Die US-Notenbank Fed senkt den Leitzins in rasantem Tempo, obwohl sich die amerikanische Wirtschaft noch immer kerngesund präsentiert.
Es gab keinen Grund für Panik. Und doch liess sich das Gremium um den Fed-Chef Jerome Powell von den immer lauter werdenden Warnern beeinflussen. Diese forderten von der Notenbank eine Reduktion des Leitzinssatzes um hohe 0,5 Prozentpunkte – anstelle eines Schritts bloss um 0,25 Prozentpunkte, wie ihn das Fed in ruhigen Zeiten üblicherweise wählt. Die Währungshüter erfüllten den Wunsch. Der Vorwurf ihrer Kritiker, sie führten die USA mit ihrer Zögerlichkeit noch in eine Rezession, hat sie offensichtlich getroffen.
Den USA geht es gut
Doch für einen Wirtschaftseinbruch gibt es derzeit keine Belege. Das BIP der USA wächst mit mehr als 2 Prozent, nach neuesten Schätzungen des Atlanta-Fed sogar mit 3 Prozent pro Jahr. Die Löhne der Amerikaner steigen derzeit, auf das ganze Jahr hochgerechnet, um mehr als 4 Prozent, ihre Konsumausgaben nehmen ebenfalls zu. Das sind Werte, die in Europa als mittleres Wirtschaftswunder gefeiert würden.
Dass mehr Amerikaner auf Jobsuche sind als noch vor einem Jahr, ist vor allem auf ein grösseres Angebot an Arbeitskräften zurückzuführen, nicht zuletzt wegen der starken Zuwanderung in die USA. Entlassungen sind nach wie vor rar.
Diese Punkte brachte Jerome Powell zwar ebenfalls an, als er am Mittwoch der versammelten Presse erläuterte, wie das Fed die wirtschaftliche Lage der USA einschätzt. Was Powell nicht sagte, sich aber viele Marktteilnehmer dachten: Die Fed-Spitze gelangte zu der stillen Überzeugung, dass sie den Leitzins eigentlich schon im Juli hätte senken sollen. Und will jetzt mit der doppelten Senkung das vermeintliche Versäumnis ausbügeln.
Dafür gibt es keinen triftigen Grund. Amerikaner mit mittleren und hohen Einkommen, die für einen Grossteil des Konsums verantwortlich sind, haben bedeutende finanzielle Reserven; auch dank dem boomenden Aktienmarkt.
Sie verzichten nicht so schnell auf Restaurantbesuche und Ferien und werden die Konjunktur stabilisieren, selbst wenn der Arbeitsmarkt etwas schwächeln sollte. Viele Amerikaner mit niedrigen Einkommen haben zwar keine solchen Reserven mehr. Aber solange der Arbeitsmarkt stabil bleibt und sie ihre Jobs behalten, werden auch sie ihren Konsum nur minimal einschränken.
Es war so gesehen nicht entscheidend, dass die Notenbank möglichst schnell aus den Startblöcken kommt. Wichtiger ist es, die langfristigen Erwartungen des Marktes zu verankern, wohin die Reise gehen soll. Dafür hätte auch eine Senkung um 0,25 Prozentpunkte ausgereicht, wenn das Fed dies sorgfältig kommuniziert hätte.
Die Folgen früherer Fehler
Nun besteht die Gefahr, dass die Marktteilnehmer den Schritt des Fed als Alarmsignal missverstehen. Amerikanische Aktien und Anleihen gewannen nach dem Zinsentscheid kurz an Wert, gaben diese Gewinne aber sehr rasch wieder ab. Das könnte ein Anzeichen dafür sein, dass der Markt den grossen Zinsschritt schon eingepreist hat – oder dass er den optimistischen Wirtschaftsprognosen plötzlich nicht mehr traut.
Man darf nicht vergessen, dass das Fed noch immer dabei ist, das angeknackste Vertrauen der Öffentlichkeit zurückzugewinnen. Vor drei Jahren, als die Inflation in Amerika wegen der Spätfolgen von Corona und einer laxen Geld- und Fiskalpolitik durch die Decke schoss, legte das Fed zunächst die Hände in den Schoss. Es hielt die Zinsen auf rekordtiefem Niveau, weil es erwartete, dass der Teuerungsschub nur vorübergehender Natur war.
Das Fed irrte sich – und lief 2022 Gefahr, die Kontrolle über die langfristigen Inflationserwartungen im Markt zu verlieren. Für eine Notenbank ist das so ziemlich das Schlimmste, was passieren kann: Wenn Unternehmen und Gewerkschaften dem Fed nicht mehr vertrauen, ist seine Geldpolitik weniger wirksam. Es wächst die Gefahr, dass Löhne und Preise ausser Kontrolle geraten. Die Notenbank muss dann drastische und umso schmerzhaftere Massnahmen ergreifen, um die Inflationserwartungen wieder in den Griff zu bekommen.
Vermeidbares Risiko
Jerome Powell erkannte diese Gefahr im Sommer 2022, als er am jährlichen Notenbanker-Treffen in Jackson Hole die Losung ausgab, notfalls auch eine Rezession in Kauf zu nehmen, um den Preisauftrieb unter Kontrolle zu bringen.
Zwei Jahre harte Arbeit haben nun Früchte getragen: Die Teuerung nähert sich langsam der 2-Prozent-Marke an, wo das Fed sie gerne hätte. Die Inflationserwartungen bleiben gut verankert.
Aber das Fed ist noch nicht ganz am Ziel. Vor allem die Wohnkosten im Land steigen weiterhin stark an, was am Mittwoch auch Powell einräumte. Und natürlich ist jederzeit möglich, dass sich Rohstoffe, vor allem Erdöl, wegen geopolitischer Unsicherheiten wieder jäh verteuern.
Falls die Inflation unerwartet wieder anzieht, muss das Fed nun eine unschöne Stop-and-go-Strategie wählen. Dieses Risiko war vermeidbar.