannische Heiden, Wikinger, Engländer (im Spektakel zu Jeanne d’Arc), Pariser Revolutionäre. Aber unschwer ist darin eine Metapher für die Kräfte zu erkennen, die heute angeblich das gute alte katholische Frankreich bedrohen: Muslime, Laizisten oder Liberale. Philippe de Villiers hat immer wieder vor einer «Islamisierung» des Landes gewarnt. 2021 trat er, nach der Auflösung seiner eigenen Bewegung, der rechtsextremen Partei Reconquête von Éric Zemmour bei.
Das Fehlen der Muslime, die heute gegen zehn Prozent der französischen Bevölkerung stellen, lässt sich noch damit begründen, dass ihre Einwanderung ein relativ junges Phänomen ist und damit kaum ein Thema für einen historischen Erlebnispark. Selbst die Konfrontationen mit dem Islam während der Kreuzzüge, einer Epoche mit starker französischer Beteiligung, werden im Puy du Fou nur angedeutet. Doch auch Juden und Protestanten sind hier inexistent. Dies, obwohl sie die Geschichte Frankreichs geprägt haben – die Vendée war sogar eine Hochburg der Reformation.
Napoleon taugt nicht zum Idol
Ebenso wenig tauchen natürlich die dunklen Episoden der französischen Geschichte im Puy du Fou auf: die Niederlage im Krieg gegen Deutschland 1871, der rasche Zusammenbruch der Front gegen die NS-Truppen 1940 und die Kollaboration des Vichy-Regimes, die Kriege in Indochina oder Algerien. Und auch Napoleon, der zur Kirche ein kompliziertes Verhältnis hatte und den der Papst 1809 exkommunizierte, taugt offensichtlich nicht zum Heroen eines katholischen Frankreich.
Als zweites ideales Zeitalter neben dem Mittelalter wird den Besuchern des Parks das 17. Jahrhundert präsentiert, die Ära des Sonnenkönigs. Beim grossen Wasserspektakel erklingt die barocke Musik der «grössten Künstler Frankreichs». Nach 1700 kam offenbar nichts mehr Brauchbares, kein Émile Zola ist eine Erwähnung wert, kein Victor Hugo, kein Jules Verne. Und auch für die Philosophen der Aufklärung ist im Puy du Fou kein Platz, schliesslich haben ihre Ideen den Weg zur Revolution gebahnt.
Das Volk ist begeistert
Der Puy du Fou und seine immer neuen Besucherrekorde sind Ausdruck einer Entwicklung, die um die Jahrtausendwende begann. In Teilen der französischen Gesellschaft hat sich seither die Sehnsucht nach einer diffusen goldenen Vergangenheit ausgebreitet. Die Monarchie will zwar nur ein versprengtes Grüppchen von Royalisten ernsthaft zurück. Doch viel stärkere politische Kräfte profitieren von der Nostalgiewelle. Und tun alles, damit sie nicht abebbt.
Die Galionsfigur des Rassemblement national, Marine Le Pen, hat auch dank dem Rückgriff auf das reaktionäre Geschichtsbild realistische Aussichten, 2027 französische Präsidentin zu werden. Die Europawahlen gewann sie triumphal und bei der französischen Parlamentswahl legte ihre Partei stark zu – auch wenn sie das Ziel einer absoluten Mehrheit deutlich verpasste. Mittlerweile haben die politische Mitte und die Linke gemerkt, wie sehr die Instrumentalisierung der Vergangenheit den Konservativen nützt. Entsprechend ist die Kritik am Puy du Fou oder an pseudowissenschaftlichen historischen Sendungen auf dem rechten TV-Sender CNews in den letzten Jahren lauter geworden. CNews gehört dem Unternehmer Vincent Bolloré, der sein Medienimperium in den Dienst einer konservativen Wende stellt.
Das Publikum im Park scheint die Polemik nicht zu kümmern. Es besteht hauptsächlich aus weissen Franzosen, man sieht auf dem riesigen Areal kaum schwarze Menschen oder Frauen mit Kopftuch. Und das Publikum ist begeistert, wie die Rezensionen auf Tripadvisor (4,5 von 5 Sternen) und Google Maps (4,8 Sterne) und die Kommentare zeigen: «unglaublich», «umwerfend», «traumhaft». Nur ganz wenige Besucher stören sich an der penetranten Präsenz christlicher Motive und der konservativen Schlagseite.
