Schon seit Jahren besteht der Verdacht, dass ehemalige österreichische Verfassungsschützer Informationen nach Russland liefern – auch im Auftrag Jan Marsaleks. Nun ist in der lange zu wenig ernsthaft aufgeklärten Affäre ein mutmasslicher Spitzel verhaftet worden.
Im mutmasslich grössten Spionageskandal seit Jahren in Österreich ist es am Freitag zu einer Festnahme gekommen. Beamte der Sondereinheit Cobra verhafteten in Kärnten den früheren Verfassungsschützer Egisto Ott, der seit Jahren im Verdacht steht, seine Stellung als Beamter im früheren Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) missbraucht und mit geheimen Daten gehandelt zu haben. Sie sollen über Ott insbesondere auch an russische Geheimdienste gelangt sein.
Die Staatsanwaltschaft Wien bestätigte am Freitag, gegen Ott werde wegen Amtsmissbrauchs und geheimen Nachrichtendiensts zum Nachteil Österreichs ermittelt. Unmittelbarer Anlass für den Zugriff waren laut einem Bericht des «Standards» Hinweise aus Grossbritannien, wo ein Verfahren gegen den ehemaligen Wirecard-Manager Jan Marsalek läuft. Die dortigen Behörden haben seit Herbst wegen Spionage für Russland insgesamt sechs Bulgaren angeklagt, die der abgetauchte Milliardenbetrüger befehligt haben soll. Laut dafür ausgewerteten Chat-Nachrichten soll Ott die Inhalte der Smartphones dreier ehemaliger Spitzenbeamter im österreichischen Innenministerium im Sommer 2022 an Russland übermittelt haben – mutmasslich an den Inlandgeheimdienst FSB, wie die Zeitung schreibt.
Hochrangige Beamte kenterten bei Bootsausflug
Dass und warum diese Daten gestohlen wurden, ist in Österreich als kuriose Geschichte schon lange bekannt: Im Sommer 2017 machte das Kabinett des damaligen Innenministers einen Bootsausflug zum Team-Building. Dabei fiel ein Teil der Belegschaft in die Donau, offenbar weil die ebenfalls anwesende Ehefrau des heutigen Bundeskanzlers Karl Nehammer zwei der Kanus fahrlässig zum Kentern gebracht hatte. Unter den Schiffbrüchigen waren samt ihren Handys der Kabinettschef Michael Kloibmüller, jahrelang einer der wichtigsten Strippenzieher im Ministerium, und der heutige Bundespolizeidirektor Michael Takacs.
Ein IT-Techniker des Verfassungsschutzes sollte die Dienstgeräte reparieren, allerdings erkannte er die Brisanz der Inhalte, fertigte Kopien an und gab sie an Ott und andere weiter. Chats gelangten so an Medien und die Staatsanwaltschaft, die gegen Kloibmüller auch Ermittlungen wegen des Verdachts der Postenkorruption aufnahm.
Inhalte der beiden anderen kopierten Smartphones wurden nicht publik. Der «Standard» nimmt an, sie hätten nicht ausgelesen werden können und seien womöglich deshalb an russische Dienste weitergegeben worden. Was diese mit den konkreten Daten anfangen konnten, ist offen. Sollten sich die Vorwürfe erhärten, zeigen sie aber, dass Ott auch nach seinem Ausscheiden aus dem damaligen BVT über seine Kontakte zu heiklen Informationen kommen konnte und selbst nach dem Grossangriff auf die Ukraine noch ein Zuträger Moskaus war. Das wäre für Österreich ein veritabler Skandal – und ein peinlicher noch dazu, weil über Otts Verbindungen nach Russland seit Jahren gemutmasst wird und die Justiz in dem Fall merkwürdig untätig blieb.