Philippe de Villiers weist den Vorwurf, er betreibe Propaganda, stets weit von sich. Ja, sein Park nehme sich gewisse Freiheiten – aber nur, um das Vergnügen für die Besucher noch grösser zu machen. Oder wie es in einer offiziellen Stellungnahme heisst: «Der Puy du Fou hat nie vorgegeben, die Arbeit von Historikern zu leisten. Er bietet einfach spektakuläre historische Romanzen, die eine poetische Reise ins Frankreich der Vergangenheit ermöglichen.» Dafür bediene man sich bei der kollektiven Vorstellungswelt und vermische Legenden und Realität.
Indoktrinierte Jugend
Sie wollten gewiss keine Spielverderber sein, versichern die kritischen Historiker: Geschichte dürfe und solle Spass machen. Aber die Vergangenheit mit politischen Hintergedanken zu deformieren, das sei nicht akzeptabel. Zumal der Park einen pädagogischen Anspruch hat, zahlreiche Kinderbücher publiziert und von vielen Schulklassen besucht wird.
Die Historiker beklagen, die Schüler würden hier mit Klischees überschüttet und lernten nichts. Nichts zu den Hintergründen des Ersten Weltkriegs, nichts zur Vorgeschichte und zu den Folgen der Revolution von 1789. «Was für eine schreckliche Verschwendung von so viel Geld und Talent!», schreiben die Autoren von «Le Puy du Faux» – und machen auch vier Vorschläge für Shows, die Spektakel und Wissenschaftlichkeit vereinen würden.
Der Park rühmt sich zwar, dass er keine staatlichen Subventionen erhalte. Aber die Verbindungen zur Macht sind schon lange eng. 1987 besuchte Jacques Chirac als Premierminister den Puy du Fou. 2016, ein Jahr vor seiner Wahl zum Staatspräsidenten, war auch Emmanuel Macron da. Der damalige Wirtschaftsminister einer linken Regierung liess sich durch die Römerarena kutschieren und sorgte mit dem Satz «Ich bin kein Sozialist» für Aufsehen.
Dass der Puy du Fou im ersten Corona-Sommer 2020 sein «Cinéscénie»-Spektakel vor 9000 Zuschauern durchführen durfte, obwohl eigentlich eine Obergrenze von 5000 Zuschauern galt, sei eine Gefälligkeit von Macron für seinen Kumpel de Villiers gewesen, murrten linke Oppositionspolitiker. Der Staatschef dementierte, etwas damit zu tun zu haben.
Expansion nach Spanien
Mittlerweile hat Philippe de Villiers› Sohn Nicolas die Führung des Parks übernommen. Und er denkt auf seiner Mission noch grösser als sein Vater. 2021 expandierte der Puy du Fou nach Toledo: El Cid statt Jeanne d’Arc. 2023 kam der Puy-du-Fou-Film «Vaincre ou mourir» (Siegen oder Sterben) in die Kinos. Die Adaption der Geschichte des Vendée-Kämpfers François Charette für die Leinwand zog trotz Verrissen durch Filmkritiker und Historiker – oder gerade deswegen – fast 300 000 Zuschauer an. Und seit kurzem können begüterte Geschichtsfans in einem Belle-Époque-Zug sechs Tage lang auf einer «Grand Tour» durch das Land tuckern.
Für mindestens 7500 Euro pro Person bekommen die 30 Passagiere Sterneküche und die architektonischen «Wunder» des alten Frankreich serviert, von der Kathedrale von Reims über den Papstpalast von Avignon bis zu den Loire-Schlössern. Doch das wahre Highlight wartet in der Vendée: der Besuch im Puy du Fou.
Da sehen die VIP-Gäste in der Römerarena, wie der edle Damien den römischen Gouverneur verschont, in christlicher Milde. Unter pompöser Musik flattern danach von den Masten der Galeere zwei Fahnen, die das «Zeichen des Triumphs» tragen, das dem Spektakel seinen Namen gibt. Es ist kein Kreuz, sondern ein Fisch – das Symbol der frühen Christen.
So viel historische Akkuratesse muss dann schon sein.