Ausländische Nachrichtendienste hatten das BVT bereits 2017 darauf aufmerksam gemacht, dass vertrauliche Informationen an unberechtigte Stellen und konkret an russische Dienste abflössen. Ott geriet in Verdacht, weil er einst als Verbindungsbeamter in der Türkei Kontakte zu ihnen geknüpft hatte und als geheim klassifizierte Informationen von seiner dienstlichen an seine private E-Mail-Adresse weitergeleitet hatte. 2017 musste er das BVT deshalb verlassen, seither laufen auch Ermittlungen wegen Amtsmissbrauchs und Spionage.
Jan Marsaleks «Zelle» im österreichischen Verfassungsschutz
Allerdings soll Ott seine Informationen und die guten Kontakte weiterhin genutzt haben – auch das war regelmässig Gegenstand der medialen Berichterstattung. Das Nachrichtenmagazin «Profil» zitierte kürzlich aus den Ermittlungsakten, dass Ott beschuldigt wird, «bis zum heutigen Tage» einen russischen Nachrichtendienst zu unterstützen, indem er teilweise öffentliche und teilweise nichtöffentliche Informationen weiterleite, unter anderem zur Erstellung von Personenprofilen russischer Staatsbürger. Dabei soll er auch Informationen übermittelt haben, die dem Innenministerium durch internationale Kontakte übermittelt worden seien.
Ein Abnehmer der Daten soll der ehemalige Abteilungsleiter im BVT Martin Weiss gewesen sein, der wiederum dem Österreicher Jan Marsalek zur Flucht verholfen haben soll. Erst kürzlich zeigten monatelange Recherchen des exilrussischen Investigativmagazins «The Insider», des «Spiegels», des ZDF und des «Standards», dass der einstige Wirecard-Manager in Russland eine neue Identität angenommen hat und wohl schon Jahre vor seiner Flucht für den russischen Geheimdienst gearbeitet hat.
Ott und Weiss sollen im BVT eine «Zelle» gebildet haben, die im Auftrag Marsaleks Informationen beschaffte – so etwa auch über den bulgarischen Investigativjournalisten Christo Grozev, der gemeinsam mit dem mittlerweile in Haft verstorbenen russischen Oppositionellen Alexei Nawalny die Organisatoren von dessen versuchter Vergiftung 2020 enthüllt hat. Grozev lebte 20 Jahre lang in Wien, verliess die Stadt aber, weil sie zu gefährlich für ihn geworden war, wie der «Falter» vor gut einem Jahr berichtete. Es gebe hier mehr russische Spitzel und Handlanger als Polizisten, sagte Grozev dem Magazin.
Ott und Weiss sollen auch die Auslöser der hoch kontroversen Razzia im BVT gewesen sein, die 2018 auf Basis anonymer Vorwürfe unter dem damaligen Innenminister Herbert Kickl stattfand. Das später von der Justiz als rechtswidrig qualifizierte Vorgehen erschütterte das internationale Vertrauen in das BVT, es wurde vorübergehend vom internationalen Datenaustausch abgeschnitten. Das Amt wurde daraufhin aufgelöst und 2021 als Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst neu aufgestellt.
Verhaltene politische Reaktionen
Ott hat alle diese Vorwürfe stets bestritten. Weiss hält sich mittlerweile in Dubai auf und ist für die Justiz nicht fassbar, weil mit den Vereinigten Arabischen Emiraten kein Auslieferungsabkommen besteht. Ob es nun zu Anklagen kommt, ist völlig offen. Ott sass bereits 2021 in Untersuchungshaft und wurde dann wieder freigelassen.
Auch die politischen Reaktionen waren bisher verhalten. Möglicherweise, weil Ott Verbindungen zu diversen Parteien unterhielt und alle grösseren Parteien wiederum Verantwortung tragen für die insgesamt russlandfreundliche Politik Österreichs in den letzten Jahrzehnten. Nun heisst es von verschiedenen Seiten, es brauche eine restlose Aufklärung des Skandals. Eine solche könnte diesen aber noch peinlicher machen.